Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

und wenn er dann gelegentlich blutige Empörung vorausgesehen und voraus¬
verkündigt hat, so heißt das nicht die Empörung wünschen oder machen.

Daß Karls V. Auftreten gegen Luther von Janssen völlig gebilligt wird,
versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Ja seine Wahl am 28. Juni 1519
erscheint als ein Triumph der deutschen Nationalpartei gegenüber den selbst¬
süchtigen Intriguen der Fürsten und den Bewerbungen Franz' I. von Frankreich.
Freilich wird dabei gänzlich übersehen, daß der König die Wahl des Habsbur¬
gers mit allen Mitteln bekämpfen mußte, weil er die erdrückende Uebermacht,
der spanisch-habsburgischen Monarchie voraussah und deshalb verhindern wollte.
So findet denn auch Luthers Auftreten in Worms keine auch nur halbwegs
anschauliche und genügende Darstellung; die doch in jedem Falle gewaltige
Scene vom 18. April 1521 wird in drei Zeilen abgethan (II, 169). Ja Luthers
Verhalten erscheint Janssen um so tadelnswerther, als "in keiner Periode deut¬
scher Geschichte eine wirkliche Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern
eine günstigere Aussicht auf Erfolg" wie damals hatte, deun "in kurzem" wurde
Adrian VI. auf den Thron erhoben, von dessen "glühendem Reformeifer alle
Welt überzeugt" war. Eine stärkere Sophistik ist nicht denkbar. Einmal konnte
im April 1521 noch Niemand wissen, daß im November Leo X. sterben und
gerade Adrian VI. ihm folgen werde; sodann hat der aufrichtige Refvrmeifer
des letzten deutsche!: Papstes nicht das mindeste zu Stande gebracht. Wie konnte
also jenes für Entschlüsse, die im April zu fassen waren, maßgebend sein, und
was hat der ehrliche Wille des Papstes nachmals wirklich erreicht?

Während das Verhalten Luthers und seiner Freunde so die schärfste Ver¬
urteilung erfährt, verliert der Verfasser kein Wort über die Politik Karls V.,
der Deutschland in der größten Gährung zurückließ, ohne auch nur einen Finger
zu rühren, um die zahllosen Mißstände in Kirche und Staat zu heben, Der
undeutsche Charakter seiner Persönlichkeit und seiner Stellung wäre ja daun
sofort klar geworden. Um so genauer schildert der Verfasser die "Aufwiegelung
des Volkes durch Presse und Predigt", an der natürlich Luther die Hauptschuld
trifft. Beflissen und in unverhältnißmäßiger Ausführlichkeit werden dann die
Vorgänge in Nürnberg, besonders die Auflösung des Clarissenklosters dargestellt,
dann das Durcheinander der Lehrmeinungen auf evangelischer Seite, über das
sich bei einer so stürmischen Bewegung kein Unbefangener wundern wird, endlich
auch der angeblich entsittlichenden Folgen der religiösen Verwirrung gedacht.

Das zweite Buch des zweiten Bandes ist der ausführlichen Darstellung
des Bauernkrieges mit besonderer Hervorhebung seines arti-katholischen Charak¬
ters gewidmet, des Bauernkrieges, der nur als die logische Konsequenz der bis¬
her geschilderten Verhältnisse, namentlich der Erschütterung aller Autorität und
im Besonderen der fortgesetzten Angriffe auf die kirchliche Ordnung erscheint.


und wenn er dann gelegentlich blutige Empörung vorausgesehen und voraus¬
verkündigt hat, so heißt das nicht die Empörung wünschen oder machen.

Daß Karls V. Auftreten gegen Luther von Janssen völlig gebilligt wird,
versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Ja seine Wahl am 28. Juni 1519
erscheint als ein Triumph der deutschen Nationalpartei gegenüber den selbst¬
süchtigen Intriguen der Fürsten und den Bewerbungen Franz' I. von Frankreich.
Freilich wird dabei gänzlich übersehen, daß der König die Wahl des Habsbur¬
gers mit allen Mitteln bekämpfen mußte, weil er die erdrückende Uebermacht,
der spanisch-habsburgischen Monarchie voraussah und deshalb verhindern wollte.
So findet denn auch Luthers Auftreten in Worms keine auch nur halbwegs
anschauliche und genügende Darstellung; die doch in jedem Falle gewaltige
Scene vom 18. April 1521 wird in drei Zeilen abgethan (II, 169). Ja Luthers
Verhalten erscheint Janssen um so tadelnswerther, als „in keiner Periode deut¬
scher Geschichte eine wirkliche Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern
eine günstigere Aussicht auf Erfolg" wie damals hatte, deun „in kurzem" wurde
Adrian VI. auf den Thron erhoben, von dessen „glühendem Reformeifer alle
Welt überzeugt" war. Eine stärkere Sophistik ist nicht denkbar. Einmal konnte
im April 1521 noch Niemand wissen, daß im November Leo X. sterben und
gerade Adrian VI. ihm folgen werde; sodann hat der aufrichtige Refvrmeifer
des letzten deutsche!: Papstes nicht das mindeste zu Stande gebracht. Wie konnte
also jenes für Entschlüsse, die im April zu fassen waren, maßgebend sein, und
was hat der ehrliche Wille des Papstes nachmals wirklich erreicht?

Während das Verhalten Luthers und seiner Freunde so die schärfste Ver¬
urteilung erfährt, verliert der Verfasser kein Wort über die Politik Karls V.,
der Deutschland in der größten Gährung zurückließ, ohne auch nur einen Finger
zu rühren, um die zahllosen Mißstände in Kirche und Staat zu heben, Der
undeutsche Charakter seiner Persönlichkeit und seiner Stellung wäre ja daun
sofort klar geworden. Um so genauer schildert der Verfasser die „Aufwiegelung
des Volkes durch Presse und Predigt", an der natürlich Luther die Hauptschuld
trifft. Beflissen und in unverhältnißmäßiger Ausführlichkeit werden dann die
Vorgänge in Nürnberg, besonders die Auflösung des Clarissenklosters dargestellt,
dann das Durcheinander der Lehrmeinungen auf evangelischer Seite, über das
sich bei einer so stürmischen Bewegung kein Unbefangener wundern wird, endlich
auch der angeblich entsittlichenden Folgen der religiösen Verwirrung gedacht.

Das zweite Buch des zweiten Bandes ist der ausführlichen Darstellung
des Bauernkrieges mit besonderer Hervorhebung seines arti-katholischen Charak¬
ters gewidmet, des Bauernkrieges, der nur als die logische Konsequenz der bis¬
her geschilderten Verhältnisse, namentlich der Erschütterung aller Autorität und
im Besonderen der fortgesetzten Angriffe auf die kirchliche Ordnung erscheint.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146851"/>
          <p xml:id="ID_1011" prev="#ID_1010"> und wenn er dann gelegentlich blutige Empörung vorausgesehen und voraus¬<lb/>
verkündigt hat, so heißt das nicht die Empörung wünschen oder machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> Daß Karls V. Auftreten gegen Luther von Janssen völlig gebilligt wird,<lb/>
versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Ja seine Wahl am 28. Juni 1519<lb/>
erscheint als ein Triumph der deutschen Nationalpartei gegenüber den selbst¬<lb/>
süchtigen Intriguen der Fürsten und den Bewerbungen Franz' I. von Frankreich.<lb/>
Freilich wird dabei gänzlich übersehen, daß der König die Wahl des Habsbur¬<lb/>
gers mit allen Mitteln bekämpfen mußte, weil er die erdrückende Uebermacht,<lb/>
der spanisch-habsburgischen Monarchie voraussah und deshalb verhindern wollte.<lb/>
So findet denn auch Luthers Auftreten in Worms keine auch nur halbwegs<lb/>
anschauliche und genügende Darstellung; die doch in jedem Falle gewaltige<lb/>
Scene vom 18. April 1521 wird in drei Zeilen abgethan (II, 169). Ja Luthers<lb/>
Verhalten erscheint Janssen um so tadelnswerther, als &#x201E;in keiner Periode deut¬<lb/>
scher Geschichte eine wirkliche Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern<lb/>
eine günstigere Aussicht auf Erfolg" wie damals hatte, deun &#x201E;in kurzem" wurde<lb/>
Adrian VI. auf den Thron erhoben, von dessen &#x201E;glühendem Reformeifer alle<lb/>
Welt überzeugt" war. Eine stärkere Sophistik ist nicht denkbar. Einmal konnte<lb/>
im April 1521 noch Niemand wissen, daß im November Leo X. sterben und<lb/>
gerade Adrian VI. ihm folgen werde; sodann hat der aufrichtige Refvrmeifer<lb/>
des letzten deutsche!: Papstes nicht das mindeste zu Stande gebracht. Wie konnte<lb/>
also jenes für Entschlüsse, die im April zu fassen waren, maßgebend sein, und<lb/>
was hat der ehrliche Wille des Papstes nachmals wirklich erreicht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013"> Während das Verhalten Luthers und seiner Freunde so die schärfste Ver¬<lb/>
urteilung erfährt, verliert der Verfasser kein Wort über die Politik Karls V.,<lb/>
der Deutschland in der größten Gährung zurückließ, ohne auch nur einen Finger<lb/>
zu rühren, um die zahllosen Mißstände in Kirche und Staat zu heben, Der<lb/>
undeutsche Charakter seiner Persönlichkeit und seiner Stellung wäre ja daun<lb/>
sofort klar geworden. Um so genauer schildert der Verfasser die &#x201E;Aufwiegelung<lb/>
des Volkes durch Presse und Predigt", an der natürlich Luther die Hauptschuld<lb/>
trifft. Beflissen und in unverhältnißmäßiger Ausführlichkeit werden dann die<lb/>
Vorgänge in Nürnberg, besonders die Auflösung des Clarissenklosters dargestellt,<lb/>
dann das Durcheinander der Lehrmeinungen auf evangelischer Seite, über das<lb/>
sich bei einer so stürmischen Bewegung kein Unbefangener wundern wird, endlich<lb/>
auch der angeblich entsittlichenden Folgen der religiösen Verwirrung gedacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1014" next="#ID_1015"> Das zweite Buch des zweiten Bandes ist der ausführlichen Darstellung<lb/>
des Bauernkrieges mit besonderer Hervorhebung seines arti-katholischen Charak¬<lb/>
ters gewidmet, des Bauernkrieges, der nur als die logische Konsequenz der bis¬<lb/>
her geschilderten Verhältnisse, namentlich der Erschütterung aller Autorität und<lb/>
im Besonderen der fortgesetzten Angriffe auf die kirchliche Ordnung erscheint.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] und wenn er dann gelegentlich blutige Empörung vorausgesehen und voraus¬ verkündigt hat, so heißt das nicht die Empörung wünschen oder machen. Daß Karls V. Auftreten gegen Luther von Janssen völlig gebilligt wird, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Ja seine Wahl am 28. Juni 1519 erscheint als ein Triumph der deutschen Nationalpartei gegenüber den selbst¬ süchtigen Intriguen der Fürsten und den Bewerbungen Franz' I. von Frankreich. Freilich wird dabei gänzlich übersehen, daß der König die Wahl des Habsbur¬ gers mit allen Mitteln bekämpfen mußte, weil er die erdrückende Uebermacht, der spanisch-habsburgischen Monarchie voraussah und deshalb verhindern wollte. So findet denn auch Luthers Auftreten in Worms keine auch nur halbwegs anschauliche und genügende Darstellung; die doch in jedem Falle gewaltige Scene vom 18. April 1521 wird in drei Zeilen abgethan (II, 169). Ja Luthers Verhalten erscheint Janssen um so tadelnswerther, als „in keiner Periode deut¬ scher Geschichte eine wirkliche Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern eine günstigere Aussicht auf Erfolg" wie damals hatte, deun „in kurzem" wurde Adrian VI. auf den Thron erhoben, von dessen „glühendem Reformeifer alle Welt überzeugt" war. Eine stärkere Sophistik ist nicht denkbar. Einmal konnte im April 1521 noch Niemand wissen, daß im November Leo X. sterben und gerade Adrian VI. ihm folgen werde; sodann hat der aufrichtige Refvrmeifer des letzten deutsche!: Papstes nicht das mindeste zu Stande gebracht. Wie konnte also jenes für Entschlüsse, die im April zu fassen waren, maßgebend sein, und was hat der ehrliche Wille des Papstes nachmals wirklich erreicht? Während das Verhalten Luthers und seiner Freunde so die schärfste Ver¬ urteilung erfährt, verliert der Verfasser kein Wort über die Politik Karls V., der Deutschland in der größten Gährung zurückließ, ohne auch nur einen Finger zu rühren, um die zahllosen Mißstände in Kirche und Staat zu heben, Der undeutsche Charakter seiner Persönlichkeit und seiner Stellung wäre ja daun sofort klar geworden. Um so genauer schildert der Verfasser die „Aufwiegelung des Volkes durch Presse und Predigt", an der natürlich Luther die Hauptschuld trifft. Beflissen und in unverhältnißmäßiger Ausführlichkeit werden dann die Vorgänge in Nürnberg, besonders die Auflösung des Clarissenklosters dargestellt, dann das Durcheinander der Lehrmeinungen auf evangelischer Seite, über das sich bei einer so stürmischen Bewegung kein Unbefangener wundern wird, endlich auch der angeblich entsittlichenden Folgen der religiösen Verwirrung gedacht. Das zweite Buch des zweiten Bandes ist der ausführlichen Darstellung des Bauernkrieges mit besonderer Hervorhebung seines arti-katholischen Charak¬ ters gewidmet, des Bauernkrieges, der nur als die logische Konsequenz der bis¬ her geschilderten Verhältnisse, namentlich der Erschütterung aller Autorität und im Besonderen der fortgesetzten Angriffe auf die kirchliche Ordnung erscheint.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/346>, abgerufen am 22.07.2024.