Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.wer zufällig das letzte Wort behalten, nichts ändert, ist ganz geeignet, uns Eine Stilkritik ohne gehörige Berücksichtigung der möglichen und wahr¬ Hieraus ergiebt sich für mich in Bezug auf die Frage nach den Gemälden, wer zufällig das letzte Wort behalten, nichts ändert, ist ganz geeignet, uns Eine Stilkritik ohne gehörige Berücksichtigung der möglichen und wahr¬ Hieraus ergiebt sich für mich in Bezug auf die Frage nach den Gemälden, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146842"/> <p xml:id="ID_986" prev="#ID_985"> wer zufällig das letzte Wort behalten, nichts ändert, ist ganz geeignet, uns<lb/> Kunsthistoriker in Fragen der Stilkritik tolerant gegen einander zu machen.<lb/> Dies braucht aber keinen zu hindern, seiner ehrlichen Ueberzeugung einen ent¬<lb/> schiedenen Ausdruck zu verleihen; und ich will daher auch noch einen allgemei¬<lb/> nen Grund anführen, aus welchem ich mich nach wie vor der Ansicht Crowes<lb/> und Cavalcaselles anschließen zu müssen glaube, einen Grund übrigens, den<lb/> ich oben gelegentlich schon angedeutet habe, den ich jetzt aber, als für mich be¬<lb/> sonders entscheidend, noch einmal ausdrücklich in den Vordergrund stellen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_987"> Eine Stilkritik ohne gehörige Berücksichtigung der möglichen und wahr¬<lb/> scheinlichen Stilwandlungen desselben Künstlers muß nothwendiger Weise zu<lb/> irrigen Resultaten führen. Ich bin überzeugt, daß die gegenwärtige Kunst¬<lb/> geschichte in dieser Beziehung noch viel zu absprechend ist; aber ich bin freilich<lb/> auch überzeugt, daß die Stilwandlungen der einzelnen Künstler auch der zu¬<lb/> künftigen Kunstgeschichte noch viel zu schaffen machen würden. Ich will ein<lb/> Beispiel anführen, um mich verständlicher zu machen- Die städtische Galerie<lb/> zu Düsseldorf besitzt ein Jugendbild W. Sohns. Dasselbe stellt in großen<lb/> Figuren Christus und die Jünger auf dem stürmischen Meere dar und ist „W.<lb/> Sohn 1853" bezeichnet. Der Meister hat es in seinem 23. Lebensjahre gemalt,<lb/> und es zeigt noch ganz den Schüler W. v. Schadows. Wer nun die Richtung<lb/> kennt, die W. Sohn als fertiger Meister eingeschlagen hat, und nur den<lb/> üblichen Principien der Stilkritik folgt, muß nothwendiger Weise zu der Ansicht<lb/> kommen, daß dieses Bild unächt und die Bezeichnung gefälscht sei. Ich bin<lb/> überzeugt, daß diese Ansicht, wenn ihr nicht rechtzeitig vorgebeugt wird, einmal<lb/> aufgestellt werden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_988"> Hieraus ergiebt sich für mich in Bezug auf die Frage nach den Gemälden,<lb/> welche Masaccio und welche Masolino zuzuschreiben sind, folgende Nutzanwen¬<lb/> dung. Offenbar ist es wahrscheinlicher, daß Masaccio, der ungewöhnlich früh<lb/> zu malen angefangen hat und in einem Alter von 27 Jahren gestorben ist, uns<lb/> Werke hinterlassen hat, die eine Stilwandlung zeigen, welche uns von den Ge¬<lb/> mälden in San Elemente bis zu den reifsten Bildern der Brcmcacci-Capelle<lb/> führt, als daß Masolino, der ein fertiger Meister und mindestens 40 Jahre<lb/> alt war, als er die Deckengemälde zu Castiglione d'Olona schuf, in derselben<lb/> Periode seines Lebens die ihm zugeschriebenen Werke in der Brancacci-Capelle<lb/> gemalt haben sollte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0337]
wer zufällig das letzte Wort behalten, nichts ändert, ist ganz geeignet, uns
Kunsthistoriker in Fragen der Stilkritik tolerant gegen einander zu machen.
Dies braucht aber keinen zu hindern, seiner ehrlichen Ueberzeugung einen ent¬
schiedenen Ausdruck zu verleihen; und ich will daher auch noch einen allgemei¬
nen Grund anführen, aus welchem ich mich nach wie vor der Ansicht Crowes
und Cavalcaselles anschließen zu müssen glaube, einen Grund übrigens, den
ich oben gelegentlich schon angedeutet habe, den ich jetzt aber, als für mich be¬
sonders entscheidend, noch einmal ausdrücklich in den Vordergrund stellen muß.
Eine Stilkritik ohne gehörige Berücksichtigung der möglichen und wahr¬
scheinlichen Stilwandlungen desselben Künstlers muß nothwendiger Weise zu
irrigen Resultaten führen. Ich bin überzeugt, daß die gegenwärtige Kunst¬
geschichte in dieser Beziehung noch viel zu absprechend ist; aber ich bin freilich
auch überzeugt, daß die Stilwandlungen der einzelnen Künstler auch der zu¬
künftigen Kunstgeschichte noch viel zu schaffen machen würden. Ich will ein
Beispiel anführen, um mich verständlicher zu machen- Die städtische Galerie
zu Düsseldorf besitzt ein Jugendbild W. Sohns. Dasselbe stellt in großen
Figuren Christus und die Jünger auf dem stürmischen Meere dar und ist „W.
Sohn 1853" bezeichnet. Der Meister hat es in seinem 23. Lebensjahre gemalt,
und es zeigt noch ganz den Schüler W. v. Schadows. Wer nun die Richtung
kennt, die W. Sohn als fertiger Meister eingeschlagen hat, und nur den
üblichen Principien der Stilkritik folgt, muß nothwendiger Weise zu der Ansicht
kommen, daß dieses Bild unächt und die Bezeichnung gefälscht sei. Ich bin
überzeugt, daß diese Ansicht, wenn ihr nicht rechtzeitig vorgebeugt wird, einmal
aufgestellt werden wird.
Hieraus ergiebt sich für mich in Bezug auf die Frage nach den Gemälden,
welche Masaccio und welche Masolino zuzuschreiben sind, folgende Nutzanwen¬
dung. Offenbar ist es wahrscheinlicher, daß Masaccio, der ungewöhnlich früh
zu malen angefangen hat und in einem Alter von 27 Jahren gestorben ist, uns
Werke hinterlassen hat, die eine Stilwandlung zeigen, welche uns von den Ge¬
mälden in San Elemente bis zu den reifsten Bildern der Brcmcacci-Capelle
führt, als daß Masolino, der ein fertiger Meister und mindestens 40 Jahre
alt war, als er die Deckengemälde zu Castiglione d'Olona schuf, in derselben
Periode seines Lebens die ihm zugeschriebenen Werke in der Brancacci-Capelle
gemalt haben sollte.
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