Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebenskräfte bewahrt, und wenn mächtige Staaten wie Burgund, Spanien,
Oesterreich und Frankreich, die nach einander von belgischen Provinzen Besitz
genommen hatten, nicht dahin gelangt waren, denselben ihren besonderen und
ursprünglichen Charakter zu nehmen, so war es ein von vornherein aussichts¬
loses Unternehmen für das schwache Holland, sich die Vläminger, die Brabanter
und vor allem die Wallonen assimiliren zu wollen.

Die Holländer hatten allerdings in der Zeit ihres Ruhmes über Spanien
triumphirt, sie hatten sich mit der Macht Englands auf gleicher Höhe gehalten
und zuweilen glücklich mit Ludwig XIV. gekämpft. Ihre Heere waren von
Kriegshelden wie Moritz und Friedrich Heinrich von Nassau befehligt worden,
ihre Flotten hatten Führer wie Tromp, Heemskerk, Ruyter und Opdam gehabt,
die Leiter ihrer Politik waren Männer wie Barneveldt, Jan de Witt und Hein-
sius gewesen. Diese großen Erinnerungen aber waren kein Grund, sie von der
Höhe ihres Nationalstolzes geringschätzig auf die Belgier herabsehen zu lassen,
sie führten nur zu Illusionen; denn jene ruhmreichen Zeiten waren vorüber,
und ihre Kräfte waren weit schwächer als ehedem.

Nachdem die Vereinigung einige Jahre bestanden hatte, mußten die Belgier
gewahren, daß man ihnen eine Verfassung auferlegte, die sie durch ihre Ab¬
stimmungen zurückgewiesen hatten. Sie bemerkten, daß ein Volk, welches sie
nicht besiegt hatte, ihnen aus seiner Mitte Beamte schickte und sich der Leitung
der Verwaltung bemächtigte. Man gab den Wallonen nur fünfzehn Jahre Zeit,
das Holländische zu lernen, und zwar geschah dies, indem man zur Rechtferti¬
gung dieser unvernünftigen Zumuthung daran erinnerte, daß Napoleon I. den
Niederlanden nur fünfzehn Tage zur Erlernung des Französischen gewährt.
Alle großen Staatsanstalten hatten ihren Sitz in Holland, die Ministerien, der
Cassationshof, das oberste Militärgericht und alle höchsten Verwaltungsstellen
befanden sich nur im Norden des Königreichs. Es gab im Jahre 1830 im
Rahmen der Armee circa 2400 Offiziere aller Grade, und von diesen waren 2000
Holländer und nur 400 Belgier. 1829 gehörten von den 16 Ministern und
Staatssecretären nur drei der belgischen Nationalität an. Nicht ein einziger
Belgier hatte die Ehre, das Großkreuz des Wilhelmsordens zu tragen. Die
Bureauvorstände des Kriegsministeriums waren sämmtlich Holländer.

Die holländische Verfassung von 1814 hatte eine einzige Kammer geschaffen,
die aus 55 Mitgliedern bestand. Die holländisch-belgische Verfassung von 1815
führte zwei Kammern ein, und bei der Bildung der zweiten ließ man Holland
seine 55 Vertreter, welche zwei Millionen Staatsangehörige repräsentirten, und
gab den Belgiern, die vier Millionen zählten, ebenfalls nur 55 Abgeordnete.
"Das war," sagt Nothomb in seinem Dssai sur ig, Revolution oft^s, "eine
Ungerechtigkeit, aber eine in gewissem Maße logische Ungerechtigkeit. Wenn man


Lebenskräfte bewahrt, und wenn mächtige Staaten wie Burgund, Spanien,
Oesterreich und Frankreich, die nach einander von belgischen Provinzen Besitz
genommen hatten, nicht dahin gelangt waren, denselben ihren besonderen und
ursprünglichen Charakter zu nehmen, so war es ein von vornherein aussichts¬
loses Unternehmen für das schwache Holland, sich die Vläminger, die Brabanter
und vor allem die Wallonen assimiliren zu wollen.

Die Holländer hatten allerdings in der Zeit ihres Ruhmes über Spanien
triumphirt, sie hatten sich mit der Macht Englands auf gleicher Höhe gehalten
und zuweilen glücklich mit Ludwig XIV. gekämpft. Ihre Heere waren von
Kriegshelden wie Moritz und Friedrich Heinrich von Nassau befehligt worden,
ihre Flotten hatten Führer wie Tromp, Heemskerk, Ruyter und Opdam gehabt,
die Leiter ihrer Politik waren Männer wie Barneveldt, Jan de Witt und Hein-
sius gewesen. Diese großen Erinnerungen aber waren kein Grund, sie von der
Höhe ihres Nationalstolzes geringschätzig auf die Belgier herabsehen zu lassen,
sie führten nur zu Illusionen; denn jene ruhmreichen Zeiten waren vorüber,
und ihre Kräfte waren weit schwächer als ehedem.

Nachdem die Vereinigung einige Jahre bestanden hatte, mußten die Belgier
gewahren, daß man ihnen eine Verfassung auferlegte, die sie durch ihre Ab¬
stimmungen zurückgewiesen hatten. Sie bemerkten, daß ein Volk, welches sie
nicht besiegt hatte, ihnen aus seiner Mitte Beamte schickte und sich der Leitung
der Verwaltung bemächtigte. Man gab den Wallonen nur fünfzehn Jahre Zeit,
das Holländische zu lernen, und zwar geschah dies, indem man zur Rechtferti¬
gung dieser unvernünftigen Zumuthung daran erinnerte, daß Napoleon I. den
Niederlanden nur fünfzehn Tage zur Erlernung des Französischen gewährt.
Alle großen Staatsanstalten hatten ihren Sitz in Holland, die Ministerien, der
Cassationshof, das oberste Militärgericht und alle höchsten Verwaltungsstellen
befanden sich nur im Norden des Königreichs. Es gab im Jahre 1830 im
Rahmen der Armee circa 2400 Offiziere aller Grade, und von diesen waren 2000
Holländer und nur 400 Belgier. 1829 gehörten von den 16 Ministern und
Staatssecretären nur drei der belgischen Nationalität an. Nicht ein einziger
Belgier hatte die Ehre, das Großkreuz des Wilhelmsordens zu tragen. Die
Bureauvorstände des Kriegsministeriums waren sämmtlich Holländer.

Die holländische Verfassung von 1814 hatte eine einzige Kammer geschaffen,
die aus 55 Mitgliedern bestand. Die holländisch-belgische Verfassung von 1815
führte zwei Kammern ein, und bei der Bildung der zweiten ließ man Holland
seine 55 Vertreter, welche zwei Millionen Staatsangehörige repräsentirten, und
gab den Belgiern, die vier Millionen zählten, ebenfalls nur 55 Abgeordnete.
„Das war," sagt Nothomb in seinem Dssai sur ig, Revolution oft^s, „eine
Ungerechtigkeit, aber eine in gewissem Maße logische Ungerechtigkeit. Wenn man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146815"/>
          <p xml:id="ID_915" prev="#ID_914"> Lebenskräfte bewahrt, und wenn mächtige Staaten wie Burgund, Spanien,<lb/>
Oesterreich und Frankreich, die nach einander von belgischen Provinzen Besitz<lb/>
genommen hatten, nicht dahin gelangt waren, denselben ihren besonderen und<lb/>
ursprünglichen Charakter zu nehmen, so war es ein von vornherein aussichts¬<lb/>
loses Unternehmen für das schwache Holland, sich die Vläminger, die Brabanter<lb/>
und vor allem die Wallonen assimiliren zu wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_916"> Die Holländer hatten allerdings in der Zeit ihres Ruhmes über Spanien<lb/>
triumphirt, sie hatten sich mit der Macht Englands auf gleicher Höhe gehalten<lb/>
und zuweilen glücklich mit Ludwig XIV. gekämpft. Ihre Heere waren von<lb/>
Kriegshelden wie Moritz und Friedrich Heinrich von Nassau befehligt worden,<lb/>
ihre Flotten hatten Führer wie Tromp, Heemskerk, Ruyter und Opdam gehabt,<lb/>
die Leiter ihrer Politik waren Männer wie Barneveldt, Jan de Witt und Hein-<lb/>
sius gewesen. Diese großen Erinnerungen aber waren kein Grund, sie von der<lb/>
Höhe ihres Nationalstolzes geringschätzig auf die Belgier herabsehen zu lassen,<lb/>
sie führten nur zu Illusionen; denn jene ruhmreichen Zeiten waren vorüber,<lb/>
und ihre Kräfte waren weit schwächer als ehedem.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_917"> Nachdem die Vereinigung einige Jahre bestanden hatte, mußten die Belgier<lb/>
gewahren, daß man ihnen eine Verfassung auferlegte, die sie durch ihre Ab¬<lb/>
stimmungen zurückgewiesen hatten. Sie bemerkten, daß ein Volk, welches sie<lb/>
nicht besiegt hatte, ihnen aus seiner Mitte Beamte schickte und sich der Leitung<lb/>
der Verwaltung bemächtigte. Man gab den Wallonen nur fünfzehn Jahre Zeit,<lb/>
das Holländische zu lernen, und zwar geschah dies, indem man zur Rechtferti¬<lb/>
gung dieser unvernünftigen Zumuthung daran erinnerte, daß Napoleon I. den<lb/>
Niederlanden nur fünfzehn Tage zur Erlernung des Französischen gewährt.<lb/>
Alle großen Staatsanstalten hatten ihren Sitz in Holland, die Ministerien, der<lb/>
Cassationshof, das oberste Militärgericht und alle höchsten Verwaltungsstellen<lb/>
befanden sich nur im Norden des Königreichs. Es gab im Jahre 1830 im<lb/>
Rahmen der Armee circa 2400 Offiziere aller Grade, und von diesen waren 2000<lb/>
Holländer und nur 400 Belgier. 1829 gehörten von den 16 Ministern und<lb/>
Staatssecretären nur drei der belgischen Nationalität an. Nicht ein einziger<lb/>
Belgier hatte die Ehre, das Großkreuz des Wilhelmsordens zu tragen. Die<lb/>
Bureauvorstände des Kriegsministeriums waren sämmtlich Holländer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_918" next="#ID_919"> Die holländische Verfassung von 1814 hatte eine einzige Kammer geschaffen,<lb/>
die aus 55 Mitgliedern bestand. Die holländisch-belgische Verfassung von 1815<lb/>
führte zwei Kammern ein, und bei der Bildung der zweiten ließ man Holland<lb/>
seine 55 Vertreter, welche zwei Millionen Staatsangehörige repräsentirten, und<lb/>
gab den Belgiern, die vier Millionen zählten, ebenfalls nur 55 Abgeordnete.<lb/>
&#x201E;Das war," sagt Nothomb in seinem Dssai sur ig, Revolution oft^s, &#x201E;eine<lb/>
Ungerechtigkeit, aber eine in gewissem Maße logische Ungerechtigkeit. Wenn man</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] Lebenskräfte bewahrt, und wenn mächtige Staaten wie Burgund, Spanien, Oesterreich und Frankreich, die nach einander von belgischen Provinzen Besitz genommen hatten, nicht dahin gelangt waren, denselben ihren besonderen und ursprünglichen Charakter zu nehmen, so war es ein von vornherein aussichts¬ loses Unternehmen für das schwache Holland, sich die Vläminger, die Brabanter und vor allem die Wallonen assimiliren zu wollen. Die Holländer hatten allerdings in der Zeit ihres Ruhmes über Spanien triumphirt, sie hatten sich mit der Macht Englands auf gleicher Höhe gehalten und zuweilen glücklich mit Ludwig XIV. gekämpft. Ihre Heere waren von Kriegshelden wie Moritz und Friedrich Heinrich von Nassau befehligt worden, ihre Flotten hatten Führer wie Tromp, Heemskerk, Ruyter und Opdam gehabt, die Leiter ihrer Politik waren Männer wie Barneveldt, Jan de Witt und Hein- sius gewesen. Diese großen Erinnerungen aber waren kein Grund, sie von der Höhe ihres Nationalstolzes geringschätzig auf die Belgier herabsehen zu lassen, sie führten nur zu Illusionen; denn jene ruhmreichen Zeiten waren vorüber, und ihre Kräfte waren weit schwächer als ehedem. Nachdem die Vereinigung einige Jahre bestanden hatte, mußten die Belgier gewahren, daß man ihnen eine Verfassung auferlegte, die sie durch ihre Ab¬ stimmungen zurückgewiesen hatten. Sie bemerkten, daß ein Volk, welches sie nicht besiegt hatte, ihnen aus seiner Mitte Beamte schickte und sich der Leitung der Verwaltung bemächtigte. Man gab den Wallonen nur fünfzehn Jahre Zeit, das Holländische zu lernen, und zwar geschah dies, indem man zur Rechtferti¬ gung dieser unvernünftigen Zumuthung daran erinnerte, daß Napoleon I. den Niederlanden nur fünfzehn Tage zur Erlernung des Französischen gewährt. Alle großen Staatsanstalten hatten ihren Sitz in Holland, die Ministerien, der Cassationshof, das oberste Militärgericht und alle höchsten Verwaltungsstellen befanden sich nur im Norden des Königreichs. Es gab im Jahre 1830 im Rahmen der Armee circa 2400 Offiziere aller Grade, und von diesen waren 2000 Holländer und nur 400 Belgier. 1829 gehörten von den 16 Ministern und Staatssecretären nur drei der belgischen Nationalität an. Nicht ein einziger Belgier hatte die Ehre, das Großkreuz des Wilhelmsordens zu tragen. Die Bureauvorstände des Kriegsministeriums waren sämmtlich Holländer. Die holländische Verfassung von 1814 hatte eine einzige Kammer geschaffen, die aus 55 Mitgliedern bestand. Die holländisch-belgische Verfassung von 1815 führte zwei Kammern ein, und bei der Bildung der zweiten ließ man Holland seine 55 Vertreter, welche zwei Millionen Staatsangehörige repräsentirten, und gab den Belgiern, die vier Millionen zählten, ebenfalls nur 55 Abgeordnete. „Das war," sagt Nothomb in seinem Dssai sur ig, Revolution oft^s, „eine Ungerechtigkeit, aber eine in gewissem Maße logische Ungerechtigkeit. Wenn man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/310>, abgerufen am 28.09.2024.