Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.Weltspiegelung erhebt sie sich in der Selbstspiegelung des Glaubens. Als Glied Es ist "Das geistliche Jahr", ein umfassender Cyklus von Gedichten, den Es bleibt uns schließlich noch die Aufgabe, die Gestalt des äußeren Lebens Die Familie, der Annette entstammte, zählt zu den angesehensten altadlichen *) Wir folgen dabei in erster Linie der ausgezeichneten biographischen Charakteristik,
mit der Levin Schücking die Herausgabe ihrer Schriften eingeleitet hat. Weltspiegelung erhebt sie sich in der Selbstspiegelung des Glaubens. Als Glied Es ist „Das geistliche Jahr", ein umfassender Cyklus von Gedichten, den Es bleibt uns schließlich noch die Aufgabe, die Gestalt des äußeren Lebens Die Familie, der Annette entstammte, zählt zu den angesehensten altadlichen *) Wir folgen dabei in erster Linie der ausgezeichneten biographischen Charakteristik,
mit der Levin Schücking die Herausgabe ihrer Schriften eingeleitet hat. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146784"/> <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836"> Weltspiegelung erhebt sie sich in der Selbstspiegelung des Glaubens. Als Glied<lb/> der Welt fühlt sie sich in den Wirbel der Atome hineingezogen, eine schwindende<lb/> Welle im Ocean; in Gott weiß sie sich unvergänglich und frei, triumphirt sie<lb/> über die Nacht des Todes.</p><lb/> <p xml:id="ID_838"> Es ist „Das geistliche Jahr", ein umfassender Cyklus von Gedichten, den<lb/> Sonntagen und hohen Festen des Kirchenjahrs geweiht, in dein wir den Aus¬<lb/> druck der religiösen Gesammtanschauung der Dichterin erkennen. Wohl wird<lb/> auch hier die Stimme der Klage laut über die Nichtigkeit des Erdenseins, wohl<lb/> legt sich auch hier schwer lastend das Räthsel des Lebens auf das von Zweifeln<lb/> erschütterte Herz, und nicht immer will es tagen. Oft muß sie sich losreißen<lb/> und vor den verwirrenden Fragen das Auge schließen, der Ewigkeit gedenkend,<lb/> welche alle Räthsel löst; aber es fehlt auch nicht die Stimme des Frohlockens,<lb/> die hoffend und vertrauend sich der göttlichen Gnade und Leitung ergiebt. Doch<lb/> ist allerdings der Grundton auch dieser Gedichte nicht die Gewißheit des Glau¬<lb/> bens, sondern das Ringen und Kämpfen um ihn. Das Wort des Heilandes:<lb/> „Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt thun, reißen es an sich" —<lb/> in der religiösen Gemüthswelt der Dichterin ist es volle Wirklichkeit geworden. —</p><lb/> <p xml:id="ID_839"> Es bleibt uns schließlich noch die Aufgabe, die Gestalt des äußeren Lebens<lb/> der Dichterin ins Auge zu fassen, und zu sehen, ob es uns einen Schlüssel zum<lb/> Verständniß ihrer inneren Physiognomie darbietet.*) Und in der That in mannig¬<lb/> facher Hinsicht können wir eine Beziehung zwischen dem Boden, auf dem sie<lb/> erwuchs, den Verhältnissen, welche auf sie wirkten, ja auch zwischen den körper¬<lb/> lichen Bedingungen ihres Daseins und ihrem Seelen- und Gemüthsleben auf¬<lb/> weisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_840" next="#ID_841"> Die Familie, der Annette entstammte, zählt zu den angesehensten altadlichen<lb/> Geschlechtern des Münsterlandes. Schönheit der Erscheinung war ein Erb¬<lb/> gut des Hauses. Künstlerische Begabung zeigte sich mehrfach in den letzten<lb/> Generationen. Annelees Mutter gehörte der Familie von Haxthausen an; der<lb/> wissenschaftlich ausgezeichnete Freiherr August von Haxthausen war ihr Bruder.<lb/> Am 10. Januar 1797 wurde Anna Elisabeth Franziska Adolphine Wilhelmine<lb/> Luise Maria Freiin von Droste auf dem Erbgute Hülshoff geboren, ein schwäch¬<lb/> liches, nur durch große Sorgfalt erhaltenes Kind. Die Erziehung, die wesent¬<lb/> lich in der Hand der Mutter lag, war eine ziemlich strenge. Die große, krank¬<lb/> haft erscheinende Lebhaftigkeit des Kindes suchte die Mutter zu zügeln. Der<lb/> Unterricht begann früh, die elementaren Disciplinen lehrte die Mutter selbst;<lb/> dann nahm Annette an dem wissenschaftlichen Unterrichte Theil, den die Brüder</p><lb/> <note xml:id="FID_48" place="foot"> *) Wir folgen dabei in erster Linie der ausgezeichneten biographischen Charakteristik,<lb/> mit der Levin Schücking die Herausgabe ihrer Schriften eingeleitet hat.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Weltspiegelung erhebt sie sich in der Selbstspiegelung des Glaubens. Als Glied
der Welt fühlt sie sich in den Wirbel der Atome hineingezogen, eine schwindende
Welle im Ocean; in Gott weiß sie sich unvergänglich und frei, triumphirt sie
über die Nacht des Todes.
Es ist „Das geistliche Jahr", ein umfassender Cyklus von Gedichten, den
Sonntagen und hohen Festen des Kirchenjahrs geweiht, in dein wir den Aus¬
druck der religiösen Gesammtanschauung der Dichterin erkennen. Wohl wird
auch hier die Stimme der Klage laut über die Nichtigkeit des Erdenseins, wohl
legt sich auch hier schwer lastend das Räthsel des Lebens auf das von Zweifeln
erschütterte Herz, und nicht immer will es tagen. Oft muß sie sich losreißen
und vor den verwirrenden Fragen das Auge schließen, der Ewigkeit gedenkend,
welche alle Räthsel löst; aber es fehlt auch nicht die Stimme des Frohlockens,
die hoffend und vertrauend sich der göttlichen Gnade und Leitung ergiebt. Doch
ist allerdings der Grundton auch dieser Gedichte nicht die Gewißheit des Glau¬
bens, sondern das Ringen und Kämpfen um ihn. Das Wort des Heilandes:
„Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt thun, reißen es an sich" —
in der religiösen Gemüthswelt der Dichterin ist es volle Wirklichkeit geworden. —
Es bleibt uns schließlich noch die Aufgabe, die Gestalt des äußeren Lebens
der Dichterin ins Auge zu fassen, und zu sehen, ob es uns einen Schlüssel zum
Verständniß ihrer inneren Physiognomie darbietet.*) Und in der That in mannig¬
facher Hinsicht können wir eine Beziehung zwischen dem Boden, auf dem sie
erwuchs, den Verhältnissen, welche auf sie wirkten, ja auch zwischen den körper¬
lichen Bedingungen ihres Daseins und ihrem Seelen- und Gemüthsleben auf¬
weisen.
Die Familie, der Annette entstammte, zählt zu den angesehensten altadlichen
Geschlechtern des Münsterlandes. Schönheit der Erscheinung war ein Erb¬
gut des Hauses. Künstlerische Begabung zeigte sich mehrfach in den letzten
Generationen. Annelees Mutter gehörte der Familie von Haxthausen an; der
wissenschaftlich ausgezeichnete Freiherr August von Haxthausen war ihr Bruder.
Am 10. Januar 1797 wurde Anna Elisabeth Franziska Adolphine Wilhelmine
Luise Maria Freiin von Droste auf dem Erbgute Hülshoff geboren, ein schwäch¬
liches, nur durch große Sorgfalt erhaltenes Kind. Die Erziehung, die wesent¬
lich in der Hand der Mutter lag, war eine ziemlich strenge. Die große, krank¬
haft erscheinende Lebhaftigkeit des Kindes suchte die Mutter zu zügeln. Der
Unterricht begann früh, die elementaren Disciplinen lehrte die Mutter selbst;
dann nahm Annette an dem wissenschaftlichen Unterrichte Theil, den die Brüder
*) Wir folgen dabei in erster Linie der ausgezeichneten biographischen Charakteristik,
mit der Levin Schücking die Herausgabe ihrer Schriften eingeleitet hat.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |