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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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glückten und an Thür oder Fensterladen das Anpochen desjenigen, der ihn oder
seinen Nachfolger zur Hilfe auffordern wird. -- Der Nichtbegabte steht neben dem
Vorschauer und ahnt Nichts, während die Pferde im Stalle ängstlich schnauben
und schlagen, und der Hund jämmerlich heulend mit eingeklemmten Schweife seinem
Herrn zwischen die Beine kriecht. Die Gabe soll sich jedoch übertragen, wenn
ein nebenstehender dem Vorgucker über die linke Schulter sieht, wo er zwar für
dieses Mal nichts bemerkt, fortan aber für den anderen die nächtliche Schan halten
muß. -- Wir sagen dies fast ungern, da dieser Zusatz einem unleugbaren und höchst
merkwürdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrückt."

Daß die Dichterin von dieser psychischen Eigenthümlichkeit ihrer Stammes¬
genossen poetischen Gebrauch gemacht hat, kann ihr gewiß nicht zum Vorwurfe
gereichen, und daß derselbe in die Balladenstimmnng hinein paßt, unterliegt
keinem Zweifel. Nur daß sie das Motiv zu oft verwendet, müssen wir als
fehlerhaft bezeichnen. Ihr Interesse an der Eigenart ihrer Landsleute hat sie
dazu veranlaßt; doch nicht bloß dies, der mystische Zug der Volksseele überhaupt,
wie er sich in Visionen und Sagen ausspricht, hatte für sie etwas Anziehendes
und Fesselndes. Und wer kann sich dem Reize der Volkssage entziehen, in dem
eine ganz besondere Gattung der Volkspoesie, die mythische Gestaltung des
natürlichen und sittlichen Lebens, uns offenbart wird? wer möchte an jenen
wunderbaren Erscheinungen, in denen eine der Schranken von Raum und Zeit
entnommene Daseinsweise der Seele sich kund thut, gleichgiltig vorübergehen?
Man braucht uicht von romantischen Stimmungen erfüllt zu sein, um hier zu
verweilen; ein dichterisches Gemüth zumal fühlt sich unwiderstehlich gefesselt.
Aus diesem Interesse am mystischen Zuge der Volksseele ist nun auch dieser
Gedichts-Cyklus "Volksglauben in den Pyrenäen" entstanden, wie ihm auch die
poetische Erzählung "Der LMWs KuniliWs des Roßtäuschers" ihren Ursprung
dankt.

Jenem Kranze kleinerer Gedichte geben wir aber bei weitem den Vorzug
vor dieser poetischen Erzählung. In letzterer tritt der Volksaberglaube zu massiv
auf, um unsere Theilnahme zu erregen; auch macht der Held keine innere Ent¬
wicklung durch, die ihm unsere Theilnahme erwecken könnte; er ist eigentlich
schon im Anfang derselbe wie am Ende. Mit zagenden Herzen hat er im un¬
heimlichen Hanse aus böser Hand gegen die Unterschrift seines Namens die
Phiole empfangen, die ihn zum reichen Manne macht, die Phiole, in welcher
der Lxiriws kaMliaris haust. Reich geworden, wird er nie seines Reichthums
froh, er möchte sich der Phiole entledigen, er wirft sie fort, aber sie kehrt wieder,
er kann sich von ihr nicht los machen; endlich stoßt er eine Reliquie, einen
Nagel vom Kreuze Christi, in die Flasche. Da entweicht der unheimliche Gast.
Aber nun kommt auch Unglück auf Unglück über ihn, er wird arm und elend; als


glückten und an Thür oder Fensterladen das Anpochen desjenigen, der ihn oder
seinen Nachfolger zur Hilfe auffordern wird. — Der Nichtbegabte steht neben dem
Vorschauer und ahnt Nichts, während die Pferde im Stalle ängstlich schnauben
und schlagen, und der Hund jämmerlich heulend mit eingeklemmten Schweife seinem
Herrn zwischen die Beine kriecht. Die Gabe soll sich jedoch übertragen, wenn
ein nebenstehender dem Vorgucker über die linke Schulter sieht, wo er zwar für
dieses Mal nichts bemerkt, fortan aber für den anderen die nächtliche Schan halten
muß. — Wir sagen dies fast ungern, da dieser Zusatz einem unleugbaren und höchst
merkwürdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrückt."

Daß die Dichterin von dieser psychischen Eigenthümlichkeit ihrer Stammes¬
genossen poetischen Gebrauch gemacht hat, kann ihr gewiß nicht zum Vorwurfe
gereichen, und daß derselbe in die Balladenstimmnng hinein paßt, unterliegt
keinem Zweifel. Nur daß sie das Motiv zu oft verwendet, müssen wir als
fehlerhaft bezeichnen. Ihr Interesse an der Eigenart ihrer Landsleute hat sie
dazu veranlaßt; doch nicht bloß dies, der mystische Zug der Volksseele überhaupt,
wie er sich in Visionen und Sagen ausspricht, hatte für sie etwas Anziehendes
und Fesselndes. Und wer kann sich dem Reize der Volkssage entziehen, in dem
eine ganz besondere Gattung der Volkspoesie, die mythische Gestaltung des
natürlichen und sittlichen Lebens, uns offenbart wird? wer möchte an jenen
wunderbaren Erscheinungen, in denen eine der Schranken von Raum und Zeit
entnommene Daseinsweise der Seele sich kund thut, gleichgiltig vorübergehen?
Man braucht uicht von romantischen Stimmungen erfüllt zu sein, um hier zu
verweilen; ein dichterisches Gemüth zumal fühlt sich unwiderstehlich gefesselt.
Aus diesem Interesse am mystischen Zuge der Volksseele ist nun auch dieser
Gedichts-Cyklus „Volksglauben in den Pyrenäen" entstanden, wie ihm auch die
poetische Erzählung „Der LMWs KuniliWs des Roßtäuschers" ihren Ursprung
dankt.

Jenem Kranze kleinerer Gedichte geben wir aber bei weitem den Vorzug
vor dieser poetischen Erzählung. In letzterer tritt der Volksaberglaube zu massiv
auf, um unsere Theilnahme zu erregen; auch macht der Held keine innere Ent¬
wicklung durch, die ihm unsere Theilnahme erwecken könnte; er ist eigentlich
schon im Anfang derselbe wie am Ende. Mit zagenden Herzen hat er im un¬
heimlichen Hanse aus böser Hand gegen die Unterschrift seines Namens die
Phiole empfangen, die ihn zum reichen Manne macht, die Phiole, in welcher
der Lxiriws kaMliaris haust. Reich geworden, wird er nie seines Reichthums
froh, er möchte sich der Phiole entledigen, er wirft sie fort, aber sie kehrt wieder,
er kann sich von ihr nicht los machen; endlich stoßt er eine Reliquie, einen
Nagel vom Kreuze Christi, in die Flasche. Da entweicht der unheimliche Gast.
Aber nun kommt auch Unglück auf Unglück über ihn, er wird arm und elend; als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/254>, abgerufen am 22.07.2024.