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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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losem Dünkel gepaart oft hinter dieser Stirne wohnt, und der ferner stehende
sieht in dem guten Dirigenten und geschickten Virtuosen zugleich einen Menschen
von hoher geistiger Bedeutung, ein Genie! Das xroxkota, nilül in, xg-tria, gilt
kaum von irgend einer Berufsclasse so allgemein wie vom Musiker, aber von
keiner auch so mit Recht; der nähere Umgang mit Leuten, welche durch ihre
Künstlerschaft Bewunderung erwecken, gestattet nur zu leicht einen Blick hinter
die enggezogene Grenze ihres Wissens, in das öde, trostlose Nirwana ihrer Un¬
bildung. Daß es dennoch eine Anzahl Propheten giebt, die in ihrem Vater¬
lande sehr viel gelten, wird man nicht gegen unsere Darstellung geltend machen
wollen; diese wenigen sind eben nicht Musiker der soeben silhouettirten Art,
sondern wahre ganze Künstler, Leute, die mehr gelernt haben als ihr bischen
Praktische Musik, Männer und Frauen, die jeder Gesellschaft geistreicher und
hochgebildeter Menschen zur Zierde gereichen. Wer seine musikalische Ausbildung
der Führung und Anleitung eines dieser wahrhaften Künstler verdankt, wird
selbst davor bewahrt bleiben, daß er unter die Musikanten gewöhnlichen Schlages
gerechnet wird -- vorausgesetzt, daß er das Zeug zu etwas besserem hat und
nicht nur des Namens wegen sich ein paar Monate in die Nähe eines Mei¬
sters drängt.

Ehe die heute wie Pilze aus der Erde schießenden Conservatorien und
Musikschulen aufkamen (in Italien existiren sie allerdings schon lange, in Neapel
seit mehr als 300 Jahren, in Frankreich seit Ende des letzten, in Oesterreich
seit dem Anfange, in Deutschland seit der Mitte dieses Jahrhunderts), gingen
begabte junge Musiker zu einem berühmten Meister ihrer Kunst, d. h. nicht zu
einem guten Spieler, sondern zu einem bedeutenden Theoretiker und Componisten
und wurden dessen Schüler. Natürlich konnte ihnen dieser nicht seine ganze
Zeit widmen, und so blieb den Schülern Zeit genug zur Vervollkommnung ihrer
allgemeinen Bildung. Die heute fast allgemeine ausschließliche Dressur
auf praktische Musikübung ist eine traurige Errungenschaft der neuesten
Zeit, und sie ist lediglich auf die Einrichtung der Confervatorien zurückzuführen.
Wir wollen hier gleich von vornherein betonen, daß eine musikalische Fach¬
schule existirt, deren gesammte Organisation und specieller Lehrplan darauf be¬
rechnet ist, ihren Schülern eine umfassendere, nicht allein eine musikalische Aus¬
bildung angedeihen zu lassen; eine strenge Disciplin, etwa wie die der Gymnasien,
Real- und Volksschulen, zwingt die Schüler zum regelmäßigen Besuche der
Unterrichtsstunden, und besonderer Nachdruck wird auf die Ausbildung von
Musiklehrern gelegt -- ein sehr anerkennenswerthes Princip, da so ziemlich
jeder praktische Musiker Unterricht giebt, gleichviel, ob ers gelernt hat oder nicht.
Aehnliche Anläufe zur Erfüllung des wahren Berufs der Musikschulen sind
auch noch für einige andere Anstalten zu constatiren, nur vereitelt die laxere


losem Dünkel gepaart oft hinter dieser Stirne wohnt, und der ferner stehende
sieht in dem guten Dirigenten und geschickten Virtuosen zugleich einen Menschen
von hoher geistiger Bedeutung, ein Genie! Das xroxkota, nilül in, xg-tria, gilt
kaum von irgend einer Berufsclasse so allgemein wie vom Musiker, aber von
keiner auch so mit Recht; der nähere Umgang mit Leuten, welche durch ihre
Künstlerschaft Bewunderung erwecken, gestattet nur zu leicht einen Blick hinter
die enggezogene Grenze ihres Wissens, in das öde, trostlose Nirwana ihrer Un¬
bildung. Daß es dennoch eine Anzahl Propheten giebt, die in ihrem Vater¬
lande sehr viel gelten, wird man nicht gegen unsere Darstellung geltend machen
wollen; diese wenigen sind eben nicht Musiker der soeben silhouettirten Art,
sondern wahre ganze Künstler, Leute, die mehr gelernt haben als ihr bischen
Praktische Musik, Männer und Frauen, die jeder Gesellschaft geistreicher und
hochgebildeter Menschen zur Zierde gereichen. Wer seine musikalische Ausbildung
der Führung und Anleitung eines dieser wahrhaften Künstler verdankt, wird
selbst davor bewahrt bleiben, daß er unter die Musikanten gewöhnlichen Schlages
gerechnet wird — vorausgesetzt, daß er das Zeug zu etwas besserem hat und
nicht nur des Namens wegen sich ein paar Monate in die Nähe eines Mei¬
sters drängt.

Ehe die heute wie Pilze aus der Erde schießenden Conservatorien und
Musikschulen aufkamen (in Italien existiren sie allerdings schon lange, in Neapel
seit mehr als 300 Jahren, in Frankreich seit Ende des letzten, in Oesterreich
seit dem Anfange, in Deutschland seit der Mitte dieses Jahrhunderts), gingen
begabte junge Musiker zu einem berühmten Meister ihrer Kunst, d. h. nicht zu
einem guten Spieler, sondern zu einem bedeutenden Theoretiker und Componisten
und wurden dessen Schüler. Natürlich konnte ihnen dieser nicht seine ganze
Zeit widmen, und so blieb den Schülern Zeit genug zur Vervollkommnung ihrer
allgemeinen Bildung. Die heute fast allgemeine ausschließliche Dressur
auf praktische Musikübung ist eine traurige Errungenschaft der neuesten
Zeit, und sie ist lediglich auf die Einrichtung der Confervatorien zurückzuführen.
Wir wollen hier gleich von vornherein betonen, daß eine musikalische Fach¬
schule existirt, deren gesammte Organisation und specieller Lehrplan darauf be¬
rechnet ist, ihren Schülern eine umfassendere, nicht allein eine musikalische Aus¬
bildung angedeihen zu lassen; eine strenge Disciplin, etwa wie die der Gymnasien,
Real- und Volksschulen, zwingt die Schüler zum regelmäßigen Besuche der
Unterrichtsstunden, und besonderer Nachdruck wird auf die Ausbildung von
Musiklehrern gelegt — ein sehr anerkennenswerthes Princip, da so ziemlich
jeder praktische Musiker Unterricht giebt, gleichviel, ob ers gelernt hat oder nicht.
Aehnliche Anläufe zur Erfüllung des wahren Berufs der Musikschulen sind
auch noch für einige andere Anstalten zu constatiren, nur vereitelt die laxere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/215>, abgerufen am 22.07.2024.