Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

tung bestand im Zerstören", "irgend eine großartige Idee hat ihn nie bewegt"
(II, 54). Natürlich, der Gedanke der Befreiung Roms voll der römischen Hab¬
sucht und Frivolität gilt ja bei Janssen nicht als eine "großartige Idee", sondern
höchstens als der beklagenswerthe und verwerfliche Einfall einiger gewissenlosen
Hitzköpfe. Selbst Hnttens patriotische Begeisterung für Maximilian I. und seine
Kaiserherrlichkeit vermag dies Verdammungsurtheil nicht zu mildern.

Die Humanisten, leidenschaftliche Literaten ohne religiösen Sinn, neben
ihnen gewinnsüchtige Kaufleute und habgierige Juristen, diese Elemente bereiten
uach Janssen die große Umwälzung im Anfange des 16. Jahrhunderts vor, in¬
dem sie das Volk mit gährender Unzufriedenheit erfüllen und die kirchliche
Autorität und damit überhaupt jede Autorität untergraben. Das ist die Er¬
klärung, welche sich ihm für die schwere Mißstimmung, die der Kirchentrennung
und den mit ihr verbundenen Bewegungen voranging, ergiebt. Weder die sociale
und wirthschaftliche, noch die kirchliche Ordnung boten nach seiner Meinung dazu
Veranlassung.

Nach allein kann man ahnen, welche Würdigung Martin Luther selber bei
Janssen finden muß. Die Seelenstimmung, welche dein Reformator ins Kloster
führte, und welche dann nur in der angustinisch-pauliuisckien Lehre Befriedigung
fand, erscheint ihm lediglich als Ausfluß einer düsteren, selbstquälerischen Natur,
die eine harte, entbehrullgsreiche Jugend noch mehr verdüstert hatte, keineswegs
aber begründet in der damals geltenden Kirchenlehre, mit der vielmehr seine
eigene Anschauung im vollen Widerspruch gestanden habe. Auch das ist wieder¬
um nur richtig insofern, als natürlich die Lehre voll der Rechtfertigung allein
durch den Glauben an Christi Verdienst damals nicht unbekannt war, aber
ebenso unzweifelhaft war die Praxis der damaligen Kirche pelagianisch, und das
Ordenswesen mit seinen peinlichen Forderungen konnte eine zu ernster Selbst-
Prüfung geneigte Natur wie die Luthers sehr wohl zu völliger Verzweiflung
treiben. Von der stufenweise" Entwicklung Luthers erhält der Leser bei Janssen
durchaus keine Anschauung; die Leipziger Disputation, welche seine Stellung
entschied, wird nur erwähnt, ihre Bedeutung aber nicht mit einem Worte ge¬
würdigt (II, 83 fg.). Um so ausführlicher geht der Verfasser auf die enge
Verbindung Luthers mit der humanistisch-reichsritterlichen Bewegungspartei,
besonders mit Hütten ein, damit der revolutionäre Charakter der Lutherischen
Sache und seine Mitschuld an den Erhebungen der nächsten Jahre um so schärfer
hervortrete. Unzweifelhaft hat diese Verbindung bestanden, aber den Revolu-
tionsprojecten Hutteus und Sickingens, welche überdies erst nach den Scheitern
ihrer Hoffnungen auf Karl V. greifbare Gestalt gewannen, hat ebenso unzwei¬
felhaft der Reformator niemals zugestimmt, sie vielmehr weit von sich gewiesen,


tung bestand im Zerstören", „irgend eine großartige Idee hat ihn nie bewegt"
(II, 54). Natürlich, der Gedanke der Befreiung Roms voll der römischen Hab¬
sucht und Frivolität gilt ja bei Janssen nicht als eine „großartige Idee", sondern
höchstens als der beklagenswerthe und verwerfliche Einfall einiger gewissenlosen
Hitzköpfe. Selbst Hnttens patriotische Begeisterung für Maximilian I. und seine
Kaiserherrlichkeit vermag dies Verdammungsurtheil nicht zu mildern.

Die Humanisten, leidenschaftliche Literaten ohne religiösen Sinn, neben
ihnen gewinnsüchtige Kaufleute und habgierige Juristen, diese Elemente bereiten
uach Janssen die große Umwälzung im Anfange des 16. Jahrhunderts vor, in¬
dem sie das Volk mit gährender Unzufriedenheit erfüllen und die kirchliche
Autorität und damit überhaupt jede Autorität untergraben. Das ist die Er¬
klärung, welche sich ihm für die schwere Mißstimmung, die der Kirchentrennung
und den mit ihr verbundenen Bewegungen voranging, ergiebt. Weder die sociale
und wirthschaftliche, noch die kirchliche Ordnung boten nach seiner Meinung dazu
Veranlassung.

Nach allein kann man ahnen, welche Würdigung Martin Luther selber bei
Janssen finden muß. Die Seelenstimmung, welche dein Reformator ins Kloster
führte, und welche dann nur in der angustinisch-pauliuisckien Lehre Befriedigung
fand, erscheint ihm lediglich als Ausfluß einer düsteren, selbstquälerischen Natur,
die eine harte, entbehrullgsreiche Jugend noch mehr verdüstert hatte, keineswegs
aber begründet in der damals geltenden Kirchenlehre, mit der vielmehr seine
eigene Anschauung im vollen Widerspruch gestanden habe. Auch das ist wieder¬
um nur richtig insofern, als natürlich die Lehre voll der Rechtfertigung allein
durch den Glauben an Christi Verdienst damals nicht unbekannt war, aber
ebenso unzweifelhaft war die Praxis der damaligen Kirche pelagianisch, und das
Ordenswesen mit seinen peinlichen Forderungen konnte eine zu ernster Selbst-
Prüfung geneigte Natur wie die Luthers sehr wohl zu völliger Verzweiflung
treiben. Von der stufenweise« Entwicklung Luthers erhält der Leser bei Janssen
durchaus keine Anschauung; die Leipziger Disputation, welche seine Stellung
entschied, wird nur erwähnt, ihre Bedeutung aber nicht mit einem Worte ge¬
würdigt (II, 83 fg.). Um so ausführlicher geht der Verfasser auf die enge
Verbindung Luthers mit der humanistisch-reichsritterlichen Bewegungspartei,
besonders mit Hütten ein, damit der revolutionäre Charakter der Lutherischen
Sache und seine Mitschuld an den Erhebungen der nächsten Jahre um so schärfer
hervortrete. Unzweifelhaft hat diese Verbindung bestanden, aber den Revolu-
tionsprojecten Hutteus und Sickingens, welche überdies erst nach den Scheitern
ihrer Hoffnungen auf Karl V. greifbare Gestalt gewannen, hat ebenso unzwei¬
felhaft der Reformator niemals zugestimmt, sie vielmehr weit von sich gewiesen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146850"/>
          <p xml:id="ID_1008" prev="#ID_1007"> tung bestand im Zerstören", &#x201E;irgend eine großartige Idee hat ihn nie bewegt"<lb/>
(II, 54). Natürlich, der Gedanke der Befreiung Roms voll der römischen Hab¬<lb/>
sucht und Frivolität gilt ja bei Janssen nicht als eine &#x201E;großartige Idee", sondern<lb/>
höchstens als der beklagenswerthe und verwerfliche Einfall einiger gewissenlosen<lb/>
Hitzköpfe. Selbst Hnttens patriotische Begeisterung für Maximilian I. und seine<lb/>
Kaiserherrlichkeit vermag dies Verdammungsurtheil nicht zu mildern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1009"> Die Humanisten, leidenschaftliche Literaten ohne religiösen Sinn, neben<lb/>
ihnen gewinnsüchtige Kaufleute und habgierige Juristen, diese Elemente bereiten<lb/>
uach Janssen die große Umwälzung im Anfange des 16. Jahrhunderts vor, in¬<lb/>
dem sie das Volk mit gährender Unzufriedenheit erfüllen und die kirchliche<lb/>
Autorität und damit überhaupt jede Autorität untergraben. Das ist die Er¬<lb/>
klärung, welche sich ihm für die schwere Mißstimmung, die der Kirchentrennung<lb/>
und den mit ihr verbundenen Bewegungen voranging, ergiebt. Weder die sociale<lb/>
und wirthschaftliche, noch die kirchliche Ordnung boten nach seiner Meinung dazu<lb/>
Veranlassung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010" next="#ID_1011"> Nach allein kann man ahnen, welche Würdigung Martin Luther selber bei<lb/>
Janssen finden muß. Die Seelenstimmung, welche dein Reformator ins Kloster<lb/>
führte, und welche dann nur in der angustinisch-pauliuisckien Lehre Befriedigung<lb/>
fand, erscheint ihm lediglich als Ausfluß einer düsteren, selbstquälerischen Natur,<lb/>
die eine harte, entbehrullgsreiche Jugend noch mehr verdüstert hatte, keineswegs<lb/>
aber begründet in der damals geltenden Kirchenlehre, mit der vielmehr seine<lb/>
eigene Anschauung im vollen Widerspruch gestanden habe. Auch das ist wieder¬<lb/>
um nur richtig insofern, als natürlich die Lehre voll der Rechtfertigung allein<lb/>
durch den Glauben an Christi Verdienst damals nicht unbekannt war, aber<lb/>
ebenso unzweifelhaft war die Praxis der damaligen Kirche pelagianisch, und das<lb/>
Ordenswesen mit seinen peinlichen Forderungen konnte eine zu ernster Selbst-<lb/>
Prüfung geneigte Natur wie die Luthers sehr wohl zu völliger Verzweiflung<lb/>
treiben. Von der stufenweise« Entwicklung Luthers erhält der Leser bei Janssen<lb/>
durchaus keine Anschauung; die Leipziger Disputation, welche seine Stellung<lb/>
entschied, wird nur erwähnt, ihre Bedeutung aber nicht mit einem Worte ge¬<lb/>
würdigt (II, 83 fg.). Um so ausführlicher geht der Verfasser auf die enge<lb/>
Verbindung Luthers mit der humanistisch-reichsritterlichen Bewegungspartei,<lb/>
besonders mit Hütten ein, damit der revolutionäre Charakter der Lutherischen<lb/>
Sache und seine Mitschuld an den Erhebungen der nächsten Jahre um so schärfer<lb/>
hervortrete. Unzweifelhaft hat diese Verbindung bestanden, aber den Revolu-<lb/>
tionsprojecten Hutteus und Sickingens, welche überdies erst nach den Scheitern<lb/>
ihrer Hoffnungen auf Karl V. greifbare Gestalt gewannen, hat ebenso unzwei¬<lb/>
felhaft der Reformator niemals zugestimmt, sie vielmehr weit von sich gewiesen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0345] tung bestand im Zerstören", „irgend eine großartige Idee hat ihn nie bewegt" (II, 54). Natürlich, der Gedanke der Befreiung Roms voll der römischen Hab¬ sucht und Frivolität gilt ja bei Janssen nicht als eine „großartige Idee", sondern höchstens als der beklagenswerthe und verwerfliche Einfall einiger gewissenlosen Hitzköpfe. Selbst Hnttens patriotische Begeisterung für Maximilian I. und seine Kaiserherrlichkeit vermag dies Verdammungsurtheil nicht zu mildern. Die Humanisten, leidenschaftliche Literaten ohne religiösen Sinn, neben ihnen gewinnsüchtige Kaufleute und habgierige Juristen, diese Elemente bereiten uach Janssen die große Umwälzung im Anfange des 16. Jahrhunderts vor, in¬ dem sie das Volk mit gährender Unzufriedenheit erfüllen und die kirchliche Autorität und damit überhaupt jede Autorität untergraben. Das ist die Er¬ klärung, welche sich ihm für die schwere Mißstimmung, die der Kirchentrennung und den mit ihr verbundenen Bewegungen voranging, ergiebt. Weder die sociale und wirthschaftliche, noch die kirchliche Ordnung boten nach seiner Meinung dazu Veranlassung. Nach allein kann man ahnen, welche Würdigung Martin Luther selber bei Janssen finden muß. Die Seelenstimmung, welche dein Reformator ins Kloster führte, und welche dann nur in der angustinisch-pauliuisckien Lehre Befriedigung fand, erscheint ihm lediglich als Ausfluß einer düsteren, selbstquälerischen Natur, die eine harte, entbehrullgsreiche Jugend noch mehr verdüstert hatte, keineswegs aber begründet in der damals geltenden Kirchenlehre, mit der vielmehr seine eigene Anschauung im vollen Widerspruch gestanden habe. Auch das ist wieder¬ um nur richtig insofern, als natürlich die Lehre voll der Rechtfertigung allein durch den Glauben an Christi Verdienst damals nicht unbekannt war, aber ebenso unzweifelhaft war die Praxis der damaligen Kirche pelagianisch, und das Ordenswesen mit seinen peinlichen Forderungen konnte eine zu ernster Selbst- Prüfung geneigte Natur wie die Luthers sehr wohl zu völliger Verzweiflung treiben. Von der stufenweise« Entwicklung Luthers erhält der Leser bei Janssen durchaus keine Anschauung; die Leipziger Disputation, welche seine Stellung entschied, wird nur erwähnt, ihre Bedeutung aber nicht mit einem Worte ge¬ würdigt (II, 83 fg.). Um so ausführlicher geht der Verfasser auf die enge Verbindung Luthers mit der humanistisch-reichsritterlichen Bewegungspartei, besonders mit Hütten ein, damit der revolutionäre Charakter der Lutherischen Sache und seine Mitschuld an den Erhebungen der nächsten Jahre um so schärfer hervortrete. Unzweifelhaft hat diese Verbindung bestanden, aber den Revolu- tionsprojecten Hutteus und Sickingens, welche überdies erst nach den Scheitern ihrer Hoffnungen auf Karl V. greifbare Gestalt gewannen, hat ebenso unzwei¬ felhaft der Reformator niemals zugestimmt, sie vielmehr weit von sich gewiesen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/345
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/345>, abgerufen am 22.07.2024.