Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

zumal da er Feinde im Innern zu bekämpfen hatte und weder gut geschulte
Truppen noch genügende Waffen besaß. Man hatte russischerseits eine Kette
von Grenzforts, reguläre Soldaten im äußersten Osten Sibiriens, Artillerie in
Nertschinsk und Selenginsk. Die Kosaken dieser Gegenden hatten den kriege¬
rischen Geist ihrer Vorfahren bewahrt, welcher dem Zaren das Land erobert
hatte. Während der langen Ruhezeit zwischen damals und jetzt ist es anders
geworden. Die Forts in jenem Theile Sibiriens sind theils zerfallen, theils
verschwunden. Die Grenze ist nur schwach mit regelmäßigen Truppen besetzt,
und die Kosaken haben sich in eine mehr oder minder friedliche Polizei ver¬
wandelt. Dabei hat sich die Grenze um mehrere tausend Kilometer verlängert,
und einer raschen Verstärkung der wenigen Truppen am Amur und der Ussura
stehen die schlechte Beschaffenheit der Landstraßen und der gänzliche Mangel an
solchen in vielen Gegenden als bedenkliche Hindernisse entgegen. Die Chinesen
dagegen sind gegenwärtig bessere Soldaten als ehedem, sie haben zum großen Theile
Präcisionswaffen und sind sie im Besitz gewisser anderer militärischer Vortheile, von
denen wir nur den hervorheben, daß sie die Punkte ihres Angriffs wählen können.
Obgleich nämlich die kriegerische Bedeutung der in Ostsibirien angesiedelten Kosaken
erheblich abgenommen hat und Nachschübe guter Truppen auf dem Landwege
erst spät eintreffen können, würde eine erfolgreiche Kriegführung Rußlands nicht
unmöglich sein, wenn die Linienbataillone desselben nicht an den Anfangs- und
Endpunkten der unermeßlichen Gebiete des Amur und der Ussura zusammen¬
gezogen, sondern über die ganze Grenze vertheilt wären und die Möglichkeit
gegeben wäre, sie rasch an einem Punkte zu vereinigen. Das ist aber nicht der
Fall, und darin liegt für die Chinesen eine gute Aussicht auf Erfolge, wenigstens
für den Anfang des Kampfes. Mit Recht bemerkt die Kölnische Zeitung, daß
die Generale des himmlischen Reiches den großen Vortheil für sich haben würden,
daß sie beträchtliche Streitkräfte zu einem plötzlichen Angriffe ganz unvermerkt
ni den Amur bringen könnten, während ihre Gegner eine durch ungeheuere
Zwischenräume unterbrochene Linie einnehmen würden. Die Wüste, durch welche
die Chinesen zu marschiren hätten, würde kein sehr wesentliches Hinderniß sein,
da die schiffbare Sungara ihnen eine vortreffliche Wasserstraße darbieten würde,
die gerade auf die schwächsten Punkte der Amurlinie stößt. Wollte man ein¬
werfen, daß das Gebiet der Ussura durch die Chinesen nicht bedroht sei, weil
dieselben nicht im Stande seien, sich zu Herren über die Räuberstämme an der
chinesischen Ussura zu machen, so läßt sich dagegen anführen, daß es den Russen
mit den räuberischen Kirgisenhorden in den Gebieten von Semipcilatinsk, Akma-
linsk und Turgaisk kaum viel besser ergeht. Ja, es ist mit Bestimmtheit anzu¬
nehmen, daß die Himmlischen nicht einen Augenblick Bedenken tragen würden,
die Räuberstämme ihrer Nordostprovinzen in gleicher Weise gegen das Ussura-


zumal da er Feinde im Innern zu bekämpfen hatte und weder gut geschulte
Truppen noch genügende Waffen besaß. Man hatte russischerseits eine Kette
von Grenzforts, reguläre Soldaten im äußersten Osten Sibiriens, Artillerie in
Nertschinsk und Selenginsk. Die Kosaken dieser Gegenden hatten den kriege¬
rischen Geist ihrer Vorfahren bewahrt, welcher dem Zaren das Land erobert
hatte. Während der langen Ruhezeit zwischen damals und jetzt ist es anders
geworden. Die Forts in jenem Theile Sibiriens sind theils zerfallen, theils
verschwunden. Die Grenze ist nur schwach mit regelmäßigen Truppen besetzt,
und die Kosaken haben sich in eine mehr oder minder friedliche Polizei ver¬
wandelt. Dabei hat sich die Grenze um mehrere tausend Kilometer verlängert,
und einer raschen Verstärkung der wenigen Truppen am Amur und der Ussura
stehen die schlechte Beschaffenheit der Landstraßen und der gänzliche Mangel an
solchen in vielen Gegenden als bedenkliche Hindernisse entgegen. Die Chinesen
dagegen sind gegenwärtig bessere Soldaten als ehedem, sie haben zum großen Theile
Präcisionswaffen und sind sie im Besitz gewisser anderer militärischer Vortheile, von
denen wir nur den hervorheben, daß sie die Punkte ihres Angriffs wählen können.
Obgleich nämlich die kriegerische Bedeutung der in Ostsibirien angesiedelten Kosaken
erheblich abgenommen hat und Nachschübe guter Truppen auf dem Landwege
erst spät eintreffen können, würde eine erfolgreiche Kriegführung Rußlands nicht
unmöglich sein, wenn die Linienbataillone desselben nicht an den Anfangs- und
Endpunkten der unermeßlichen Gebiete des Amur und der Ussura zusammen¬
gezogen, sondern über die ganze Grenze vertheilt wären und die Möglichkeit
gegeben wäre, sie rasch an einem Punkte zu vereinigen. Das ist aber nicht der
Fall, und darin liegt für die Chinesen eine gute Aussicht auf Erfolge, wenigstens
für den Anfang des Kampfes. Mit Recht bemerkt die Kölnische Zeitung, daß
die Generale des himmlischen Reiches den großen Vortheil für sich haben würden,
daß sie beträchtliche Streitkräfte zu einem plötzlichen Angriffe ganz unvermerkt
ni den Amur bringen könnten, während ihre Gegner eine durch ungeheuere
Zwischenräume unterbrochene Linie einnehmen würden. Die Wüste, durch welche
die Chinesen zu marschiren hätten, würde kein sehr wesentliches Hinderniß sein,
da die schiffbare Sungara ihnen eine vortreffliche Wasserstraße darbieten würde,
die gerade auf die schwächsten Punkte der Amurlinie stößt. Wollte man ein¬
werfen, daß das Gebiet der Ussura durch die Chinesen nicht bedroht sei, weil
dieselben nicht im Stande seien, sich zu Herren über die Räuberstämme an der
chinesischen Ussura zu machen, so läßt sich dagegen anführen, daß es den Russen
mit den räuberischen Kirgisenhorden in den Gebieten von Semipcilatinsk, Akma-
linsk und Turgaisk kaum viel besser ergeht. Ja, es ist mit Bestimmtheit anzu¬
nehmen, daß die Himmlischen nicht einen Augenblick Bedenken tragen würden,
die Räuberstämme ihrer Nordostprovinzen in gleicher Weise gegen das Ussura-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146905"/>
          <p xml:id="ID_1164" prev="#ID_1163" next="#ID_1165"> zumal da er Feinde im Innern zu bekämpfen hatte und weder gut geschulte<lb/>
Truppen noch genügende Waffen besaß. Man hatte russischerseits eine Kette<lb/>
von Grenzforts, reguläre Soldaten im äußersten Osten Sibiriens, Artillerie in<lb/>
Nertschinsk und Selenginsk. Die Kosaken dieser Gegenden hatten den kriege¬<lb/>
rischen Geist ihrer Vorfahren bewahrt, welcher dem Zaren das Land erobert<lb/>
hatte. Während der langen Ruhezeit zwischen damals und jetzt ist es anders<lb/>
geworden. Die Forts in jenem Theile Sibiriens sind theils zerfallen, theils<lb/>
verschwunden. Die Grenze ist nur schwach mit regelmäßigen Truppen besetzt,<lb/>
und die Kosaken haben sich in eine mehr oder minder friedliche Polizei ver¬<lb/>
wandelt. Dabei hat sich die Grenze um mehrere tausend Kilometer verlängert,<lb/>
und einer raschen Verstärkung der wenigen Truppen am Amur und der Ussura<lb/>
stehen die schlechte Beschaffenheit der Landstraßen und der gänzliche Mangel an<lb/>
solchen in vielen Gegenden als bedenkliche Hindernisse entgegen. Die Chinesen<lb/>
dagegen sind gegenwärtig bessere Soldaten als ehedem, sie haben zum großen Theile<lb/>
Präcisionswaffen und sind sie im Besitz gewisser anderer militärischer Vortheile, von<lb/>
denen wir nur den hervorheben, daß sie die Punkte ihres Angriffs wählen können.<lb/>
Obgleich nämlich die kriegerische Bedeutung der in Ostsibirien angesiedelten Kosaken<lb/>
erheblich abgenommen hat und Nachschübe guter Truppen auf dem Landwege<lb/>
erst spät eintreffen können, würde eine erfolgreiche Kriegführung Rußlands nicht<lb/>
unmöglich sein, wenn die Linienbataillone desselben nicht an den Anfangs- und<lb/>
Endpunkten der unermeßlichen Gebiete des Amur und der Ussura zusammen¬<lb/>
gezogen, sondern über die ganze Grenze vertheilt wären und die Möglichkeit<lb/>
gegeben wäre, sie rasch an einem Punkte zu vereinigen. Das ist aber nicht der<lb/>
Fall, und darin liegt für die Chinesen eine gute Aussicht auf Erfolge, wenigstens<lb/>
für den Anfang des Kampfes. Mit Recht bemerkt die Kölnische Zeitung, daß<lb/>
die Generale des himmlischen Reiches den großen Vortheil für sich haben würden,<lb/>
daß sie beträchtliche Streitkräfte zu einem plötzlichen Angriffe ganz unvermerkt<lb/>
ni den Amur bringen könnten, während ihre Gegner eine durch ungeheuere<lb/>
Zwischenräume unterbrochene Linie einnehmen würden. Die Wüste, durch welche<lb/>
die Chinesen zu marschiren hätten, würde kein sehr wesentliches Hinderniß sein,<lb/>
da die schiffbare Sungara ihnen eine vortreffliche Wasserstraße darbieten würde,<lb/>
die gerade auf die schwächsten Punkte der Amurlinie stößt. Wollte man ein¬<lb/>
werfen, daß das Gebiet der Ussura durch die Chinesen nicht bedroht sei, weil<lb/>
dieselben nicht im Stande seien, sich zu Herren über die Räuberstämme an der<lb/>
chinesischen Ussura zu machen, so läßt sich dagegen anführen, daß es den Russen<lb/>
mit den räuberischen Kirgisenhorden in den Gebieten von Semipcilatinsk, Akma-<lb/>
linsk und Turgaisk kaum viel besser ergeht. Ja, es ist mit Bestimmtheit anzu¬<lb/>
nehmen, daß die Himmlischen nicht einen Augenblick Bedenken tragen würden,<lb/>
die Räuberstämme ihrer Nordostprovinzen in gleicher Weise gegen das Ussura-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] zumal da er Feinde im Innern zu bekämpfen hatte und weder gut geschulte Truppen noch genügende Waffen besaß. Man hatte russischerseits eine Kette von Grenzforts, reguläre Soldaten im äußersten Osten Sibiriens, Artillerie in Nertschinsk und Selenginsk. Die Kosaken dieser Gegenden hatten den kriege¬ rischen Geist ihrer Vorfahren bewahrt, welcher dem Zaren das Land erobert hatte. Während der langen Ruhezeit zwischen damals und jetzt ist es anders geworden. Die Forts in jenem Theile Sibiriens sind theils zerfallen, theils verschwunden. Die Grenze ist nur schwach mit regelmäßigen Truppen besetzt, und die Kosaken haben sich in eine mehr oder minder friedliche Polizei ver¬ wandelt. Dabei hat sich die Grenze um mehrere tausend Kilometer verlängert, und einer raschen Verstärkung der wenigen Truppen am Amur und der Ussura stehen die schlechte Beschaffenheit der Landstraßen und der gänzliche Mangel an solchen in vielen Gegenden als bedenkliche Hindernisse entgegen. Die Chinesen dagegen sind gegenwärtig bessere Soldaten als ehedem, sie haben zum großen Theile Präcisionswaffen und sind sie im Besitz gewisser anderer militärischer Vortheile, von denen wir nur den hervorheben, daß sie die Punkte ihres Angriffs wählen können. Obgleich nämlich die kriegerische Bedeutung der in Ostsibirien angesiedelten Kosaken erheblich abgenommen hat und Nachschübe guter Truppen auf dem Landwege erst spät eintreffen können, würde eine erfolgreiche Kriegführung Rußlands nicht unmöglich sein, wenn die Linienbataillone desselben nicht an den Anfangs- und Endpunkten der unermeßlichen Gebiete des Amur und der Ussura zusammen¬ gezogen, sondern über die ganze Grenze vertheilt wären und die Möglichkeit gegeben wäre, sie rasch an einem Punkte zu vereinigen. Das ist aber nicht der Fall, und darin liegt für die Chinesen eine gute Aussicht auf Erfolge, wenigstens für den Anfang des Kampfes. Mit Recht bemerkt die Kölnische Zeitung, daß die Generale des himmlischen Reiches den großen Vortheil für sich haben würden, daß sie beträchtliche Streitkräfte zu einem plötzlichen Angriffe ganz unvermerkt ni den Amur bringen könnten, während ihre Gegner eine durch ungeheuere Zwischenräume unterbrochene Linie einnehmen würden. Die Wüste, durch welche die Chinesen zu marschiren hätten, würde kein sehr wesentliches Hinderniß sein, da die schiffbare Sungara ihnen eine vortreffliche Wasserstraße darbieten würde, die gerade auf die schwächsten Punkte der Amurlinie stößt. Wollte man ein¬ werfen, daß das Gebiet der Ussura durch die Chinesen nicht bedroht sei, weil dieselben nicht im Stande seien, sich zu Herren über die Räuberstämme an der chinesischen Ussura zu machen, so läßt sich dagegen anführen, daß es den Russen mit den räuberischen Kirgisenhorden in den Gebieten von Semipcilatinsk, Akma- linsk und Turgaisk kaum viel besser ergeht. Ja, es ist mit Bestimmtheit anzu¬ nehmen, daß die Himmlischen nicht einen Augenblick Bedenken tragen würden, die Räuberstämme ihrer Nordostprovinzen in gleicher Weise gegen das Ussura-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/400>, abgerufen am 22.07.2024.