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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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die am Kriege mit der Pforte theilgenommen hatten. Dabei hatte man meist
die Vorsicht gebraucht, jenen solche Gebietstheile zuzuweisen, deren Bevölkerung,
von gleicher Nationalität wie die Erwerber, sich gern annectiren ließ. Nur
den Albanesen gegenüber wurde diese Vorsicht außer Acht gelassen. Der größte
Theil ihres Landes sollte dem Sultan verbleiben, ein Stückchen wurde Oesterreich
zugesprochen, und ein schmaler Streifen für den Fürsten von Montenegro be¬
stimmt. Die letztgenannte Dotation schloß die Gegenden von Gusinje und Plawa
ein. Gegen diese Zutheilung albanesischen Landes an den Herrn der Schwarzen
Berge bildete sich ein geheimer Bund der Stämme des Nordens und der Mitte
von Albanien, der fortwährend an Ausdehnung gewann, dem sich auch die
christlichen Gegen anschlössen, und der zunächst die Abwehr der obigen Zu-
muthung mit Waffengewalt, dann auch weitergehende Zwecke ins Auge faßte.
Bald zeigte sich, daß diesem Bunde, der albanesischen Liga, gegenüber die Ab¬
tretung von Gusinje und Plawa an Montenegro unmöglich oder doch nur mit
großen Schwierigkeiten zu bewerkstelligen war. Montenegro sollte in Folge
dessen mit anderen Gebietstheilen der Türkei entschädigt werden, die ebenfalls
zu Albanien gehörten. Die Pforte willigte ein, und die Botschafter der Gro߬
mächte in Constantinopel ratifieirten am 12. April dieses Jahres das zwischen
dein Sultan und dem Fürsten nitida in dieser Beziehung getroffene Abkommen.
Hiernach sollte die neue Grenze zwischen der Türkei und Montenegro am Meere
von Kruci bis zum See von Skutari, von dort quer über letzteren hinweg und
durch die Golfe Castrati Hotel, sowie weiterhin über die Berge Kühe und Hotel
bis an den Fluß Zea stromaufwärts von Cerei gehen, dann dem genannten
Flusse bis zum Berge Golich und dem Dorfe Seine folgen und von hier aus
zum Passe Sukotnile hinaufsteigen, von wo sie dem Kamme der Jeznica-Gebirge
sich anschließen, darauf das Thal von Vermos durchschneiden und sich den
Gipfel des Berges Stoeiea zuwenden sollte, um sich alsdann über die Gipfel
von Lipovnica und Zemratin bis auf die Spitze des Berges Visitar zu erstrecken,
von wo sie bei Mokra Planina ihr Ende erreichen sollte. Das letztere, sowie
das Dorf Seine sollten der Türkei verbleiben. Weiter hieß es in dem von den
Großmächten sanctionirten Uebereinkommen: "Die ottomanischen Truppen sind
verpflichtet, binnen einer Frist von zehn Tagen, von der Unterzeichnung gegen¬
wärtigen Actes angerechnet, die Punkte, welche sie in diesem Augenblicke außer¬
halb der neuen Grenzen des Reiches besetzt halten, zu räumen- Vierundzwanzig
Stunden vor der Räumung werden die Befehlshaber der von den Truppen der
ottomanischen Armee besetzten Punkte den Commandanten der montenegrinischen
Armee in Podgoritza von der Stunde, in der sie sich von den occupirten Punkten
zurückziehen müssen, in Kenntniß setzen. Sie werden diese Stunde abwarten,
ohne sich mit ihren Truppen von diesen Punkten zu entfernen. Nach voll-


die am Kriege mit der Pforte theilgenommen hatten. Dabei hatte man meist
die Vorsicht gebraucht, jenen solche Gebietstheile zuzuweisen, deren Bevölkerung,
von gleicher Nationalität wie die Erwerber, sich gern annectiren ließ. Nur
den Albanesen gegenüber wurde diese Vorsicht außer Acht gelassen. Der größte
Theil ihres Landes sollte dem Sultan verbleiben, ein Stückchen wurde Oesterreich
zugesprochen, und ein schmaler Streifen für den Fürsten von Montenegro be¬
stimmt. Die letztgenannte Dotation schloß die Gegenden von Gusinje und Plawa
ein. Gegen diese Zutheilung albanesischen Landes an den Herrn der Schwarzen
Berge bildete sich ein geheimer Bund der Stämme des Nordens und der Mitte
von Albanien, der fortwährend an Ausdehnung gewann, dem sich auch die
christlichen Gegen anschlössen, und der zunächst die Abwehr der obigen Zu-
muthung mit Waffengewalt, dann auch weitergehende Zwecke ins Auge faßte.
Bald zeigte sich, daß diesem Bunde, der albanesischen Liga, gegenüber die Ab¬
tretung von Gusinje und Plawa an Montenegro unmöglich oder doch nur mit
großen Schwierigkeiten zu bewerkstelligen war. Montenegro sollte in Folge
dessen mit anderen Gebietstheilen der Türkei entschädigt werden, die ebenfalls
zu Albanien gehörten. Die Pforte willigte ein, und die Botschafter der Gro߬
mächte in Constantinopel ratifieirten am 12. April dieses Jahres das zwischen
dein Sultan und dem Fürsten nitida in dieser Beziehung getroffene Abkommen.
Hiernach sollte die neue Grenze zwischen der Türkei und Montenegro am Meere
von Kruci bis zum See von Skutari, von dort quer über letzteren hinweg und
durch die Golfe Castrati Hotel, sowie weiterhin über die Berge Kühe und Hotel
bis an den Fluß Zea stromaufwärts von Cerei gehen, dann dem genannten
Flusse bis zum Berge Golich und dem Dorfe Seine folgen und von hier aus
zum Passe Sukotnile hinaufsteigen, von wo sie dem Kamme der Jeznica-Gebirge
sich anschließen, darauf das Thal von Vermos durchschneiden und sich den
Gipfel des Berges Stoeiea zuwenden sollte, um sich alsdann über die Gipfel
von Lipovnica und Zemratin bis auf die Spitze des Berges Visitar zu erstrecken,
von wo sie bei Mokra Planina ihr Ende erreichen sollte. Das letztere, sowie
das Dorf Seine sollten der Türkei verbleiben. Weiter hieß es in dem von den
Großmächten sanctionirten Uebereinkommen: „Die ottomanischen Truppen sind
verpflichtet, binnen einer Frist von zehn Tagen, von der Unterzeichnung gegen¬
wärtigen Actes angerechnet, die Punkte, welche sie in diesem Augenblicke außer¬
halb der neuen Grenzen des Reiches besetzt halten, zu räumen- Vierundzwanzig
Stunden vor der Räumung werden die Befehlshaber der von den Truppen der
ottomanischen Armee besetzten Punkte den Commandanten der montenegrinischen
Armee in Podgoritza von der Stunde, in der sie sich von den occupirten Punkten
zurückziehen müssen, in Kenntniß setzen. Sie werden diese Stunde abwarten,
ohne sich mit ihren Truppen von diesen Punkten zu entfernen. Nach voll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/360>, abgerufen am 29.06.2024.