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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Wiederum kann es uns nicht einfallen, leugnen zu wollen, daß in der That
die religiöse Umwälzung einen hervorragenden Einfluß auf den Ausbruch des
Bauernkrieges gehabt hat. Was stand noch fest im Himmel und auf Erden,
wenn diese uralte Kirche fiel! Nur freilich einen Vorwurf gegen Luther selbst
oder gegen die Reformation überhaupt daraus niemals abzuleiten. Niemals
hätte der Haß der Massen gegen die alte Kirche fo furchtbar hervorbrechen
können, wäre wirklich diese Kirche im Herzen des Volkes noch tief gewurzelt
gewesen, Hütte sie nicht durch die schwersten Mißbräuche seit Jahrzehnten gereizt
und verstimmt. Nicht die, welche die Hülle wegrissen von dieser Fäulniß, trifft
die Schuld an der furchtbaren Revolution, sondern die Gewissenlosen, welche trotz
dringender, seit Jahrzehnten wiederholten Mahnungen nichts gethan hatten, um
das Verderben zu heilen.

So tritt auch hier wieder der innerste Mangel in Janssens ganzer Auf¬
fassung hervor. Wer die Kirche des ausgehenden Mittelalters, einzelne Mängel
abgerechnet, für innerlich gesund hält, der kann freilich die Motive der Refor¬
mation nicht begreifen, kann weder sie noch die mit ihr verbundenen Erscheinungen
auch nur pragmatisch erklären. Eine verschwindend geringe Minorität hab¬
gieriger Kaufleute und Juristen, leidenschaftlicher Theologen und Literaten war
nicht im Staude, ein ganzes großes Volk in leidenschaftliche Erregung zu ver¬
setzen, wenn wirklich nur einzelne Mißbräuche es drückten, nicht der ganze Zustand
als unerträglich empfunden wurde.

Wenn aber von Janssens Standpunkte aus die Reformation weder in
ihrer welthistorischen Bedeutung gewürdigt noch auch nur pragmatisch begriffen
werden kann, so führt ihn seine Grundanschauung auch zu einer Reihe schiefer,
ja widerspruchsvoller Urtheile im Einzelnen und zu schlechtweg parteiischer,
verdunkelnder Behandlung solcher Momente, die für die von ihm bekämpfte
Richtung ein günstigeres Vorurtheil erwecken müssen. Wir bedauern das auf¬
richtig und zwar vornehmlich aus zwei Gründe". Janssens Werk hat in der
That große Vorzüge; es bietet ein erstaunlich reiches, mit unendlichen Fleiße
zusammengearbeitetes Material in guter Ordnung und einer wenn auch nicht
glänzenden, so doch lesbaren Darstellung; es stellt die Culturzustände des
15- Jahrhunders so ausführlich dar, wie man es kaum irgendwo sonst findet,
und berücksichtigt in sehr dankenswerther Weise die zeitgenössische Literatur, aus
der die öffentliche Meinung neben den Ereignissen selber wirkungsvoll zur
Geltung kommt. Das alles aber wird in den Dienst einer durchaus einseitigen
Auffassung gestellt, und fast noch bedauerlicher ist es, daß die tendenziöse Dar-
stellung Janssens in der That einen Rückschritt in der katholischen Geschichts¬
auffassung bezeichnet. Werke etwa wie Kmnpschultes treffliches Buch über die
Universität Erfurt im Zeitalter der Reformation oder Ritters Geschichte der


Wiederum kann es uns nicht einfallen, leugnen zu wollen, daß in der That
die religiöse Umwälzung einen hervorragenden Einfluß auf den Ausbruch des
Bauernkrieges gehabt hat. Was stand noch fest im Himmel und auf Erden,
wenn diese uralte Kirche fiel! Nur freilich einen Vorwurf gegen Luther selbst
oder gegen die Reformation überhaupt daraus niemals abzuleiten. Niemals
hätte der Haß der Massen gegen die alte Kirche fo furchtbar hervorbrechen
können, wäre wirklich diese Kirche im Herzen des Volkes noch tief gewurzelt
gewesen, Hütte sie nicht durch die schwersten Mißbräuche seit Jahrzehnten gereizt
und verstimmt. Nicht die, welche die Hülle wegrissen von dieser Fäulniß, trifft
die Schuld an der furchtbaren Revolution, sondern die Gewissenlosen, welche trotz
dringender, seit Jahrzehnten wiederholten Mahnungen nichts gethan hatten, um
das Verderben zu heilen.

So tritt auch hier wieder der innerste Mangel in Janssens ganzer Auf¬
fassung hervor. Wer die Kirche des ausgehenden Mittelalters, einzelne Mängel
abgerechnet, für innerlich gesund hält, der kann freilich die Motive der Refor¬
mation nicht begreifen, kann weder sie noch die mit ihr verbundenen Erscheinungen
auch nur pragmatisch erklären. Eine verschwindend geringe Minorität hab¬
gieriger Kaufleute und Juristen, leidenschaftlicher Theologen und Literaten war
nicht im Staude, ein ganzes großes Volk in leidenschaftliche Erregung zu ver¬
setzen, wenn wirklich nur einzelne Mißbräuche es drückten, nicht der ganze Zustand
als unerträglich empfunden wurde.

Wenn aber von Janssens Standpunkte aus die Reformation weder in
ihrer welthistorischen Bedeutung gewürdigt noch auch nur pragmatisch begriffen
werden kann, so führt ihn seine Grundanschauung auch zu einer Reihe schiefer,
ja widerspruchsvoller Urtheile im Einzelnen und zu schlechtweg parteiischer,
verdunkelnder Behandlung solcher Momente, die für die von ihm bekämpfte
Richtung ein günstigeres Vorurtheil erwecken müssen. Wir bedauern das auf¬
richtig und zwar vornehmlich aus zwei Gründe». Janssens Werk hat in der
That große Vorzüge; es bietet ein erstaunlich reiches, mit unendlichen Fleiße
zusammengearbeitetes Material in guter Ordnung und einer wenn auch nicht
glänzenden, so doch lesbaren Darstellung; es stellt die Culturzustände des
15- Jahrhunders so ausführlich dar, wie man es kaum irgendwo sonst findet,
und berücksichtigt in sehr dankenswerther Weise die zeitgenössische Literatur, aus
der die öffentliche Meinung neben den Ereignissen selber wirkungsvoll zur
Geltung kommt. Das alles aber wird in den Dienst einer durchaus einseitigen
Auffassung gestellt, und fast noch bedauerlicher ist es, daß die tendenziöse Dar-
stellung Janssens in der That einen Rückschritt in der katholischen Geschichts¬
auffassung bezeichnet. Werke etwa wie Kmnpschultes treffliches Buch über die
Universität Erfurt im Zeitalter der Reformation oder Ritters Geschichte der


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[0347] Wiederum kann es uns nicht einfallen, leugnen zu wollen, daß in der That die religiöse Umwälzung einen hervorragenden Einfluß auf den Ausbruch des Bauernkrieges gehabt hat. Was stand noch fest im Himmel und auf Erden, wenn diese uralte Kirche fiel! Nur freilich einen Vorwurf gegen Luther selbst oder gegen die Reformation überhaupt daraus niemals abzuleiten. Niemals hätte der Haß der Massen gegen die alte Kirche fo furchtbar hervorbrechen können, wäre wirklich diese Kirche im Herzen des Volkes noch tief gewurzelt gewesen, Hütte sie nicht durch die schwersten Mißbräuche seit Jahrzehnten gereizt und verstimmt. Nicht die, welche die Hülle wegrissen von dieser Fäulniß, trifft die Schuld an der furchtbaren Revolution, sondern die Gewissenlosen, welche trotz dringender, seit Jahrzehnten wiederholten Mahnungen nichts gethan hatten, um das Verderben zu heilen. So tritt auch hier wieder der innerste Mangel in Janssens ganzer Auf¬ fassung hervor. Wer die Kirche des ausgehenden Mittelalters, einzelne Mängel abgerechnet, für innerlich gesund hält, der kann freilich die Motive der Refor¬ mation nicht begreifen, kann weder sie noch die mit ihr verbundenen Erscheinungen auch nur pragmatisch erklären. Eine verschwindend geringe Minorität hab¬ gieriger Kaufleute und Juristen, leidenschaftlicher Theologen und Literaten war nicht im Staude, ein ganzes großes Volk in leidenschaftliche Erregung zu ver¬ setzen, wenn wirklich nur einzelne Mißbräuche es drückten, nicht der ganze Zustand als unerträglich empfunden wurde. Wenn aber von Janssens Standpunkte aus die Reformation weder in ihrer welthistorischen Bedeutung gewürdigt noch auch nur pragmatisch begriffen werden kann, so führt ihn seine Grundanschauung auch zu einer Reihe schiefer, ja widerspruchsvoller Urtheile im Einzelnen und zu schlechtweg parteiischer, verdunkelnder Behandlung solcher Momente, die für die von ihm bekämpfte Richtung ein günstigeres Vorurtheil erwecken müssen. Wir bedauern das auf¬ richtig und zwar vornehmlich aus zwei Gründe». Janssens Werk hat in der That große Vorzüge; es bietet ein erstaunlich reiches, mit unendlichen Fleiße zusammengearbeitetes Material in guter Ordnung und einer wenn auch nicht glänzenden, so doch lesbaren Darstellung; es stellt die Culturzustände des 15- Jahrhunders so ausführlich dar, wie man es kaum irgendwo sonst findet, und berücksichtigt in sehr dankenswerther Weise die zeitgenössische Literatur, aus der die öffentliche Meinung neben den Ereignissen selber wirkungsvoll zur Geltung kommt. Das alles aber wird in den Dienst einer durchaus einseitigen Auffassung gestellt, und fast noch bedauerlicher ist es, daß die tendenziöse Dar- stellung Janssens in der That einen Rückschritt in der katholischen Geschichts¬ auffassung bezeichnet. Werke etwa wie Kmnpschultes treffliches Buch über die Universität Erfurt im Zeitalter der Reformation oder Ritters Geschichte der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/347>, abgerufen am 22.07.2024.