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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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das Heimweh zurück, der dann, nachdem er die halbe Welt gesehen, sein Dasein
in dem engen Winkel seiner Alp weiterführt. Ein Mitglied des Schweizerischen
Alpenclubs fand auf der fünf Stunden von Bignaseo in Val Maggia ent¬
fernten, durch einen Felsencircus von der übrigen Welt völlig abgesonderten
Alp Zotto einen solchen Heimgekehrten, der ihn mit der Erzählung seiner
Abenteuer aus Kalifornien die Abendstunden angenehm verkürzte. Er hatte
in Kalifornien in wenigen Tagen mit allen möglichen Handwerken sein Glück
versucht. Als er zuletzt durch Gemüsehandel auf einen grünen Zweig gekommen
war, hatte ihn das Heimweh erfaßt und wieder auf seine stille Alp zurückge¬
führt. "Oft sieht er," erzählt unser Autor, "nur alle Wochen ein fremdes
Gesicht, wenn er seine Butter acht Stunden weit nach Airolo auf den Markt
trägt. Während er sich draußen allerlei Weltkenntniß erworben, geläufig englisch
und französisch sprechen gelernt, hat er doch seinen angeborenen Humor nicht
im mindesten in der Welt zurückgelassen."

Die Auswanderung der Männer, welche die besten Kräfte dem Lande ent¬
weder für immer oder für den größten Theil des Jahres entzieht, hat natürlich
für die Stellung der Frau vielfache Nachtheile im Gefolge. Die Weiber der
Bauern haben in diesen Thälern ein mühsameres Leben als sonst ihrem Ge¬
schlechte zukommt; sie müssen in Abwesenheit der Männer die beschwerlichsten
und härtesten Arbeiten des Feldbaues größtentheils allein besorgen. Da wo
die Steilheit des Geländes den Gebrauch des Pfluges nicht zuläßt, müssen
diese schwachen Geschöpfe das Land bedanken, den Dünger auf dem Rücken hin¬
auftragen und nebenbei ihre Kinder pflegen und alle Sorgen der Haushaltung
auf sich behalten. Sie tragen schwere Bürden zu Markt, sie schleppen in ihren
Körben Holz und Kastanien aus dem Walde nach Hause oder bringen aus dem
hohen Gebirge durch steile Wege und Klüfte Kohlen an die Seeufer hin und
verrichten Stunden weit das Botenwesen. Hoch oben auf steilen Felswänden
schneiden sie wie Wildhauer das Gras, und es vergeht kein Jahr, das nicht in
Val Maggia eine oder die andere dieser armen Creaturen bei solcher Arbeit
in den Abgrund stürzt. Daß sie bei solchen Plagen früh altern und unter den
schweren Lasten, die sie zu tragen haben, ihr Rücken sich krümmt, ist natürlich.

Und trotz alledem, wie behandelt der Mann seine Frau? Es ist und bleibt
eine traurige Wahrheit, daß je mehr und schwerer die Frau arbeitet, sie um
so mehr die Achtung des Mannes verliert und er sich gewöhnt, sie nicht als
seine gleichberechtigte Genossin in Freud und Leid, Arbeit und Erholung anzu¬
sehen, sondern als seine Dienerin und Arbeiterin, die seine Kinder aufzuziehen
und seine Erwerbszwecke zu fördern hat. Diese althergebrachte Auffassung des
ehelichen Verhältnisses scheint auch hier beideu Theilen ganz berechtigt. So
erzählt Bonstetten, er habe ein Ehepaar gefragt, warum sie auf ihren beschwer-


das Heimweh zurück, der dann, nachdem er die halbe Welt gesehen, sein Dasein
in dem engen Winkel seiner Alp weiterführt. Ein Mitglied des Schweizerischen
Alpenclubs fand auf der fünf Stunden von Bignaseo in Val Maggia ent¬
fernten, durch einen Felsencircus von der übrigen Welt völlig abgesonderten
Alp Zotto einen solchen Heimgekehrten, der ihn mit der Erzählung seiner
Abenteuer aus Kalifornien die Abendstunden angenehm verkürzte. Er hatte
in Kalifornien in wenigen Tagen mit allen möglichen Handwerken sein Glück
versucht. Als er zuletzt durch Gemüsehandel auf einen grünen Zweig gekommen
war, hatte ihn das Heimweh erfaßt und wieder auf seine stille Alp zurückge¬
führt. „Oft sieht er," erzählt unser Autor, „nur alle Wochen ein fremdes
Gesicht, wenn er seine Butter acht Stunden weit nach Airolo auf den Markt
trägt. Während er sich draußen allerlei Weltkenntniß erworben, geläufig englisch
und französisch sprechen gelernt, hat er doch seinen angeborenen Humor nicht
im mindesten in der Welt zurückgelassen."

Die Auswanderung der Männer, welche die besten Kräfte dem Lande ent¬
weder für immer oder für den größten Theil des Jahres entzieht, hat natürlich
für die Stellung der Frau vielfache Nachtheile im Gefolge. Die Weiber der
Bauern haben in diesen Thälern ein mühsameres Leben als sonst ihrem Ge¬
schlechte zukommt; sie müssen in Abwesenheit der Männer die beschwerlichsten
und härtesten Arbeiten des Feldbaues größtentheils allein besorgen. Da wo
die Steilheit des Geländes den Gebrauch des Pfluges nicht zuläßt, müssen
diese schwachen Geschöpfe das Land bedanken, den Dünger auf dem Rücken hin¬
auftragen und nebenbei ihre Kinder pflegen und alle Sorgen der Haushaltung
auf sich behalten. Sie tragen schwere Bürden zu Markt, sie schleppen in ihren
Körben Holz und Kastanien aus dem Walde nach Hause oder bringen aus dem
hohen Gebirge durch steile Wege und Klüfte Kohlen an die Seeufer hin und
verrichten Stunden weit das Botenwesen. Hoch oben auf steilen Felswänden
schneiden sie wie Wildhauer das Gras, und es vergeht kein Jahr, das nicht in
Val Maggia eine oder die andere dieser armen Creaturen bei solcher Arbeit
in den Abgrund stürzt. Daß sie bei solchen Plagen früh altern und unter den
schweren Lasten, die sie zu tragen haben, ihr Rücken sich krümmt, ist natürlich.

Und trotz alledem, wie behandelt der Mann seine Frau? Es ist und bleibt
eine traurige Wahrheit, daß je mehr und schwerer die Frau arbeitet, sie um
so mehr die Achtung des Mannes verliert und er sich gewöhnt, sie nicht als
seine gleichberechtigte Genossin in Freud und Leid, Arbeit und Erholung anzu¬
sehen, sondern als seine Dienerin und Arbeiterin, die seine Kinder aufzuziehen
und seine Erwerbszwecke zu fördern hat. Diese althergebrachte Auffassung des
ehelichen Verhältnisses scheint auch hier beideu Theilen ganz berechtigt. So
erzählt Bonstetten, er habe ein Ehepaar gefragt, warum sie auf ihren beschwer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/296>, abgerufen am 22.07.2024.