Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.gegenwärtigen Grenzen verbleibe oder seine Herrschaft bis zu unsern eigenen Man wird unbefangener Weise zugeben müssen, daß die Verfechter der Wir kommen also zu dem Resultate, daß nur in dem Falle von einem gegenwärtigen Grenzen verbleibe oder seine Herrschaft bis zu unsern eigenen Man wird unbefangener Weise zugeben müssen, daß die Verfechter der Wir kommen also zu dem Resultate, daß nur in dem Falle von einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146747"/> <p xml:id="ID_719" prev="#ID_718"> gegenwärtigen Grenzen verbleibe oder seine Herrschaft bis zu unsern eigenen<lb/> Grenzen vorschiebe, buchstäblich nichts zu fürchten. Diejenigen, welche ans irgend<lb/> einem Grunde sich befleißigen die Lüge (lÄlsLlwaä) unserer Schwäche in Indien<lb/> zu verbreiten, fügen uns großes Unrecht zu. Wir sind in diesem Lande gradezu<lb/> für jede Macht der Welt unbesiegbar, wenn wir uns nur selber treu bleiben"<lb/> (xroviclsä >of arg druf to oursslvss).</p><lb/> <p xml:id="ID_720"> Man wird unbefangener Weise zugeben müssen, daß die Verfechter der<lb/> optimistischen Richtung in England für ihre Ansicht im Stande sind, Gründe<lb/> von Gewicht und von unumstößlicher Geltung anzuführen. Daß England nicht<lb/> eher von der Vertheidigung seines indischen Kaiserreichs zurücktreten wird, als<lb/> bis es zugleich den letzten Athemzug als Großstaat gethan, ist unzweifelhaft.<lb/> Brittisch-Jndien erobern wollen, heißt beabsichtigen, England aus der Reihe der<lb/> Großstaaten ersten Ranges streichen. Dieses Unterfangen ist keine Kleinigkeit<lb/> bei einem Reiche von fast einer Viertel Milliarde Einwohner, die seit einem<lb/> Jahrhundert sich unter der staatlichen Organisation Englands befinden. Es ist<lb/> andererseits daran zu erinnern, daß Nußland in Turkestan höchstens seit einem<lb/> Decennium Herr ist. Daß England in Bezug auf finanzielle Kraft dem russi¬<lb/> schen Feinde bedeutend überlegen ist, braucht wohl nur angedeutet zu werden,<lb/> desgleichen, daß Indiens Küstenentwicklung der Seemacht des Mutterstaats die<lb/> ausgedehnteste Betheiligung an der Vertheidigung gestattet. In keinem Falle<lb/> würde ferner England der angreifende Theil sein. Die neuere Kriegsgeschichte<lb/> lehrt aber, daß der Angreifer mit mindestens verdoppelter Heeresstärke den in<lb/> festen Stellungen concentrirten Feind fassen muß, und daß der Angriffskampf<lb/> bedeutend größere Kräfte verbraucht als die Defensive; in letzterer befände sich<lb/> aber das into-brittische Reich. England-Indien kann seine gesammte mili¬<lb/> tärische Kraft zur Vertheidigung aufbieten; von Rußland wird kein ernsthafter<lb/> Politiker sagen können, daß es seine Gesammtmilitärmacht in die Kirgisensteppe<lb/> Turkestans, die südlichste Spitze seines colossalen Weltreiches ohne Gefahr ab¬<lb/> lenken kann. Endlich liegt der mächtigste Zunder zu allen großen Kriegsfackeln<lb/> in der Hoffnung beider Gegner auf materiellen Gewinn. In einem Kampfe<lb/> um Brittisch-Jndien hätte aber eigentlich nnr Rußland zu gewinnen, natürlich<lb/> bei einem solchen va bM^us-Spiel auch viel zu verlieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_721" next="#ID_722"> Wir kommen also zu dem Resultate, daß nur in dem Falle von einem<lb/> Angriffe Rußlands auf Indien die Rede sein könnte, wenn England seine staat¬<lb/> lichen Pflichten gegen Indien so sehr verabsäumte, daß die Hindu selbst mit<lb/> Erfolg zu den Waffen griffen, um die Engländer zu vertreiben. Dann könnte<lb/> Nußland vielleicht dem unterdrückten Volke seine „guten Dienste" anbieten. Ueber<lb/> die Richtigkeit dieser Maßregel ließe sich freilich auch dann noch streiten. Aber<lb/> dieser mögliche Fall liegt einstweilen gar nicht vor. Lord Salisbury hatte in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0242]
gegenwärtigen Grenzen verbleibe oder seine Herrschaft bis zu unsern eigenen
Grenzen vorschiebe, buchstäblich nichts zu fürchten. Diejenigen, welche ans irgend
einem Grunde sich befleißigen die Lüge (lÄlsLlwaä) unserer Schwäche in Indien
zu verbreiten, fügen uns großes Unrecht zu. Wir sind in diesem Lande gradezu
für jede Macht der Welt unbesiegbar, wenn wir uns nur selber treu bleiben"
(xroviclsä >of arg druf to oursslvss).
Man wird unbefangener Weise zugeben müssen, daß die Verfechter der
optimistischen Richtung in England für ihre Ansicht im Stande sind, Gründe
von Gewicht und von unumstößlicher Geltung anzuführen. Daß England nicht
eher von der Vertheidigung seines indischen Kaiserreichs zurücktreten wird, als
bis es zugleich den letzten Athemzug als Großstaat gethan, ist unzweifelhaft.
Brittisch-Jndien erobern wollen, heißt beabsichtigen, England aus der Reihe der
Großstaaten ersten Ranges streichen. Dieses Unterfangen ist keine Kleinigkeit
bei einem Reiche von fast einer Viertel Milliarde Einwohner, die seit einem
Jahrhundert sich unter der staatlichen Organisation Englands befinden. Es ist
andererseits daran zu erinnern, daß Nußland in Turkestan höchstens seit einem
Decennium Herr ist. Daß England in Bezug auf finanzielle Kraft dem russi¬
schen Feinde bedeutend überlegen ist, braucht wohl nur angedeutet zu werden,
desgleichen, daß Indiens Küstenentwicklung der Seemacht des Mutterstaats die
ausgedehnteste Betheiligung an der Vertheidigung gestattet. In keinem Falle
würde ferner England der angreifende Theil sein. Die neuere Kriegsgeschichte
lehrt aber, daß der Angreifer mit mindestens verdoppelter Heeresstärke den in
festen Stellungen concentrirten Feind fassen muß, und daß der Angriffskampf
bedeutend größere Kräfte verbraucht als die Defensive; in letzterer befände sich
aber das into-brittische Reich. England-Indien kann seine gesammte mili¬
tärische Kraft zur Vertheidigung aufbieten; von Rußland wird kein ernsthafter
Politiker sagen können, daß es seine Gesammtmilitärmacht in die Kirgisensteppe
Turkestans, die südlichste Spitze seines colossalen Weltreiches ohne Gefahr ab¬
lenken kann. Endlich liegt der mächtigste Zunder zu allen großen Kriegsfackeln
in der Hoffnung beider Gegner auf materiellen Gewinn. In einem Kampfe
um Brittisch-Jndien hätte aber eigentlich nnr Rußland zu gewinnen, natürlich
bei einem solchen va bM^us-Spiel auch viel zu verlieren.
Wir kommen also zu dem Resultate, daß nur in dem Falle von einem
Angriffe Rußlands auf Indien die Rede sein könnte, wenn England seine staat¬
lichen Pflichten gegen Indien so sehr verabsäumte, daß die Hindu selbst mit
Erfolg zu den Waffen griffen, um die Engländer zu vertreiben. Dann könnte
Nußland vielleicht dem unterdrückten Volke seine „guten Dienste" anbieten. Ueber
die Richtigkeit dieser Maßregel ließe sich freilich auch dann noch streiten. Aber
dieser mögliche Fall liegt einstweilen gar nicht vor. Lord Salisbury hatte in
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