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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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und eine Revision der Grenze gewähre. Der chinesische Gesandte ging auf diese
Bedingungen ein, scheint aber damit seine Vollmacht überschritten zu haben;
denn die Regierung in Peking ratificirte nicht nur den von ihm abgeschlossenen
Vertrag nicht, sondern verurtheilte den Gesandten sogar zum Tode.

Seitdem sind die Unterhandlungen in der Sache zwar noch nicht abgebrochen
worden, haben aber geruht und sollen von Rußland erst wieder sortgesetzt werden,
wenn die Mitglieder der russischen Gesandtschaft in Peking, welche man wie
oben bemerkt, inzwischen abberufen hat, uach Petersburg werden zurückgekehrt
sein. Was dann beschlossen werden wird, ist abzuwarten. Nach dem aber, was
man über die Verhältnisse und die Lage der Dinge in jenen fernen Gegenden
Ostasiens weiß, scheint es, daß dort China in gewissen Beziehungen der stärkere
von beiden Theilen ist, daß es sich dessen wohl bewußt ist, daß Rußland in
Folge dessen wohlthun würde, wenn es bis auf Weiteres nachgeben wollte, und
daß selbst in diesem Falle es sich fragt, ob China damit befriedigt sein und
nicht vielmehr die Gelegenheit zur Wiedergewinnung auch des Amurgebietes zu
ergreifen Neigung haben würde. Andererseits scheint auch Nußland nach dem
zu Anfang Gesagten keine Lust zu haben, über ein gewisses Maß der Nachgiebig¬
keit hinauszugehen, und so ist ein Krieg zwischen den beiden Mächten nicht bloß
möglich, sondern im hohen Grade wahrscheinlich.

Ein solcher Krieg würde zwar, obwohl in ihm die beiden größten Staaten
der Erde miteinander zusammenstoßen und die Fläche des Kriegsschauplatzes
eine ungeheuer ausgedehnte sein würde, kein großer sein, da nach unseren Be¬
griffen große Heere nicht zur Verwendung kommen konnten. Wohl aber würde
der Kampf alle seefahrenden Nationen in gewissem Grade in Mitleidenschaft
ziehen, und zwar Deutschland gleich nach England. Ein Krieg Rußlands mit
China würde eine Blokade der großen chinesischen Hafenstädte durch ein russisches
Geschwader zur Folge haben, und dadurch würden in erster Linie der Handel
und die Schifffahrt Englands, in zweiter die sehr bedeutenden Interessen Deutsch¬
lands auf diesen Gebieten unzweifelhaft erheblich beeinträchtigt werden; erst in
dritter Reihe würden Nordamerika und Frankreich stehen. Für sicher halten
wir daher die Nachricht, daß die kaiserliche Admiralität für jenen Fall die
deutschen Kriegsschiffe, die in den ostasiatischen Gewässern stationiren, an der
chinesischen Küste zusammenzuziehen und sie durch Fahrzeuge aus deutschen
Häfen -- man nennt zunächst die Korvette Blücher -- zu verstärken gedenkt.

Ueber die Aussichten der beiden sich zum Kriege rüstenden Mächte wird
folgendes einigermaßen orientiren. Rußland wird mehr noch als China mit
der ungehenren Entfernung der betreffenden Gebiete von seinen großen militä¬
rischen Centren und Hülfsquellen zu kämpfen haben. Vor einem halben Jahr¬
hundert war man hier gegen den Nachbarkaiser im Süden ziemlich gut gerüstet,


und eine Revision der Grenze gewähre. Der chinesische Gesandte ging auf diese
Bedingungen ein, scheint aber damit seine Vollmacht überschritten zu haben;
denn die Regierung in Peking ratificirte nicht nur den von ihm abgeschlossenen
Vertrag nicht, sondern verurtheilte den Gesandten sogar zum Tode.

Seitdem sind die Unterhandlungen in der Sache zwar noch nicht abgebrochen
worden, haben aber geruht und sollen von Rußland erst wieder sortgesetzt werden,
wenn die Mitglieder der russischen Gesandtschaft in Peking, welche man wie
oben bemerkt, inzwischen abberufen hat, uach Petersburg werden zurückgekehrt
sein. Was dann beschlossen werden wird, ist abzuwarten. Nach dem aber, was
man über die Verhältnisse und die Lage der Dinge in jenen fernen Gegenden
Ostasiens weiß, scheint es, daß dort China in gewissen Beziehungen der stärkere
von beiden Theilen ist, daß es sich dessen wohl bewußt ist, daß Rußland in
Folge dessen wohlthun würde, wenn es bis auf Weiteres nachgeben wollte, und
daß selbst in diesem Falle es sich fragt, ob China damit befriedigt sein und
nicht vielmehr die Gelegenheit zur Wiedergewinnung auch des Amurgebietes zu
ergreifen Neigung haben würde. Andererseits scheint auch Nußland nach dem
zu Anfang Gesagten keine Lust zu haben, über ein gewisses Maß der Nachgiebig¬
keit hinauszugehen, und so ist ein Krieg zwischen den beiden Mächten nicht bloß
möglich, sondern im hohen Grade wahrscheinlich.

Ein solcher Krieg würde zwar, obwohl in ihm die beiden größten Staaten
der Erde miteinander zusammenstoßen und die Fläche des Kriegsschauplatzes
eine ungeheuer ausgedehnte sein würde, kein großer sein, da nach unseren Be¬
griffen große Heere nicht zur Verwendung kommen konnten. Wohl aber würde
der Kampf alle seefahrenden Nationen in gewissem Grade in Mitleidenschaft
ziehen, und zwar Deutschland gleich nach England. Ein Krieg Rußlands mit
China würde eine Blokade der großen chinesischen Hafenstädte durch ein russisches
Geschwader zur Folge haben, und dadurch würden in erster Linie der Handel
und die Schifffahrt Englands, in zweiter die sehr bedeutenden Interessen Deutsch¬
lands auf diesen Gebieten unzweifelhaft erheblich beeinträchtigt werden; erst in
dritter Reihe würden Nordamerika und Frankreich stehen. Für sicher halten
wir daher die Nachricht, daß die kaiserliche Admiralität für jenen Fall die
deutschen Kriegsschiffe, die in den ostasiatischen Gewässern stationiren, an der
chinesischen Küste zusammenzuziehen und sie durch Fahrzeuge aus deutschen
Häfen — man nennt zunächst die Korvette Blücher — zu verstärken gedenkt.

Ueber die Aussichten der beiden sich zum Kriege rüstenden Mächte wird
folgendes einigermaßen orientiren. Rußland wird mehr noch als China mit
der ungehenren Entfernung der betreffenden Gebiete von seinen großen militä¬
rischen Centren und Hülfsquellen zu kämpfen haben. Vor einem halben Jahr¬
hundert war man hier gegen den Nachbarkaiser im Süden ziemlich gut gerüstet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/399>, abgerufen am 22.07.2024.