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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Union tragen ein durchaus objectives Gepräge, werden beiden Theilen so gerecht,
wie es nur möglich ist für Männer, die eben doch einem dieser Theile ange¬
hören. Es ist nicht wohlgethan, diesen mühsam gewonnenen Standpunkt wieder
zu verlassen und den Protestantismus darzustellen als das Werk einer selbst¬
süchtigen, leidenschaftlichen Minorität, als einen schlechterdings unberechtigten
Abfall von der kirchlichen Wahrheit. Wir Deutsche sind darauf angewiesen, uns
trotz confessioneller Gegensätze mit einander zu vertragen. Jene einseitig theo¬
logische Auffassung der Reformation, die auf protestantischer Seite alles Recht,
auf katholischer alles Unrecht sah, den Zusammenhang aber zwischen der kirch¬
lichen und der social-politischen Erhebung einfach ignorirte, hat längst einer
unbefangenen, wirklich historischen Betrachtung Platz gemacht. Wir Protestanten
wissen die historische Bedeutung und Berechtigung des Katholicismus völlig zu
würdigen; da fordern wir, daß man von der anderen Seite auch unserem
Standpunkte historische Gerechtigkeit erweise. Will oder kann man das nicht,
so schreibe man nicht die Geschichte der Reformationszeit.




politische Briefe.
1^2. von Hamburg nach Rom.

Von Hamburg nach Rom hat der Reichskanzler am 8. Mai die Hörer
geführt, deren Kreis weit über den Sitzungssaal hinausreichte. Er sprach von
Hamburg, als er von der Elbschifsfcchrtsacte sprach, und er sprach von Rom,
als er vor dem Particularismus warnte, der in der Behandlung der hambur-
gischen Angelegenheit wieder in hellen Flammen emporschlägt. Die weltgeschicht¬
liche Schlacht gegen Rom steht auf dem Punkte, gewonnen zu werden; da bricht
im siegenden Heere die Meuterei des Particularismus aus, und im Augenblicke
des bevorstehenden Triumphes kann der siegreiche Feldherr sich düsterer Klagen
nicht erwehren über die drohende Vereitlung des bis zum Punkte des Gelin¬
gens geführten Planes. Das verwunderte Heer meint theils, der Feldherr
müsse doch seiue Sache schlecht gemacht haben, theils spricht es -- und das
sind die Verbündeten des Feindes --: "Jetzt müßt Ihr den Stolzen demüthigen
und ihm den Sturz bereiten, von dem er sich nicht wieder erhebt." Dies ist
die Lage Deutschlands seit dem 8. Mai.

Sonderbar ist der Zusammenhang zwischen Elbschifffahrtscicte und Rom,


Union tragen ein durchaus objectives Gepräge, werden beiden Theilen so gerecht,
wie es nur möglich ist für Männer, die eben doch einem dieser Theile ange¬
hören. Es ist nicht wohlgethan, diesen mühsam gewonnenen Standpunkt wieder
zu verlassen und den Protestantismus darzustellen als das Werk einer selbst¬
süchtigen, leidenschaftlichen Minorität, als einen schlechterdings unberechtigten
Abfall von der kirchlichen Wahrheit. Wir Deutsche sind darauf angewiesen, uns
trotz confessioneller Gegensätze mit einander zu vertragen. Jene einseitig theo¬
logische Auffassung der Reformation, die auf protestantischer Seite alles Recht,
auf katholischer alles Unrecht sah, den Zusammenhang aber zwischen der kirch¬
lichen und der social-politischen Erhebung einfach ignorirte, hat längst einer
unbefangenen, wirklich historischen Betrachtung Platz gemacht. Wir Protestanten
wissen die historische Bedeutung und Berechtigung des Katholicismus völlig zu
würdigen; da fordern wir, daß man von der anderen Seite auch unserem
Standpunkte historische Gerechtigkeit erweise. Will oder kann man das nicht,
so schreibe man nicht die Geschichte der Reformationszeit.




politische Briefe.
1^2. von Hamburg nach Rom.

Von Hamburg nach Rom hat der Reichskanzler am 8. Mai die Hörer
geführt, deren Kreis weit über den Sitzungssaal hinausreichte. Er sprach von
Hamburg, als er von der Elbschifsfcchrtsacte sprach, und er sprach von Rom,
als er vor dem Particularismus warnte, der in der Behandlung der hambur-
gischen Angelegenheit wieder in hellen Flammen emporschlägt. Die weltgeschicht¬
liche Schlacht gegen Rom steht auf dem Punkte, gewonnen zu werden; da bricht
im siegenden Heere die Meuterei des Particularismus aus, und im Augenblicke
des bevorstehenden Triumphes kann der siegreiche Feldherr sich düsterer Klagen
nicht erwehren über die drohende Vereitlung des bis zum Punkte des Gelin¬
gens geführten Planes. Das verwunderte Heer meint theils, der Feldherr
müsse doch seiue Sache schlecht gemacht haben, theils spricht es — und das
sind die Verbündeten des Feindes —: „Jetzt müßt Ihr den Stolzen demüthigen
und ihm den Sturz bereiten, von dem er sich nicht wieder erhebt." Dies ist
die Lage Deutschlands seit dem 8. Mai.

Sonderbar ist der Zusammenhang zwischen Elbschifffahrtscicte und Rom,


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[0348] Union tragen ein durchaus objectives Gepräge, werden beiden Theilen so gerecht, wie es nur möglich ist für Männer, die eben doch einem dieser Theile ange¬ hören. Es ist nicht wohlgethan, diesen mühsam gewonnenen Standpunkt wieder zu verlassen und den Protestantismus darzustellen als das Werk einer selbst¬ süchtigen, leidenschaftlichen Minorität, als einen schlechterdings unberechtigten Abfall von der kirchlichen Wahrheit. Wir Deutsche sind darauf angewiesen, uns trotz confessioneller Gegensätze mit einander zu vertragen. Jene einseitig theo¬ logische Auffassung der Reformation, die auf protestantischer Seite alles Recht, auf katholischer alles Unrecht sah, den Zusammenhang aber zwischen der kirch¬ lichen und der social-politischen Erhebung einfach ignorirte, hat längst einer unbefangenen, wirklich historischen Betrachtung Platz gemacht. Wir Protestanten wissen die historische Bedeutung und Berechtigung des Katholicismus völlig zu würdigen; da fordern wir, daß man von der anderen Seite auch unserem Standpunkte historische Gerechtigkeit erweise. Will oder kann man das nicht, so schreibe man nicht die Geschichte der Reformationszeit. politische Briefe. 1^2. von Hamburg nach Rom. Von Hamburg nach Rom hat der Reichskanzler am 8. Mai die Hörer geführt, deren Kreis weit über den Sitzungssaal hinausreichte. Er sprach von Hamburg, als er von der Elbschifsfcchrtsacte sprach, und er sprach von Rom, als er vor dem Particularismus warnte, der in der Behandlung der hambur- gischen Angelegenheit wieder in hellen Flammen emporschlägt. Die weltgeschicht¬ liche Schlacht gegen Rom steht auf dem Punkte, gewonnen zu werden; da bricht im siegenden Heere die Meuterei des Particularismus aus, und im Augenblicke des bevorstehenden Triumphes kann der siegreiche Feldherr sich düsterer Klagen nicht erwehren über die drohende Vereitlung des bis zum Punkte des Gelin¬ gens geführten Planes. Das verwunderte Heer meint theils, der Feldherr müsse doch seiue Sache schlecht gemacht haben, theils spricht es — und das sind die Verbündeten des Feindes —: „Jetzt müßt Ihr den Stolzen demüthigen und ihm den Sturz bereiten, von dem er sich nicht wieder erhebt." Dies ist die Lage Deutschlands seit dem 8. Mai. Sonderbar ist der Zusammenhang zwischen Elbschifffahrtscicte und Rom,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/348>, abgerufen am 22.07.2024.