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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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fruchtbarsten und entferntesten Theil feines Reiches zur Operationsbasis nimmt,
auch nur die leiseste Absicht gegen das englische Indien hegen könnte. Würde
man, was ich mit meiner Kenntniß der kirgisischen Steppen leugne, die Mittel
finden, einer großen organisirten Armee durch die Wüsteneien des Oxus den
Durchzug gegen jene Theile Chinas zu ermöglichen, mit welchen das russische
Volk schon lange Handelsbeziehungen gepflegt hat, so könnte man nichtsdesto¬
weniger mit voller Wahrheit und Bestimmtheit behaupten, daß ein Einfall in
das brittische Indien, welcher von der neuen russischen Grenze von der chine¬
sischen Seite ausginge, eine reine Chimäre, wenn nicht eine Physische Unmög¬
lichkeit ist." Der Marquis of Salisbury erklärte noch auf der Conferenz vom
Jahre 1877 in Constantinopel (allerdings damals von Jgnatieff völlig einge¬
nommen) "die Befürchtungen eines Conflictes in Asien zwischen Rußland und
England wegen Indien sei ein Nachtgespenst" (InäiM ni^traars). Es ist jedoch
zu bemerken, daß einem russischen Heere außer dem Landwege durch das unwirth¬
liche Turkestan auch der Seeweg von der Mündung der Wolga bis nach dem
Hafen Asterabad in Persien am Südrande des Caspischen Meeres offen steht,
vorausgesetzt, daß die freundlichen Beziehungen zu Persien den Durchzug durch
dieses Land gestatten. Das Liebäugeln der Engländer mit Persien und seinem
Schah, die Gerüchte, als ob England eine Besetzung Herats durch Persien
nicht ungern sähe, die deutlichen Fingerzeige, die H. Rawlinson hierüber giebt,
sind jetzt auch in ein deutlicheres Licht gerückt. Herat ist für Afghanistan d. h. für
das westliche Afghanistan der strategisch wichtigste Punkt. Es ist die Haupt¬
station der Etappenstraße zwischen Iran und Hindostan; die sogenannte Königs¬
straße von Persien über Herat-Kondahar-Ghosna nach Cabul bietet einer Armee
nirgends Schwierigkeiten.

Den eben angeführten Standpunkt Murchisons bezüglich der Gefahr für
Indien theilte auch Lord Rüssel, welcher damals an der Spitze des korsiAn,
<Mes stand, desgleichen der damalige englische Gesandte in Se. Petersburg,
Lumley. Im December 1867 äußerte sich auch der Staats-Secretär für Indien,
Sir Stafford Northcote folgendermaßen: "Die Eroberungen, welche Rußland
in Centrälasien bereits gemacht, und diejenigen, welche es, wie es den Anschein
hat, noch machen wird, bieten nicht den geringsten Grund zu Vorstellungen, die
Argwohn oder Furcht mit Bezug auf dieses Land (Indien) hervorrufen könnten."
Auch antworteten auf das Memorandum Rawlinsons der Vicekönig von Indien,
Sir John Lawrence, sowie der Ober-Commandant der brittischen Truppen in
Indien, Herr Mansfield in optimistischer Weise. Mansfield sagt: "Man kann
behaupten, daß der Alarm wegen der britischen Interessen in Indien, der sich
gegen Rußland äußerte, weit unvernünftiger ist, als es sich sagen läßt. Als
Politische und militärische Großmacht haben wir von Rußland, ob es bei seinen


fruchtbarsten und entferntesten Theil feines Reiches zur Operationsbasis nimmt,
auch nur die leiseste Absicht gegen das englische Indien hegen könnte. Würde
man, was ich mit meiner Kenntniß der kirgisischen Steppen leugne, die Mittel
finden, einer großen organisirten Armee durch die Wüsteneien des Oxus den
Durchzug gegen jene Theile Chinas zu ermöglichen, mit welchen das russische
Volk schon lange Handelsbeziehungen gepflegt hat, so könnte man nichtsdesto¬
weniger mit voller Wahrheit und Bestimmtheit behaupten, daß ein Einfall in
das brittische Indien, welcher von der neuen russischen Grenze von der chine¬
sischen Seite ausginge, eine reine Chimäre, wenn nicht eine Physische Unmög¬
lichkeit ist." Der Marquis of Salisbury erklärte noch auf der Conferenz vom
Jahre 1877 in Constantinopel (allerdings damals von Jgnatieff völlig einge¬
nommen) „die Befürchtungen eines Conflictes in Asien zwischen Rußland und
England wegen Indien sei ein Nachtgespenst" (InäiM ni^traars). Es ist jedoch
zu bemerken, daß einem russischen Heere außer dem Landwege durch das unwirth¬
liche Turkestan auch der Seeweg von der Mündung der Wolga bis nach dem
Hafen Asterabad in Persien am Südrande des Caspischen Meeres offen steht,
vorausgesetzt, daß die freundlichen Beziehungen zu Persien den Durchzug durch
dieses Land gestatten. Das Liebäugeln der Engländer mit Persien und seinem
Schah, die Gerüchte, als ob England eine Besetzung Herats durch Persien
nicht ungern sähe, die deutlichen Fingerzeige, die H. Rawlinson hierüber giebt,
sind jetzt auch in ein deutlicheres Licht gerückt. Herat ist für Afghanistan d. h. für
das westliche Afghanistan der strategisch wichtigste Punkt. Es ist die Haupt¬
station der Etappenstraße zwischen Iran und Hindostan; die sogenannte Königs¬
straße von Persien über Herat-Kondahar-Ghosna nach Cabul bietet einer Armee
nirgends Schwierigkeiten.

Den eben angeführten Standpunkt Murchisons bezüglich der Gefahr für
Indien theilte auch Lord Rüssel, welcher damals an der Spitze des korsiAn,
<Mes stand, desgleichen der damalige englische Gesandte in Se. Petersburg,
Lumley. Im December 1867 äußerte sich auch der Staats-Secretär für Indien,
Sir Stafford Northcote folgendermaßen: „Die Eroberungen, welche Rußland
in Centrälasien bereits gemacht, und diejenigen, welche es, wie es den Anschein
hat, noch machen wird, bieten nicht den geringsten Grund zu Vorstellungen, die
Argwohn oder Furcht mit Bezug auf dieses Land (Indien) hervorrufen könnten."
Auch antworteten auf das Memorandum Rawlinsons der Vicekönig von Indien,
Sir John Lawrence, sowie der Ober-Commandant der brittischen Truppen in
Indien, Herr Mansfield in optimistischer Weise. Mansfield sagt: „Man kann
behaupten, daß der Alarm wegen der britischen Interessen in Indien, der sich
gegen Rußland äußerte, weit unvernünftiger ist, als es sich sagen läßt. Als
Politische und militärische Großmacht haben wir von Rußland, ob es bei seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/241>, abgerufen am 22.07.2024.