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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Skizze des russischen Reiches", die aus officiellen Quellen schöpft, nicht unter
den russischen Besitzungen in Mittelasien aufführt. Die Geschichte dieser sonach
unbestimmten Eroberung ist nach dem soeben erschienenen ersten Bande von
Otto Krümmels "Europäischer Staatenkunde" (Leipzig, Duncker K
Humblot), der wir in einem Theile des Nachstehenden folgen, und die wir als
ein gründliches Werk lebhaft empfehlen, folgende.

Als der Aufstand der Taipings die militärischen Kräfte der Chinesen voll¬
ständig in Anspruch nahm, erhob sich 1862 auch die westlichste Provinz des
Reiches, das chinesische Ostturkestan, eine halbmondförmige Kette von Oasen
am inneren Rande des Tienschan, der Pamir-Hochebene und des Kwenlun, die
hauptsächlich von dem muhammedanischen Volke der Dunganen bewohnt wird.
Die Revolution nahm anfänglich für letztere einen guten Fortgang, endete aber
dann damit, daß Jakub Beg von Kaschgar zwar die Chinesen vollends aus dem
Lande trieb, dann aber die Dunganen sich unterwarf und tyrannisch beherrschte.
Neben seinem harten Regiment im Innern ging eine geschickte auswärtige
Politik her, indem er sich sowohl mit den Russen als mit den Engländern gut
zu stellen verstand. Endlich aber gewann bei ihm die Neigung zu England die
Oberhand. Dazu kam, daß sich während des Aufstandes von 1862 der nördlich
vom Tienschan gelegene Theil Osttnrkestans, das obere Ili-Thal mit der Haupt¬
stadt Kuldscha, unter dem Dunganenfürsten Adam Oglan unabhängig gemacht
hatte, und daß dieser die muhammedanischen Unterthanen der benachbarten Russen
zur Rebellion aufstachelte und den Verkehr der russischen Kaufleute in Kuldscha
erst erschwerte und zuletzt verbot. Dies veranlaßte den General Kolpakowski
im Juni 1871 über die Grenze zu rücken und sich Kuldschas zu bemächtigen.
Adam Oglan wurde in Orel internirt, und das fruchtbare Ili-Thal als Gouver¬
nement Priilinsk mit dem russischen Turkestan vereinigt. Kuldscha aber hat eine
sehr große handelspolitische Bedeutung. Es liegt an der Karawanenstraße,
welche von den Kirgisensteppen am Ili-Flusse hin über das hier im Osten
niedriger werdende Tienschan-Gebirge hinüberführt und am Lob Nor vorbei
durch den alt berühmten Jttmönn-Paß deu oberen Hoangho erreicht -- einer
Hauptroute für den Theehandel, die für die Russen wie für Jakub Beg gleich
begehrenswerth erscheinen mußte. Als es jedoch nach Niederwerfung der Taipings
den chinesischen Heerführern im Frühling 1877 gelungen war, letzterem wieder¬
holt Niederlagen beizubringen und zuletzt die Dunganen wieder unter die Bot¬
mäßigkeit der Pekinger Regierung zu bringen, trat die letztere im Frühjahr 1879
durch Vermittlung einer eigenen Gesandtschaft mit den Russen wegen Heraus¬
gabe der Ili-Provinz in Unterhandlung, die damit endigte, daß die letzteren in
die Herausgabe dieser Provinz zu willigen versprachen, wenn man ihnen
chinesischerseits Consulate in den westlichen Theilen des himmlischen Reiches


Skizze des russischen Reiches", die aus officiellen Quellen schöpft, nicht unter
den russischen Besitzungen in Mittelasien aufführt. Die Geschichte dieser sonach
unbestimmten Eroberung ist nach dem soeben erschienenen ersten Bande von
Otto Krümmels „Europäischer Staatenkunde" (Leipzig, Duncker K
Humblot), der wir in einem Theile des Nachstehenden folgen, und die wir als
ein gründliches Werk lebhaft empfehlen, folgende.

Als der Aufstand der Taipings die militärischen Kräfte der Chinesen voll¬
ständig in Anspruch nahm, erhob sich 1862 auch die westlichste Provinz des
Reiches, das chinesische Ostturkestan, eine halbmondförmige Kette von Oasen
am inneren Rande des Tienschan, der Pamir-Hochebene und des Kwenlun, die
hauptsächlich von dem muhammedanischen Volke der Dunganen bewohnt wird.
Die Revolution nahm anfänglich für letztere einen guten Fortgang, endete aber
dann damit, daß Jakub Beg von Kaschgar zwar die Chinesen vollends aus dem
Lande trieb, dann aber die Dunganen sich unterwarf und tyrannisch beherrschte.
Neben seinem harten Regiment im Innern ging eine geschickte auswärtige
Politik her, indem er sich sowohl mit den Russen als mit den Engländern gut
zu stellen verstand. Endlich aber gewann bei ihm die Neigung zu England die
Oberhand. Dazu kam, daß sich während des Aufstandes von 1862 der nördlich
vom Tienschan gelegene Theil Osttnrkestans, das obere Ili-Thal mit der Haupt¬
stadt Kuldscha, unter dem Dunganenfürsten Adam Oglan unabhängig gemacht
hatte, und daß dieser die muhammedanischen Unterthanen der benachbarten Russen
zur Rebellion aufstachelte und den Verkehr der russischen Kaufleute in Kuldscha
erst erschwerte und zuletzt verbot. Dies veranlaßte den General Kolpakowski
im Juni 1871 über die Grenze zu rücken und sich Kuldschas zu bemächtigen.
Adam Oglan wurde in Orel internirt, und das fruchtbare Ili-Thal als Gouver¬
nement Priilinsk mit dem russischen Turkestan vereinigt. Kuldscha aber hat eine
sehr große handelspolitische Bedeutung. Es liegt an der Karawanenstraße,
welche von den Kirgisensteppen am Ili-Flusse hin über das hier im Osten
niedriger werdende Tienschan-Gebirge hinüberführt und am Lob Nor vorbei
durch den alt berühmten Jttmönn-Paß deu oberen Hoangho erreicht — einer
Hauptroute für den Theehandel, die für die Russen wie für Jakub Beg gleich
begehrenswerth erscheinen mußte. Als es jedoch nach Niederwerfung der Taipings
den chinesischen Heerführern im Frühling 1877 gelungen war, letzterem wieder¬
holt Niederlagen beizubringen und zuletzt die Dunganen wieder unter die Bot¬
mäßigkeit der Pekinger Regierung zu bringen, trat die letztere im Frühjahr 1879
durch Vermittlung einer eigenen Gesandtschaft mit den Russen wegen Heraus¬
gabe der Ili-Provinz in Unterhandlung, die damit endigte, daß die letzteren in
die Herausgabe dieser Provinz zu willigen versprachen, wenn man ihnen
chinesischerseits Consulate in den westlichen Theilen des himmlischen Reiches


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[0398] Skizze des russischen Reiches", die aus officiellen Quellen schöpft, nicht unter den russischen Besitzungen in Mittelasien aufführt. Die Geschichte dieser sonach unbestimmten Eroberung ist nach dem soeben erschienenen ersten Bande von Otto Krümmels „Europäischer Staatenkunde" (Leipzig, Duncker K Humblot), der wir in einem Theile des Nachstehenden folgen, und die wir als ein gründliches Werk lebhaft empfehlen, folgende. Als der Aufstand der Taipings die militärischen Kräfte der Chinesen voll¬ ständig in Anspruch nahm, erhob sich 1862 auch die westlichste Provinz des Reiches, das chinesische Ostturkestan, eine halbmondförmige Kette von Oasen am inneren Rande des Tienschan, der Pamir-Hochebene und des Kwenlun, die hauptsächlich von dem muhammedanischen Volke der Dunganen bewohnt wird. Die Revolution nahm anfänglich für letztere einen guten Fortgang, endete aber dann damit, daß Jakub Beg von Kaschgar zwar die Chinesen vollends aus dem Lande trieb, dann aber die Dunganen sich unterwarf und tyrannisch beherrschte. Neben seinem harten Regiment im Innern ging eine geschickte auswärtige Politik her, indem er sich sowohl mit den Russen als mit den Engländern gut zu stellen verstand. Endlich aber gewann bei ihm die Neigung zu England die Oberhand. Dazu kam, daß sich während des Aufstandes von 1862 der nördlich vom Tienschan gelegene Theil Osttnrkestans, das obere Ili-Thal mit der Haupt¬ stadt Kuldscha, unter dem Dunganenfürsten Adam Oglan unabhängig gemacht hatte, und daß dieser die muhammedanischen Unterthanen der benachbarten Russen zur Rebellion aufstachelte und den Verkehr der russischen Kaufleute in Kuldscha erst erschwerte und zuletzt verbot. Dies veranlaßte den General Kolpakowski im Juni 1871 über die Grenze zu rücken und sich Kuldschas zu bemächtigen. Adam Oglan wurde in Orel internirt, und das fruchtbare Ili-Thal als Gouver¬ nement Priilinsk mit dem russischen Turkestan vereinigt. Kuldscha aber hat eine sehr große handelspolitische Bedeutung. Es liegt an der Karawanenstraße, welche von den Kirgisensteppen am Ili-Flusse hin über das hier im Osten niedriger werdende Tienschan-Gebirge hinüberführt und am Lob Nor vorbei durch den alt berühmten Jttmönn-Paß deu oberen Hoangho erreicht — einer Hauptroute für den Theehandel, die für die Russen wie für Jakub Beg gleich begehrenswerth erscheinen mußte. Als es jedoch nach Niederwerfung der Taipings den chinesischen Heerführern im Frühling 1877 gelungen war, letzterem wieder¬ holt Niederlagen beizubringen und zuletzt die Dunganen wieder unter die Bot¬ mäßigkeit der Pekinger Regierung zu bringen, trat die letztere im Frühjahr 1879 durch Vermittlung einer eigenen Gesandtschaft mit den Russen wegen Heraus¬ gabe der Ili-Provinz in Unterhandlung, die damit endigte, daß die letzteren in die Herausgabe dieser Provinz zu willigen versprachen, wenn man ihnen chinesischerseits Consulate in den westlichen Theilen des himmlischen Reiches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/398>, abgerufen am 22.07.2024.