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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Bildung entbehrt. Wie viele derselben nicht einmal die Orthographie ihrer
Muttersprache beherrschen, weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, mit einer
größeren Anzahl von ihnen zu correspondiren. Und doch greift mancher von
ihnen zur Feder, sei es, vermöge seiner Stellung "ehrenhalber" oder den Quä¬
lereien guter Freunde oder speculativer Verleger nachgebend, um seine sehr ver¬
ständigen Ansichten und gediegenen Fachkenntnisse in holprigen Sätzen und
unlogischen Redewendungen dem Gespött tadelsüchtiger Kunstgenossen preiszugeben.

Es soll den Musikanten verziehen werden, daß sie am politischen Leben
keinen Antheil nehmen (Ausnahmen wie Wagner bestätigen die Regel), daß sie
der Staaten- und Völkergeschichte kein Interesse abgewinnen (sie sind von Herzen
international gesinnt) und auch für andere Wissenschaften keine Zeit haben;
selbst die allgemeine Culturgeschichte und die allgemeine Aesthetik möchte ihnen
erlassen sein. Zum mindesten sollte man aber doch von einem Musiker, der
auf den Namen Künstler Anspruch macht, ein gewisses Vertrautsein mit der
Geschichte seiner Kunst, mit ihrer Monographischen, theoretischen und ästhetischen
Literatur voraussetzen! Wie wenige aber von diesen Gebieten auch nur einen
annähernden Begriff haben, kann man leicht erfahren, wenn man unter Musikern
nach der ungefähren Lebenszeit eines Orlandus Lassüs, Palestrinci, Heinrich
Schütz, ja eines Bach, Händel, Gluck fragt. Vielleicht daß die schmächtigen
Musikerbiographien der Reclamschen Zwanzigpsennig - Bibliothek jetzt einiges
Licht in die dunklen Köpfe bringen -- eine dickleibige Biographie wie die
Mozarts von Jahr, Händels von Chrysander, Bachs von Spitta liest fo leicht
kein Musiker, ja selbst eine allgemeine Musikgeschichte von bescheidenem Umfange
stellt er lieber beiseite und unausgeschnitten oder elegant gebunden (je nach seinen
finanziellen Zuständen) auf das Bücherbrett, als daß er ihr einmal ernstlich
eine Stunde widmete. Höchstens interessirt ihn der (in den meisten Geschichten
fehlende) Passus über die allerneueste Phase der Musikgeschichte, das xro oder
ooQtrg. in Sachen Wagners und der Prograinmmusik. Die in unserem vorigen
Schattenriß gekennzeichnete Armseligkeit unserer Musikzeitungen empfindet er nicht,
sie genügen seinem bescheidenen Wissensbedürfniß vollständig und erregen höch¬
stens seinen Unwillen, wenn sie ihm oder seiner Partei zu wenig Lorbeern
spenden. Ein etwa angeschlagener wissenschaftlicher Ton choquirt ihn und kostet
leicht der Zeitung eine Anzahl Abonnenten. Wir carrikiren nicht, wir zeigen
nur den Musiker von seiner Schattenseite.

Freilich, wenn im glänzend erleuchteten Concertsaale der Musiker, schwarz¬
befrackt, mit sauberer Wäsche angethan, mit der schmalen Hand unter dem Vor-
wande, die unbändige blonde oder schwarze Mähne zu ordnen, dieselbe nur
noch mehr aufrüttelt, wenn das Lampenfieber seinen Wangen Nöthe und seinen
Augen Glanz giebt -- dann vermuthet man nicht, welche Ignoranz mit maß-


Bildung entbehrt. Wie viele derselben nicht einmal die Orthographie ihrer
Muttersprache beherrschen, weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, mit einer
größeren Anzahl von ihnen zu correspondiren. Und doch greift mancher von
ihnen zur Feder, sei es, vermöge seiner Stellung „ehrenhalber" oder den Quä¬
lereien guter Freunde oder speculativer Verleger nachgebend, um seine sehr ver¬
ständigen Ansichten und gediegenen Fachkenntnisse in holprigen Sätzen und
unlogischen Redewendungen dem Gespött tadelsüchtiger Kunstgenossen preiszugeben.

Es soll den Musikanten verziehen werden, daß sie am politischen Leben
keinen Antheil nehmen (Ausnahmen wie Wagner bestätigen die Regel), daß sie
der Staaten- und Völkergeschichte kein Interesse abgewinnen (sie sind von Herzen
international gesinnt) und auch für andere Wissenschaften keine Zeit haben;
selbst die allgemeine Culturgeschichte und die allgemeine Aesthetik möchte ihnen
erlassen sein. Zum mindesten sollte man aber doch von einem Musiker, der
auf den Namen Künstler Anspruch macht, ein gewisses Vertrautsein mit der
Geschichte seiner Kunst, mit ihrer Monographischen, theoretischen und ästhetischen
Literatur voraussetzen! Wie wenige aber von diesen Gebieten auch nur einen
annähernden Begriff haben, kann man leicht erfahren, wenn man unter Musikern
nach der ungefähren Lebenszeit eines Orlandus Lassüs, Palestrinci, Heinrich
Schütz, ja eines Bach, Händel, Gluck fragt. Vielleicht daß die schmächtigen
Musikerbiographien der Reclamschen Zwanzigpsennig - Bibliothek jetzt einiges
Licht in die dunklen Köpfe bringen — eine dickleibige Biographie wie die
Mozarts von Jahr, Händels von Chrysander, Bachs von Spitta liest fo leicht
kein Musiker, ja selbst eine allgemeine Musikgeschichte von bescheidenem Umfange
stellt er lieber beiseite und unausgeschnitten oder elegant gebunden (je nach seinen
finanziellen Zuständen) auf das Bücherbrett, als daß er ihr einmal ernstlich
eine Stunde widmete. Höchstens interessirt ihn der (in den meisten Geschichten
fehlende) Passus über die allerneueste Phase der Musikgeschichte, das xro oder
ooQtrg. in Sachen Wagners und der Prograinmmusik. Die in unserem vorigen
Schattenriß gekennzeichnete Armseligkeit unserer Musikzeitungen empfindet er nicht,
sie genügen seinem bescheidenen Wissensbedürfniß vollständig und erregen höch¬
stens seinen Unwillen, wenn sie ihm oder seiner Partei zu wenig Lorbeern
spenden. Ein etwa angeschlagener wissenschaftlicher Ton choquirt ihn und kostet
leicht der Zeitung eine Anzahl Abonnenten. Wir carrikiren nicht, wir zeigen
nur den Musiker von seiner Schattenseite.

Freilich, wenn im glänzend erleuchteten Concertsaale der Musiker, schwarz¬
befrackt, mit sauberer Wäsche angethan, mit der schmalen Hand unter dem Vor-
wande, die unbändige blonde oder schwarze Mähne zu ordnen, dieselbe nur
noch mehr aufrüttelt, wenn das Lampenfieber seinen Wangen Nöthe und seinen
Augen Glanz giebt — dann vermuthet man nicht, welche Ignoranz mit maß-


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[0214] Bildung entbehrt. Wie viele derselben nicht einmal die Orthographie ihrer Muttersprache beherrschen, weiß jeder, der Gelegenheit gehabt hat, mit einer größeren Anzahl von ihnen zu correspondiren. Und doch greift mancher von ihnen zur Feder, sei es, vermöge seiner Stellung „ehrenhalber" oder den Quä¬ lereien guter Freunde oder speculativer Verleger nachgebend, um seine sehr ver¬ ständigen Ansichten und gediegenen Fachkenntnisse in holprigen Sätzen und unlogischen Redewendungen dem Gespött tadelsüchtiger Kunstgenossen preiszugeben. Es soll den Musikanten verziehen werden, daß sie am politischen Leben keinen Antheil nehmen (Ausnahmen wie Wagner bestätigen die Regel), daß sie der Staaten- und Völkergeschichte kein Interesse abgewinnen (sie sind von Herzen international gesinnt) und auch für andere Wissenschaften keine Zeit haben; selbst die allgemeine Culturgeschichte und die allgemeine Aesthetik möchte ihnen erlassen sein. Zum mindesten sollte man aber doch von einem Musiker, der auf den Namen Künstler Anspruch macht, ein gewisses Vertrautsein mit der Geschichte seiner Kunst, mit ihrer Monographischen, theoretischen und ästhetischen Literatur voraussetzen! Wie wenige aber von diesen Gebieten auch nur einen annähernden Begriff haben, kann man leicht erfahren, wenn man unter Musikern nach der ungefähren Lebenszeit eines Orlandus Lassüs, Palestrinci, Heinrich Schütz, ja eines Bach, Händel, Gluck fragt. Vielleicht daß die schmächtigen Musikerbiographien der Reclamschen Zwanzigpsennig - Bibliothek jetzt einiges Licht in die dunklen Köpfe bringen — eine dickleibige Biographie wie die Mozarts von Jahr, Händels von Chrysander, Bachs von Spitta liest fo leicht kein Musiker, ja selbst eine allgemeine Musikgeschichte von bescheidenem Umfange stellt er lieber beiseite und unausgeschnitten oder elegant gebunden (je nach seinen finanziellen Zuständen) auf das Bücherbrett, als daß er ihr einmal ernstlich eine Stunde widmete. Höchstens interessirt ihn der (in den meisten Geschichten fehlende) Passus über die allerneueste Phase der Musikgeschichte, das xro oder ooQtrg. in Sachen Wagners und der Prograinmmusik. Die in unserem vorigen Schattenriß gekennzeichnete Armseligkeit unserer Musikzeitungen empfindet er nicht, sie genügen seinem bescheidenen Wissensbedürfniß vollständig und erregen höch¬ stens seinen Unwillen, wenn sie ihm oder seiner Partei zu wenig Lorbeern spenden. Ein etwa angeschlagener wissenschaftlicher Ton choquirt ihn und kostet leicht der Zeitung eine Anzahl Abonnenten. Wir carrikiren nicht, wir zeigen nur den Musiker von seiner Schattenseite. Freilich, wenn im glänzend erleuchteten Concertsaale der Musiker, schwarz¬ befrackt, mit sauberer Wäsche angethan, mit der schmalen Hand unter dem Vor- wande, die unbändige blonde oder schwarze Mähne zu ordnen, dieselbe nur noch mehr aufrüttelt, wenn das Lampenfieber seinen Wangen Nöthe und seinen Augen Glanz giebt — dann vermuthet man nicht, welche Ignoranz mit maß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/214>, abgerufen am 03.07.2024.