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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Vereinzelung, sondern als Ausfluß des ehernen Gesetzes der Vergänglichkeit, das
dieser Welt gebietet. Sie hat die Vergänglichkeit der Welt aufs tiefste und
schmerzlichste empfunden; sie hat dem Grauen des Todes, der auf allem Irdi¬
schen ruht, schreckenerfüllt in das öde Auge gesehen und ist so die Dichterin der
Vergänglichkeit alles irdischen Seins geworden. Bei den scheinbar bedeutungs¬
losesten Vorgängen tritt dieselbe in ihr Bewußtsein. Sie steht mit Levin Schücking
am Gestade des Bodensees, den Blick auf eine Taucherente gerichtet, die hin
und wieder schlüpft.


Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Loth,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend
Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!
Wir beide schaun gespannten Blickes nieder;
Du flüsterst lächelnd: immer kömmt sie auf --
Und ich, ich denke: immer sinkt sie wiederI

Sie blickt auf die Sträuße und Kränze, die sie zur Erinnerung an schöne
Stunden bewahrt, und gedenkt wehmüthig, wie sie dahin geschwunden sind im
Strome der alles mit sich fortreißenden Zeit. Oder sie wandelt durch Zimmer,
in denen sie vor langen Jahren geweilt -- wie viel Unwiederbringliches ist seit¬
dem verloren!


Und an dem blanken Gartensaale drüben,
Da steht 'ne schlanke Maid mit ihrem Lieben,
Die schaun sich lächelnd in der Seele Grund,
In ihren braunen Locken rollt der Wind;
Gott segne dich, du bist geliebt, mein Kind,
Bist fröhlich und gesund.
Sie aber, die vor Lustren dich gebar,
Wie du so schön, so frisch und jugendklar,
Sie steht mit Einer an des Parkes Ende
Und drückt zum Scheiden ihr die bleichen Hände,
Mit Einer, wie du nimmer möchtest denken,
So könne deiner Jugend Flut sich senken;
Sie schaun sich an, du nennst vielleicht es kalt,
Zwei starre Stämme, aber sonder Wart
Und sonder Thränenquell, denn sie sind krank,
Ach, Beide, krank und alt!

Und wenn sie in "varxs äisrn" mahnt, die Gegenwart auszulaufen, die Lebens¬
fülle, die jede Stunde in sich schließt, zu genießen, wenn sie unsere Thorheit
beklagt, die uns unruhig auf Vergangenheit und Zukunft die Blicke zu richten
treibt, "Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück, Und unsre Morgen
morden unsre Heute," wer hörte in dem Tone dieser Mahnung und Klage nicht
den Laut des Schmerzes über die Vergänglichkeit des Daseins!

Aber dieser Laut ist nicht ihr letztes Wort; über die Vergänglichkeit der


Vereinzelung, sondern als Ausfluß des ehernen Gesetzes der Vergänglichkeit, das
dieser Welt gebietet. Sie hat die Vergänglichkeit der Welt aufs tiefste und
schmerzlichste empfunden; sie hat dem Grauen des Todes, der auf allem Irdi¬
schen ruht, schreckenerfüllt in das öde Auge gesehen und ist so die Dichterin der
Vergänglichkeit alles irdischen Seins geworden. Bei den scheinbar bedeutungs¬
losesten Vorgängen tritt dieselbe in ihr Bewußtsein. Sie steht mit Levin Schücking
am Gestade des Bodensees, den Blick auf eine Taucherente gerichtet, die hin
und wieder schlüpft.


Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Loth,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend
Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!
Wir beide schaun gespannten Blickes nieder;
Du flüsterst lächelnd: immer kömmt sie auf —
Und ich, ich denke: immer sinkt sie wiederI

Sie blickt auf die Sträuße und Kränze, die sie zur Erinnerung an schöne
Stunden bewahrt, und gedenkt wehmüthig, wie sie dahin geschwunden sind im
Strome der alles mit sich fortreißenden Zeit. Oder sie wandelt durch Zimmer,
in denen sie vor langen Jahren geweilt — wie viel Unwiederbringliches ist seit¬
dem verloren!


Und an dem blanken Gartensaale drüben,
Da steht 'ne schlanke Maid mit ihrem Lieben,
Die schaun sich lächelnd in der Seele Grund,
In ihren braunen Locken rollt der Wind;
Gott segne dich, du bist geliebt, mein Kind,
Bist fröhlich und gesund.
Sie aber, die vor Lustren dich gebar,
Wie du so schön, so frisch und jugendklar,
Sie steht mit Einer an des Parkes Ende
Und drückt zum Scheiden ihr die bleichen Hände,
Mit Einer, wie du nimmer möchtest denken,
So könne deiner Jugend Flut sich senken;
Sie schaun sich an, du nennst vielleicht es kalt,
Zwei starre Stämme, aber sonder Wart
Und sonder Thränenquell, denn sie sind krank,
Ach, Beide, krank und alt!

Und wenn sie in „varxs äisrn" mahnt, die Gegenwart auszulaufen, die Lebens¬
fülle, die jede Stunde in sich schließt, zu genießen, wenn sie unsere Thorheit
beklagt, die uns unruhig auf Vergangenheit und Zukunft die Blicke zu richten
treibt, „Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück, Und unsre Morgen
morden unsre Heute," wer hörte in dem Tone dieser Mahnung und Klage nicht
den Laut des Schmerzes über die Vergänglichkeit des Daseins!

Aber dieser Laut ist nicht ihr letztes Wort; über die Vergänglichkeit der


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[0278] Vereinzelung, sondern als Ausfluß des ehernen Gesetzes der Vergänglichkeit, das dieser Welt gebietet. Sie hat die Vergänglichkeit der Welt aufs tiefste und schmerzlichste empfunden; sie hat dem Grauen des Todes, der auf allem Irdi¬ schen ruht, schreckenerfüllt in das öde Auge gesehen und ist so die Dichterin der Vergänglichkeit alles irdischen Seins geworden. Bei den scheinbar bedeutungs¬ losesten Vorgängen tritt dieselbe in ihr Bewußtsein. Sie steht mit Levin Schücking am Gestade des Bodensees, den Blick auf eine Taucherente gerichtet, die hin und wieder schlüpft. Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Loth, Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf! Wir beide schaun gespannten Blickes nieder; Du flüsterst lächelnd: immer kömmt sie auf — Und ich, ich denke: immer sinkt sie wiederI Sie blickt auf die Sträuße und Kränze, die sie zur Erinnerung an schöne Stunden bewahrt, und gedenkt wehmüthig, wie sie dahin geschwunden sind im Strome der alles mit sich fortreißenden Zeit. Oder sie wandelt durch Zimmer, in denen sie vor langen Jahren geweilt — wie viel Unwiederbringliches ist seit¬ dem verloren! Und an dem blanken Gartensaale drüben, Da steht 'ne schlanke Maid mit ihrem Lieben, Die schaun sich lächelnd in der Seele Grund, In ihren braunen Locken rollt der Wind; Gott segne dich, du bist geliebt, mein Kind, Bist fröhlich und gesund. Sie aber, die vor Lustren dich gebar, Wie du so schön, so frisch und jugendklar, Sie steht mit Einer an des Parkes Ende Und drückt zum Scheiden ihr die bleichen Hände, Mit Einer, wie du nimmer möchtest denken, So könne deiner Jugend Flut sich senken; Sie schaun sich an, du nennst vielleicht es kalt, Zwei starre Stämme, aber sonder Wart Und sonder Thränenquell, denn sie sind krank, Ach, Beide, krank und alt! Und wenn sie in „varxs äisrn" mahnt, die Gegenwart auszulaufen, die Lebens¬ fülle, die jede Stunde in sich schließt, zu genießen, wenn sie unsere Thorheit beklagt, die uns unruhig auf Vergangenheit und Zukunft die Blicke zu richten treibt, „Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück, Und unsre Morgen morden unsre Heute," wer hörte in dem Tone dieser Mahnung und Klage nicht den Laut des Schmerzes über die Vergänglichkeit des Daseins! Aber dieser Laut ist nicht ihr letztes Wort; über die Vergänglichkeit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/278>, abgerufen am 01.07.2024.