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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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verloren haben, erhöhen dadurch das Rheinbett und geben ihm nach und nach
eine wagerechte Grundfläche. Ebenso wie die Tamina wirken aber alle Neben¬
flüsse, und je nach der Stärke ihres Gefälles haben die in das Stromthal ge¬
führten Gesteintrümmer das verschiedenste Volumen, von großen Felsstücken
bis zum trübemachenden Schlamm. Für normale Verhältnisse hält der Strom,
hier also der Rhein, sich nur eine verhältnißmüßig schmale Stromrinne frei, bei
Hochwasser aber bedeckt er die ganze Thalbreite. Aehnliche Verhältnisse zeigen
alle Gebirgsländer in den mannigfaltigsten Abstufungen, am gewaltigsten aber
in der heißen Zone, wo die wolkenbruchartigen Regen wohl zehnfach größere
Wassermengen geben als bei uns. Die Bergflüsse des Himalaja und Karakorum
haben ihre Thäler an einzelnen Stellen 400 bis 500 Meter tief eingeschnitten,
ja in dem hohen Stufenlande Abessynien ist die Oberfläche von Thälern durch¬
furcht, deren manche 5000 bis 7000 Meter breit und mehr als 1000 Meter
tief sind. Einschnitte von 1000 Meter Tiefe finden sich aber auch in unseren
Alpen: Der Rigi reicht 1363 Meter über den Spiegel des Vierwaldstädter
Sees und der ihm zugehörenden Gewässer, deren Thäler unverkennbar vom
Wasser eingeschnitten sind. Das Matterhorn mit 1600 Meter, der Monte Rosa
mit Steilseiten von 2000 Meter, sowie der Lüskcunm Dentblanche u. a. sind
die stehengebliebenen Spitzen einer ehemaligen Hochfläche, welche das Wasser
durchfurcht und fortgeschafft hat durch unablässiges Einschneiden und Vergrößern
der Vertiefungen, Abtragen der Vorsprünge, Abschälen der Böschungen und
Fortschwemmen des Getrümmer und Gerölles, bis nur die jetzigen Kämme, Zacken,
Hörner und Joche übrig geblieben sind, welche ebenso sicher von dem Wasser
abgewaschen, zertrümmert, fortgeschafft und dereinst verschwunden sein werden.
Das Wasser ist die lebendige Kraft, welche durch ewiges, nie unterbrochenes
Wirken alles Festland in die fließenden Gewässer und durch diese ins Meer führt.

Wie in der Urzeit überall, so fallen noch gegenwärtig in den Gegenden,
wo die menschliche Cultur die Naturbildungen noch nicht verwüstet hat, die
atmosphärischen Niederschlüge ans Gebirge und Landstrecken, welche, sofern sie
nicht in die Schneegrenze hineinragen, bei weitem zum größten Theil mit
Pflanzenwuchs bedeckt find. Durch diese Pflanzendecke, dnrch Laub- und Nadel¬
hölzer, durch Gesträuch und Gestrüpp, durch Gräser und Kräuter, durch Flechten
und Moose, ja ganz wesentlich auch durch die zu Boden gefallenen Blätter,
Nadeln und Zweige der Bäume werden die Niederschläge gezwungen, ganz
allmählich und nur in sehr geringem Maße in schmalen Wasserfäden und
-Rinnen abzufließen; ein Theil des Wassers dringt in den Boden, ein anderer
verdunstet und der bei weitem beträchtlichste wird durch Cohäsion zurückgehalten.
Die unmittelbare Folge davon ist. daß die großen und kleinen natürlichen
Samuel- oder Klärbecken dnrch die sedimentären Ablagerungen der Wasserlüufe


verloren haben, erhöhen dadurch das Rheinbett und geben ihm nach und nach
eine wagerechte Grundfläche. Ebenso wie die Tamina wirken aber alle Neben¬
flüsse, und je nach der Stärke ihres Gefälles haben die in das Stromthal ge¬
führten Gesteintrümmer das verschiedenste Volumen, von großen Felsstücken
bis zum trübemachenden Schlamm. Für normale Verhältnisse hält der Strom,
hier also der Rhein, sich nur eine verhältnißmüßig schmale Stromrinne frei, bei
Hochwasser aber bedeckt er die ganze Thalbreite. Aehnliche Verhältnisse zeigen
alle Gebirgsländer in den mannigfaltigsten Abstufungen, am gewaltigsten aber
in der heißen Zone, wo die wolkenbruchartigen Regen wohl zehnfach größere
Wassermengen geben als bei uns. Die Bergflüsse des Himalaja und Karakorum
haben ihre Thäler an einzelnen Stellen 400 bis 500 Meter tief eingeschnitten,
ja in dem hohen Stufenlande Abessynien ist die Oberfläche von Thälern durch¬
furcht, deren manche 5000 bis 7000 Meter breit und mehr als 1000 Meter
tief sind. Einschnitte von 1000 Meter Tiefe finden sich aber auch in unseren
Alpen: Der Rigi reicht 1363 Meter über den Spiegel des Vierwaldstädter
Sees und der ihm zugehörenden Gewässer, deren Thäler unverkennbar vom
Wasser eingeschnitten sind. Das Matterhorn mit 1600 Meter, der Monte Rosa
mit Steilseiten von 2000 Meter, sowie der Lüskcunm Dentblanche u. a. sind
die stehengebliebenen Spitzen einer ehemaligen Hochfläche, welche das Wasser
durchfurcht und fortgeschafft hat durch unablässiges Einschneiden und Vergrößern
der Vertiefungen, Abtragen der Vorsprünge, Abschälen der Böschungen und
Fortschwemmen des Getrümmer und Gerölles, bis nur die jetzigen Kämme, Zacken,
Hörner und Joche übrig geblieben sind, welche ebenso sicher von dem Wasser
abgewaschen, zertrümmert, fortgeschafft und dereinst verschwunden sein werden.
Das Wasser ist die lebendige Kraft, welche durch ewiges, nie unterbrochenes
Wirken alles Festland in die fließenden Gewässer und durch diese ins Meer führt.

Wie in der Urzeit überall, so fallen noch gegenwärtig in den Gegenden,
wo die menschliche Cultur die Naturbildungen noch nicht verwüstet hat, die
atmosphärischen Niederschlüge ans Gebirge und Landstrecken, welche, sofern sie
nicht in die Schneegrenze hineinragen, bei weitem zum größten Theil mit
Pflanzenwuchs bedeckt find. Durch diese Pflanzendecke, dnrch Laub- und Nadel¬
hölzer, durch Gesträuch und Gestrüpp, durch Gräser und Kräuter, durch Flechten
und Moose, ja ganz wesentlich auch durch die zu Boden gefallenen Blätter,
Nadeln und Zweige der Bäume werden die Niederschläge gezwungen, ganz
allmählich und nur in sehr geringem Maße in schmalen Wasserfäden und
-Rinnen abzufließen; ein Theil des Wassers dringt in den Boden, ein anderer
verdunstet und der bei weitem beträchtlichste wird durch Cohäsion zurückgehalten.
Die unmittelbare Folge davon ist. daß die großen und kleinen natürlichen
Samuel- oder Klärbecken dnrch die sedimentären Ablagerungen der Wasserlüufe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/464>, abgerufen am 22.07.2024.