Zerstörung Cabuls 1842, das darauf folgende Bündniß der Afghanen mit den Sikhs gegen die Engländer und deren endlicher Sieg bei Gudscherat 1849, wonach die allmähliche Unterwerfung der einzelnen Stämme begann, entspricht dem Gortschakvffschen Gemälde; der Feldzug des Jahres 1878 aber ist von Gründen der hohen Politik dictirt worden.
Brittisch-Indien schloß mit Afghanistan den ersten Vertrag schon am 17. Juni 1809. Eine Vereinbarung vom 26. Januar 1857 gestattete den Englän¬ dern in Cabul einen diplomatischen Vertreter -- jedoch indischer Abkunft -- zu halten. Wiederholt versuchte England diese Beschränkung aufzuheben, aber noch im Januar 1877 scheiterte dies an dem Eigensinn des Emirs. Das rasche Vordringen der Russen in Centralasien, besonders die Bedrohung von Merv, hatte seit Beginn der siebziger Jahre den Emir beunruhigt, aber der damalige Vicekönig von Indien Northbrooke hatte 1873, ebenso wie der Herzog von Argyll, ein Schutz- und Trutzbündniß mit dem Emir abgelehnt, weil Rußland erklärt hatte, daß es Afghanistan als außerhalb seiner Aetionssphäre liegend betrachte, und selbst als der Emir mit Rußland vertrauliche Beziehungen durch den General Kaufmann anknüpfte, ließ England sich durch Rußlands Versicherung, daß es Afghanistan als neutrale Zone betrachte, beruhigen. Als aber dem vertrauensvollen Northbrooke Lord Lytton im Amte folgte, forderte dieser im Auftrage Salisburys die Zulassung europäischer Vertreter in Cabul. Zurück¬ gewiesen, besetzte England sofort Quella, im Süden an der Grenze von Afgha¬ nistan, (Februar 1877). Der Emir schir Ali warf sich darauf ganz in die Arme Rußlands; er lehnte das Ansinnen einer türkischen Gesandtschaft, dein Sultan gegen Nußland beizustehen, im September 1877 ab und forderte sogar in einem Schreiben den Sultan auf, sich von dem treulosen England abzuwenden. Gleich nach dem Berliner Congreß empfing der Emir eine russische Gesandtschaft in Cabul (General Stoljetoff mit 7 russischen Offizieren, 22 Kosaken, 15 kirgi¬ sischen Reitern und 4 Dienern). Sofort wurde die Entsendung eiuer englischen Gegengesandtschaft aus Indien beschlossen. Als dieselbe aber, geführt von Sir Neville Chamberlain, dem Armeecommandeur von Madras (der als Bataillons¬ führer schon 1842 in Afghanistan gekämpft hatte), und begleitet von 2500 Mann, die Grenze bei Fort Ali musjid erreichte, wurde sie in beleidigender Weise zurückgewiesen, obwohl Lord Lytton einen eigenhändigen Brief an den Emir geschrieben und um Schutz der Gesandtschaft einer befreundeten Macht gebeten hatte. Auf ein englisches Ultimatum, das am 20. November 1878 ablief, er¬ folgte keine Antwort, und am 21. November überschritt ein Heer von über 40000 Mann (darunter 13000 Engländer) an drei Stellen die Grenze Afgha¬ nistans. Am 3. December kam es nach dem Falle von Ali mnsjid zur Feld¬ schlacht, worin die Engländer unter General Roberts das Feldlager der Afgha-
Zerstörung Cabuls 1842, das darauf folgende Bündniß der Afghanen mit den Sikhs gegen die Engländer und deren endlicher Sieg bei Gudscherat 1849, wonach die allmähliche Unterwerfung der einzelnen Stämme begann, entspricht dem Gortschakvffschen Gemälde; der Feldzug des Jahres 1878 aber ist von Gründen der hohen Politik dictirt worden.
Brittisch-Indien schloß mit Afghanistan den ersten Vertrag schon am 17. Juni 1809. Eine Vereinbarung vom 26. Januar 1857 gestattete den Englän¬ dern in Cabul einen diplomatischen Vertreter — jedoch indischer Abkunft — zu halten. Wiederholt versuchte England diese Beschränkung aufzuheben, aber noch im Januar 1877 scheiterte dies an dem Eigensinn des Emirs. Das rasche Vordringen der Russen in Centralasien, besonders die Bedrohung von Merv, hatte seit Beginn der siebziger Jahre den Emir beunruhigt, aber der damalige Vicekönig von Indien Northbrooke hatte 1873, ebenso wie der Herzog von Argyll, ein Schutz- und Trutzbündniß mit dem Emir abgelehnt, weil Rußland erklärt hatte, daß es Afghanistan als außerhalb seiner Aetionssphäre liegend betrachte, und selbst als der Emir mit Rußland vertrauliche Beziehungen durch den General Kaufmann anknüpfte, ließ England sich durch Rußlands Versicherung, daß es Afghanistan als neutrale Zone betrachte, beruhigen. Als aber dem vertrauensvollen Northbrooke Lord Lytton im Amte folgte, forderte dieser im Auftrage Salisburys die Zulassung europäischer Vertreter in Cabul. Zurück¬ gewiesen, besetzte England sofort Quella, im Süden an der Grenze von Afgha¬ nistan, (Februar 1877). Der Emir schir Ali warf sich darauf ganz in die Arme Rußlands; er lehnte das Ansinnen einer türkischen Gesandtschaft, dein Sultan gegen Nußland beizustehen, im September 1877 ab und forderte sogar in einem Schreiben den Sultan auf, sich von dem treulosen England abzuwenden. Gleich nach dem Berliner Congreß empfing der Emir eine russische Gesandtschaft in Cabul (General Stoljetoff mit 7 russischen Offizieren, 22 Kosaken, 15 kirgi¬ sischen Reitern und 4 Dienern). Sofort wurde die Entsendung eiuer englischen Gegengesandtschaft aus Indien beschlossen. Als dieselbe aber, geführt von Sir Neville Chamberlain, dem Armeecommandeur von Madras (der als Bataillons¬ führer schon 1842 in Afghanistan gekämpft hatte), und begleitet von 2500 Mann, die Grenze bei Fort Ali musjid erreichte, wurde sie in beleidigender Weise zurückgewiesen, obwohl Lord Lytton einen eigenhändigen Brief an den Emir geschrieben und um Schutz der Gesandtschaft einer befreundeten Macht gebeten hatte. Auf ein englisches Ultimatum, das am 20. November 1878 ablief, er¬ folgte keine Antwort, und am 21. November überschritt ein Heer von über 40000 Mann (darunter 13000 Engländer) an drei Stellen die Grenze Afgha¬ nistans. Am 3. December kam es nach dem Falle von Ali mnsjid zur Feld¬ schlacht, worin die Engländer unter General Roberts das Feldlager der Afgha-
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[0235]
Zerstörung Cabuls 1842, das darauf folgende Bündniß der Afghanen mit den
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wonach die allmähliche Unterwerfung der einzelnen Stämme begann, entspricht
dem Gortschakvffschen Gemälde; der Feldzug des Jahres 1878 aber ist von
Gründen der hohen Politik dictirt worden.
Brittisch-Indien schloß mit Afghanistan den ersten Vertrag schon am 17.
Juni 1809. Eine Vereinbarung vom 26. Januar 1857 gestattete den Englän¬
dern in Cabul einen diplomatischen Vertreter — jedoch indischer Abkunft —
zu halten. Wiederholt versuchte England diese Beschränkung aufzuheben, aber
noch im Januar 1877 scheiterte dies an dem Eigensinn des Emirs. Das rasche
Vordringen der Russen in Centralasien, besonders die Bedrohung von Merv,
hatte seit Beginn der siebziger Jahre den Emir beunruhigt, aber der damalige
Vicekönig von Indien Northbrooke hatte 1873, ebenso wie der Herzog von Argyll,
ein Schutz- und Trutzbündniß mit dem Emir abgelehnt, weil Rußland erklärt
hatte, daß es Afghanistan als außerhalb seiner Aetionssphäre liegend betrachte,
und selbst als der Emir mit Rußland vertrauliche Beziehungen durch den
General Kaufmann anknüpfte, ließ England sich durch Rußlands Versicherung,
daß es Afghanistan als neutrale Zone betrachte, beruhigen. Als aber dem
vertrauensvollen Northbrooke Lord Lytton im Amte folgte, forderte dieser im
Auftrage Salisburys die Zulassung europäischer Vertreter in Cabul. Zurück¬
gewiesen, besetzte England sofort Quella, im Süden an der Grenze von Afgha¬
nistan, (Februar 1877). Der Emir schir Ali warf sich darauf ganz in die
Arme Rußlands; er lehnte das Ansinnen einer türkischen Gesandtschaft, dein
Sultan gegen Nußland beizustehen, im September 1877 ab und forderte sogar
in einem Schreiben den Sultan auf, sich von dem treulosen England abzuwenden.
Gleich nach dem Berliner Congreß empfing der Emir eine russische Gesandtschaft
in Cabul (General Stoljetoff mit 7 russischen Offizieren, 22 Kosaken, 15 kirgi¬
sischen Reitern und 4 Dienern). Sofort wurde die Entsendung eiuer englischen
Gegengesandtschaft aus Indien beschlossen. Als dieselbe aber, geführt von Sir
Neville Chamberlain, dem Armeecommandeur von Madras (der als Bataillons¬
führer schon 1842 in Afghanistan gekämpft hatte), und begleitet von 2500 Mann,
die Grenze bei Fort Ali musjid erreichte, wurde sie in beleidigender Weise
zurückgewiesen, obwohl Lord Lytton einen eigenhändigen Brief an den Emir
geschrieben und um Schutz der Gesandtschaft einer befreundeten Macht gebeten
hatte. Auf ein englisches Ultimatum, das am 20. November 1878 ablief, er¬
folgte keine Antwort, und am 21. November überschritt ein Heer von über
40000 Mann (darunter 13000 Engländer) an drei Stellen die Grenze Afgha¬
nistans. Am 3. December kam es nach dem Falle von Ali mnsjid zur Feld¬
schlacht, worin die Engländer unter General Roberts das Feldlager der Afgha-
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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/235>, abgerufen am 24.01.2025.
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