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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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volontaria xsr I'ave-Iiiiioiw 6kU^ trattii. üsi Liaucni in ^orino aufgelegt wurde.
Kinder von 8 bis 16 Jahren werden von gefühllosen Eltern in Val Mciggia
an gewissenlose Unternehmer um die geringe Summe von 20 bis 30 Fras.
für die Wintermonate vermiethet, um zum Kaminfegerdienst abgerichtet zu werden.
Ein Herz von Stein, sagt ein Turiner Blatt, muß gerührt werden, wenn man
die Behandlung dieser Kinder sieht. In nothdürftige Lumpen gehüllt, baarfuß
oder nur mit schlechten Schuhen versehen und ohne Strümpfe, müssen sie, klap¬
pernd vor Kälte und entkräftet vom Hunger, von früh Morgens bis spät Abends
uuter dem fortwährenden Geschrei sx^i-alorrikllo! die Stadt von einem Ende
zum anderen durchziehen. Ein Turiner Bürger fand Abends in einem Winkel
zusammengekauert ein Kind von ungefähr neun Jahren, an dessen rußig-schwarzem
Gesichte er sofort einen kleinen sol^-isro erkannte, dessen Glieder vor Kälte
erstarrt waren. Ein um Rath gefragter Arzt sagte aus, daß das Kind zwar
gesund, aber durch Nahrungsmittel und Kälte momentan entkräftet sei. Darauf
legte sich die Polizei ins Mittel und sandte das Kind in seine Heimat zurück,
trotz aller Reclamationen des Unternehmers, der seinen mit den Eltern abge¬
schlossenen Vertrag in diesem Falle umsonst geltend machte.

Besser gestaltet sich das Schicksal der ausziehenden, erwachsenen Bauhand¬
werker, die wegen ihres Fleißes, ihres Geschicks und ihres nüchternen und
sparsamen Wesens den Deutschen vielfach vorgezogen worden und von ihrem
guten Verdienste soviel wie möglich an die Ihrigen senden. Die Zahl derjenigen,
welche außerhalb der Schweiz ihr Brot suchen, beläuft sich im jährlichen Durch¬
schnitt auf 12000, was etwa den zehnten Theil der Gesammtbevölkerung ausmacht.
Die meisten unter ihnen bleiben in Europa und wenden sich nach Oesterreich,
Frankreich und Italien; auch im Deutschen Reiche finden sie bisweilen Beschäftigung.
Andere wandern weiter, und wenn die von Frcmscini und Lavizzari gemachten
Angaben glaubwürdig sind, so würde die außereuropäische Auswanderung sogar im
Steigen begriffen sein. In den Jahren 1850--56 gingen aus der Val Maggia
948 Personen anßer Landes, d. h. der achte Theil der ganzen Bevölkerung. Unter
diesen waren die meisten so arm, daß ihnen die Gemeinden im Durchschnitt
650 Francs auf den Kopf zu den Reisekosten beitragen mußten. Die meisten
davon, nämlich 729 Personen, suchten in Australien ihr Glück, der Rest in
Nordamerika. In den letzten Jahren indeß scheint sich das Ziel der Aus¬
wandernden geändert zu haben, denn der Zug derselben richtete sich in über¬
wiegendem Maße nach Kalifornien. Ob die Hoffnung und der Vorsatz, nach
Erwerbung von 1500 Francs zurückzukehren und im heimatlichen Dorfe ein
ordentliches Hauswesen zu gründen oder das verlassene wiederherzustellen, auch
nur einer Minderzahl in Erfüllung geht, bleibt wohl fraglich; jedenfalls werden
sie von nahezu allen gehegt. Die meisten kommen nicht wieder; manchen treibt


volontaria xsr I'ave-Iiiiioiw 6kU^ trattii. üsi Liaucni in ^orino aufgelegt wurde.
Kinder von 8 bis 16 Jahren werden von gefühllosen Eltern in Val Mciggia
an gewissenlose Unternehmer um die geringe Summe von 20 bis 30 Fras.
für die Wintermonate vermiethet, um zum Kaminfegerdienst abgerichtet zu werden.
Ein Herz von Stein, sagt ein Turiner Blatt, muß gerührt werden, wenn man
die Behandlung dieser Kinder sieht. In nothdürftige Lumpen gehüllt, baarfuß
oder nur mit schlechten Schuhen versehen und ohne Strümpfe, müssen sie, klap¬
pernd vor Kälte und entkräftet vom Hunger, von früh Morgens bis spät Abends
uuter dem fortwährenden Geschrei sx^i-alorrikllo! die Stadt von einem Ende
zum anderen durchziehen. Ein Turiner Bürger fand Abends in einem Winkel
zusammengekauert ein Kind von ungefähr neun Jahren, an dessen rußig-schwarzem
Gesichte er sofort einen kleinen sol^-isro erkannte, dessen Glieder vor Kälte
erstarrt waren. Ein um Rath gefragter Arzt sagte aus, daß das Kind zwar
gesund, aber durch Nahrungsmittel und Kälte momentan entkräftet sei. Darauf
legte sich die Polizei ins Mittel und sandte das Kind in seine Heimat zurück,
trotz aller Reclamationen des Unternehmers, der seinen mit den Eltern abge¬
schlossenen Vertrag in diesem Falle umsonst geltend machte.

Besser gestaltet sich das Schicksal der ausziehenden, erwachsenen Bauhand¬
werker, die wegen ihres Fleißes, ihres Geschicks und ihres nüchternen und
sparsamen Wesens den Deutschen vielfach vorgezogen worden und von ihrem
guten Verdienste soviel wie möglich an die Ihrigen senden. Die Zahl derjenigen,
welche außerhalb der Schweiz ihr Brot suchen, beläuft sich im jährlichen Durch¬
schnitt auf 12000, was etwa den zehnten Theil der Gesammtbevölkerung ausmacht.
Die meisten unter ihnen bleiben in Europa und wenden sich nach Oesterreich,
Frankreich und Italien; auch im Deutschen Reiche finden sie bisweilen Beschäftigung.
Andere wandern weiter, und wenn die von Frcmscini und Lavizzari gemachten
Angaben glaubwürdig sind, so würde die außereuropäische Auswanderung sogar im
Steigen begriffen sein. In den Jahren 1850—56 gingen aus der Val Maggia
948 Personen anßer Landes, d. h. der achte Theil der ganzen Bevölkerung. Unter
diesen waren die meisten so arm, daß ihnen die Gemeinden im Durchschnitt
650 Francs auf den Kopf zu den Reisekosten beitragen mußten. Die meisten
davon, nämlich 729 Personen, suchten in Australien ihr Glück, der Rest in
Nordamerika. In den letzten Jahren indeß scheint sich das Ziel der Aus¬
wandernden geändert zu haben, denn der Zug derselben richtete sich in über¬
wiegendem Maße nach Kalifornien. Ob die Hoffnung und der Vorsatz, nach
Erwerbung von 1500 Francs zurückzukehren und im heimatlichen Dorfe ein
ordentliches Hauswesen zu gründen oder das verlassene wiederherzustellen, auch
nur einer Minderzahl in Erfüllung geht, bleibt wohl fraglich; jedenfalls werden
sie von nahezu allen gehegt. Die meisten kommen nicht wieder; manchen treibt


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[0295] volontaria xsr I'ave-Iiiiioiw 6kU^ trattii. üsi Liaucni in ^orino aufgelegt wurde. Kinder von 8 bis 16 Jahren werden von gefühllosen Eltern in Val Mciggia an gewissenlose Unternehmer um die geringe Summe von 20 bis 30 Fras. für die Wintermonate vermiethet, um zum Kaminfegerdienst abgerichtet zu werden. Ein Herz von Stein, sagt ein Turiner Blatt, muß gerührt werden, wenn man die Behandlung dieser Kinder sieht. In nothdürftige Lumpen gehüllt, baarfuß oder nur mit schlechten Schuhen versehen und ohne Strümpfe, müssen sie, klap¬ pernd vor Kälte und entkräftet vom Hunger, von früh Morgens bis spät Abends uuter dem fortwährenden Geschrei sx^i-alorrikllo! die Stadt von einem Ende zum anderen durchziehen. Ein Turiner Bürger fand Abends in einem Winkel zusammengekauert ein Kind von ungefähr neun Jahren, an dessen rußig-schwarzem Gesichte er sofort einen kleinen sol^-isro erkannte, dessen Glieder vor Kälte erstarrt waren. Ein um Rath gefragter Arzt sagte aus, daß das Kind zwar gesund, aber durch Nahrungsmittel und Kälte momentan entkräftet sei. Darauf legte sich die Polizei ins Mittel und sandte das Kind in seine Heimat zurück, trotz aller Reclamationen des Unternehmers, der seinen mit den Eltern abge¬ schlossenen Vertrag in diesem Falle umsonst geltend machte. Besser gestaltet sich das Schicksal der ausziehenden, erwachsenen Bauhand¬ werker, die wegen ihres Fleißes, ihres Geschicks und ihres nüchternen und sparsamen Wesens den Deutschen vielfach vorgezogen worden und von ihrem guten Verdienste soviel wie möglich an die Ihrigen senden. Die Zahl derjenigen, welche außerhalb der Schweiz ihr Brot suchen, beläuft sich im jährlichen Durch¬ schnitt auf 12000, was etwa den zehnten Theil der Gesammtbevölkerung ausmacht. Die meisten unter ihnen bleiben in Europa und wenden sich nach Oesterreich, Frankreich und Italien; auch im Deutschen Reiche finden sie bisweilen Beschäftigung. Andere wandern weiter, und wenn die von Frcmscini und Lavizzari gemachten Angaben glaubwürdig sind, so würde die außereuropäische Auswanderung sogar im Steigen begriffen sein. In den Jahren 1850—56 gingen aus der Val Maggia 948 Personen anßer Landes, d. h. der achte Theil der ganzen Bevölkerung. Unter diesen waren die meisten so arm, daß ihnen die Gemeinden im Durchschnitt 650 Francs auf den Kopf zu den Reisekosten beitragen mußten. Die meisten davon, nämlich 729 Personen, suchten in Australien ihr Glück, der Rest in Nordamerika. In den letzten Jahren indeß scheint sich das Ziel der Aus¬ wandernden geändert zu haben, denn der Zug derselben richtete sich in über¬ wiegendem Maße nach Kalifornien. Ob die Hoffnung und der Vorsatz, nach Erwerbung von 1500 Francs zurückzukehren und im heimatlichen Dorfe ein ordentliches Hauswesen zu gründen oder das verlassene wiederherzustellen, auch nur einer Minderzahl in Erfüllung geht, bleibt wohl fraglich; jedenfalls werden sie von nahezu allen gehegt. Die meisten kommen nicht wieder; manchen treibt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/295>, abgerufen am 22.07.2024.