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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Vasari ihnen nicht darin vorangegangen wäre. In der That benutzen denn
die meisten von ihnen auch die Gelegenheit, um eine Lanze für Vcisaris Glaub¬
würdigkeit einzulegen. Das Resultat dieses Sichanklammerns an Vasari in dem
einen Falle ist aber gewesen, daß dieselben Forscher, einer unerbittlichen Con-
sequenz folgend, ihn in einem anderen Falle selbst des Irrthums zeihen müssen;
und ich behaupte, daß Vasaris Irrthum in dem letzteren Falle größer wäre
als in dem ersteren. Man lese nur die oben citirten Stellen des Vasari nach.
Wenn Vasari richtig angiebt, welche drei Maler in der Brancacci-Capelle ge¬
malt haben, aber nur darin irrt, daß er dein einen dieser Maler unter neun
Bildern zwei irrthümlich zuschreibt, so irrt er doch offenbar weniger, als wenn
er Masaccio fälschlich die Urheberschaft an dem ganzen Cyclus in der Kirche
San Elemente in Rom vindicirt. Wir haben also sicher mehr Grund, uns
auf Vasari zu berufen als die Vertheidiger der entgegengesetzten Ansicht.

In Bezug auf die Stilkritik stimmen aber doch wohl die meisten Forscher,
welche alle drei in Frage stehenden Cyclen selbst gesehen haben, darin überein,
daß, ganz abgesehen von der Chronologie, die Reihenfolge der stilistischen Ent¬
wicklung jener Gemälde in aufsteigender Linie die folgende ist: 1. Die Decken¬
gemälde in Castiglione; 2. Die Gemälde in San Elemente; 3. Die dem Ma-
solino zugeschriebenen Werke in der Brancacci-Capelle; 4. Die unbezweifelten
Werke Masaecios ebendaselbst. Darin stimmen wenigstens auch einige der Kri¬
tiker, die nicht in allen Dingen unserer Ansicht sind, mit Crowe und Caval-
caselle, Bode und mir überein. Ernst Foerfter z. B. hebt diese Reihenfolge mit
Nachdruck hervor, und ob man die ersten beiden Stufen nicht unterscheidet, wie z. B.
Lübke, Thausing und Woltmann das nicht wohl können, das ändert wohl kaum
etwas an dieser Lage. Einig sind ferner, abgesehen von E. Fversters Ver¬
doppelung des Masolino, alle darin, daß jene unter 1. genannten Gemälde
von Masolino und zwar demselben Masolino gemalt seien, welcher die Bran¬
cacci-Capelle auszuschmücken begonnen, sowie darin, daß die unter 4. genannten
Bilder die eigentlich bahnbrechenden reifsten Werke des Masaccio sind. Es
handelt sich also nur darum, ob die Stufen 2 und 3 zu Masaccio oder zu
Masolino geschlagen werden sollen. Alle vier Möglichkeiten haben ihre Ver¬
treter: Thausing (dem Woltmann folgt) läßt nur die Bilder der Stufe 4 als
Werke des großen Masaccio gelten, alle übrigen schreibt er dem Masolino zu.
Crowe und Cavalcaselle (und alle, die ihnen folgen, auch ich) lasten nur die
Gemälde der Stufe 1 als Werke des Masolino gelten, alle übrigen schreiben
sie dem Masaccio zu. Knudtzon schlägt 3 zu 1, 2 zu 4; Lübke aber zieht 1
und 2, wie 3 und 4 zusammen. Dazu kommt noch, daß einige Forscher von
der Gruppe 3 zwar die Predigt Petri, nicht aber das Petronillabild dem Ma¬
saccio zugeschrieben haben. Diese Liste, an deren Bedeutung die Erwägung,


Vasari ihnen nicht darin vorangegangen wäre. In der That benutzen denn
die meisten von ihnen auch die Gelegenheit, um eine Lanze für Vcisaris Glaub¬
würdigkeit einzulegen. Das Resultat dieses Sichanklammerns an Vasari in dem
einen Falle ist aber gewesen, daß dieselben Forscher, einer unerbittlichen Con-
sequenz folgend, ihn in einem anderen Falle selbst des Irrthums zeihen müssen;
und ich behaupte, daß Vasaris Irrthum in dem letzteren Falle größer wäre
als in dem ersteren. Man lese nur die oben citirten Stellen des Vasari nach.
Wenn Vasari richtig angiebt, welche drei Maler in der Brancacci-Capelle ge¬
malt haben, aber nur darin irrt, daß er dein einen dieser Maler unter neun
Bildern zwei irrthümlich zuschreibt, so irrt er doch offenbar weniger, als wenn
er Masaccio fälschlich die Urheberschaft an dem ganzen Cyclus in der Kirche
San Elemente in Rom vindicirt. Wir haben also sicher mehr Grund, uns
auf Vasari zu berufen als die Vertheidiger der entgegengesetzten Ansicht.

In Bezug auf die Stilkritik stimmen aber doch wohl die meisten Forscher,
welche alle drei in Frage stehenden Cyclen selbst gesehen haben, darin überein,
daß, ganz abgesehen von der Chronologie, die Reihenfolge der stilistischen Ent¬
wicklung jener Gemälde in aufsteigender Linie die folgende ist: 1. Die Decken¬
gemälde in Castiglione; 2. Die Gemälde in San Elemente; 3. Die dem Ma-
solino zugeschriebenen Werke in der Brancacci-Capelle; 4. Die unbezweifelten
Werke Masaecios ebendaselbst. Darin stimmen wenigstens auch einige der Kri¬
tiker, die nicht in allen Dingen unserer Ansicht sind, mit Crowe und Caval-
caselle, Bode und mir überein. Ernst Foerfter z. B. hebt diese Reihenfolge mit
Nachdruck hervor, und ob man die ersten beiden Stufen nicht unterscheidet, wie z. B.
Lübke, Thausing und Woltmann das nicht wohl können, das ändert wohl kaum
etwas an dieser Lage. Einig sind ferner, abgesehen von E. Fversters Ver¬
doppelung des Masolino, alle darin, daß jene unter 1. genannten Gemälde
von Masolino und zwar demselben Masolino gemalt seien, welcher die Bran¬
cacci-Capelle auszuschmücken begonnen, sowie darin, daß die unter 4. genannten
Bilder die eigentlich bahnbrechenden reifsten Werke des Masaccio sind. Es
handelt sich also nur darum, ob die Stufen 2 und 3 zu Masaccio oder zu
Masolino geschlagen werden sollen. Alle vier Möglichkeiten haben ihre Ver¬
treter: Thausing (dem Woltmann folgt) läßt nur die Bilder der Stufe 4 als
Werke des großen Masaccio gelten, alle übrigen schreibt er dem Masolino zu.
Crowe und Cavalcaselle (und alle, die ihnen folgen, auch ich) lasten nur die
Gemälde der Stufe 1 als Werke des Masolino gelten, alle übrigen schreiben
sie dem Masaccio zu. Knudtzon schlägt 3 zu 1, 2 zu 4; Lübke aber zieht 1
und 2, wie 3 und 4 zusammen. Dazu kommt noch, daß einige Forscher von
der Gruppe 3 zwar die Predigt Petri, nicht aber das Petronillabild dem Ma¬
saccio zugeschrieben haben. Diese Liste, an deren Bedeutung die Erwägung,


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[0336] Vasari ihnen nicht darin vorangegangen wäre. In der That benutzen denn die meisten von ihnen auch die Gelegenheit, um eine Lanze für Vcisaris Glaub¬ würdigkeit einzulegen. Das Resultat dieses Sichanklammerns an Vasari in dem einen Falle ist aber gewesen, daß dieselben Forscher, einer unerbittlichen Con- sequenz folgend, ihn in einem anderen Falle selbst des Irrthums zeihen müssen; und ich behaupte, daß Vasaris Irrthum in dem letzteren Falle größer wäre als in dem ersteren. Man lese nur die oben citirten Stellen des Vasari nach. Wenn Vasari richtig angiebt, welche drei Maler in der Brancacci-Capelle ge¬ malt haben, aber nur darin irrt, daß er dein einen dieser Maler unter neun Bildern zwei irrthümlich zuschreibt, so irrt er doch offenbar weniger, als wenn er Masaccio fälschlich die Urheberschaft an dem ganzen Cyclus in der Kirche San Elemente in Rom vindicirt. Wir haben also sicher mehr Grund, uns auf Vasari zu berufen als die Vertheidiger der entgegengesetzten Ansicht. In Bezug auf die Stilkritik stimmen aber doch wohl die meisten Forscher, welche alle drei in Frage stehenden Cyclen selbst gesehen haben, darin überein, daß, ganz abgesehen von der Chronologie, die Reihenfolge der stilistischen Ent¬ wicklung jener Gemälde in aufsteigender Linie die folgende ist: 1. Die Decken¬ gemälde in Castiglione; 2. Die Gemälde in San Elemente; 3. Die dem Ma- solino zugeschriebenen Werke in der Brancacci-Capelle; 4. Die unbezweifelten Werke Masaecios ebendaselbst. Darin stimmen wenigstens auch einige der Kri¬ tiker, die nicht in allen Dingen unserer Ansicht sind, mit Crowe und Caval- caselle, Bode und mir überein. Ernst Foerfter z. B. hebt diese Reihenfolge mit Nachdruck hervor, und ob man die ersten beiden Stufen nicht unterscheidet, wie z. B. Lübke, Thausing und Woltmann das nicht wohl können, das ändert wohl kaum etwas an dieser Lage. Einig sind ferner, abgesehen von E. Fversters Ver¬ doppelung des Masolino, alle darin, daß jene unter 1. genannten Gemälde von Masolino und zwar demselben Masolino gemalt seien, welcher die Bran¬ cacci-Capelle auszuschmücken begonnen, sowie darin, daß die unter 4. genannten Bilder die eigentlich bahnbrechenden reifsten Werke des Masaccio sind. Es handelt sich also nur darum, ob die Stufen 2 und 3 zu Masaccio oder zu Masolino geschlagen werden sollen. Alle vier Möglichkeiten haben ihre Ver¬ treter: Thausing (dem Woltmann folgt) läßt nur die Bilder der Stufe 4 als Werke des großen Masaccio gelten, alle übrigen schreibt er dem Masolino zu. Crowe und Cavalcaselle (und alle, die ihnen folgen, auch ich) lasten nur die Gemälde der Stufe 1 als Werke des Masolino gelten, alle übrigen schreiben sie dem Masaccio zu. Knudtzon schlägt 3 zu 1, 2 zu 4; Lübke aber zieht 1 und 2, wie 3 und 4 zusammen. Dazu kommt noch, daß einige Forscher von der Gruppe 3 zwar die Predigt Petri, nicht aber das Petronillabild dem Ma¬ saccio zugeschrieben haben. Diese Liste, an deren Bedeutung die Erwägung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/336>, abgerufen am 22.07.2024.