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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Dichtkunst durch Georg Stjernhjelm (17. Jahrh.). In der Folgezeit dominirte
französischer Einfluß. Ihr Hauptrepräsentant ist Olof von Dalin (18. Jahrh.).
Den Höhepunkt erreichte die Entwicklung der schwedischen Dichtkunst unter
Gustav III. (Ende des 18. Jahrh.). Eine besondere Rolle spielt in dieser Zeit
K. M. Bellman, ein Volksdichter ersten Ranges, der seine Studien über den
Menschen in den niedrigsten Schichten der Bevölkerung Stockholms machte. Er ist
eine ganz eigenthümliche Erscheinung, wie wir sie in unserer Literatur nicht kennen.
Sicherlich hochbegabt, dichtete und componirte er zugleich, und seine Compositionen
waren meist extempvrirt. Eine gewisse Aehnlichkeit, wenigstens in den Lebens¬
verhältnissen, mit unseren! Christian Günther hat Beugt Lidner. Die wahr¬
haft classische Zeit für Schweden fällt aber in das 19. Jahrhundert. Zwei
literarische Richtungen machen sich hier geltend; der einen folgen die "Phos-
Phoristen" (so genannt nach einer Zeitschrift "Phosphor"), die mit den deutschen
Romantikern parallel gehen, der anderen die "gothische Schule", die skandinavisch¬
nationale Richtung. Keiner von beiden, also den "Neutren", gehören der Finn¬
länder Franz Michael Franzen, ein hervorragender Lyriker, und Johan Olof
Watkin, "die Davidsharfe im Norden", ein vorzüglicher religiöser Dichter, an.
Der bedeutendste Phosphorist ist P. D. A. Atterbom, gleichfalls einer der größten
Lyriker Schwedens. Der Hauptführer der gothischen Richtung ist Erik Gustav
Geijer, auch bei uns als Historiker bekannt. Der hervorragendste Vertreter der
gothischen Richtung aber ist Esaias Tegmr. Eine besondere Erscheinung ist
Jonas Ludvig Almquist, ein unruhiger phantastischer Kopf, der die grellsten
Widersprüche in sich vereinigte. Zum Schlüsse feien nur noch erwähnt die
Finnländer Zachris Topelius, einer der namhaftesten Prosaiker, dann der feine
Stilist Viktor Rydberg und der größte schwedische Dichter, der Finnländer
Johan Ludvig Runeberg, in welchem eine besondere "finnländische" Richtung zu
Tage tritt. Vor Ruueberg bereits hatten sich mehrere Leute finnlündischer Ab-
kunst einen hervorragenden Namen in der schwedischen Literatur erworben, so
Frese, Creutz, Franzen. Vielleicht hätte der Verfasser gut gethan, mit Rücksicht
auf das deutsche Publikum, das von finnländischen Verhältnissen wohl am aller¬
wenigsten unterrichtet ist, diese Gruppe in einem besonderen Capitel durchzu¬
nehmen und dazu Einiges über Finnland überhaupt mitzutheilen.

Es ist schon oben bemerkt worden, daß Finnland feit 1809 zu Rußland
gehört, aber eine ganz unabhängige Verfassung hat; daß es von 300000
Schweden und 1700000 Menschen finnisch-tatarischer Abkunft bewohnt ist.
Diese 300000 Schweden sind ohne Zweifel die geistig höherstehende Classe
der Bevölkerung, ihre Sprache ist die der Gebildeten. Sie wohnen vorzugs¬
weise in den Städten entlang des botnischen und finnischen Meerbusens, aber
auch nach dem Innern des Landes zu. Leider findet nun aber gegenwärtig


Dichtkunst durch Georg Stjernhjelm (17. Jahrh.). In der Folgezeit dominirte
französischer Einfluß. Ihr Hauptrepräsentant ist Olof von Dalin (18. Jahrh.).
Den Höhepunkt erreichte die Entwicklung der schwedischen Dichtkunst unter
Gustav III. (Ende des 18. Jahrh.). Eine besondere Rolle spielt in dieser Zeit
K. M. Bellman, ein Volksdichter ersten Ranges, der seine Studien über den
Menschen in den niedrigsten Schichten der Bevölkerung Stockholms machte. Er ist
eine ganz eigenthümliche Erscheinung, wie wir sie in unserer Literatur nicht kennen.
Sicherlich hochbegabt, dichtete und componirte er zugleich, und seine Compositionen
waren meist extempvrirt. Eine gewisse Aehnlichkeit, wenigstens in den Lebens¬
verhältnissen, mit unseren! Christian Günther hat Beugt Lidner. Die wahr¬
haft classische Zeit für Schweden fällt aber in das 19. Jahrhundert. Zwei
literarische Richtungen machen sich hier geltend; der einen folgen die „Phos-
Phoristen" (so genannt nach einer Zeitschrift „Phosphor"), die mit den deutschen
Romantikern parallel gehen, der anderen die „gothische Schule", die skandinavisch¬
nationale Richtung. Keiner von beiden, also den „Neutren", gehören der Finn¬
länder Franz Michael Franzen, ein hervorragender Lyriker, und Johan Olof
Watkin, „die Davidsharfe im Norden", ein vorzüglicher religiöser Dichter, an.
Der bedeutendste Phosphorist ist P. D. A. Atterbom, gleichfalls einer der größten
Lyriker Schwedens. Der Hauptführer der gothischen Richtung ist Erik Gustav
Geijer, auch bei uns als Historiker bekannt. Der hervorragendste Vertreter der
gothischen Richtung aber ist Esaias Tegmr. Eine besondere Erscheinung ist
Jonas Ludvig Almquist, ein unruhiger phantastischer Kopf, der die grellsten
Widersprüche in sich vereinigte. Zum Schlüsse feien nur noch erwähnt die
Finnländer Zachris Topelius, einer der namhaftesten Prosaiker, dann der feine
Stilist Viktor Rydberg und der größte schwedische Dichter, der Finnländer
Johan Ludvig Runeberg, in welchem eine besondere „finnländische" Richtung zu
Tage tritt. Vor Ruueberg bereits hatten sich mehrere Leute finnlündischer Ab-
kunst einen hervorragenden Namen in der schwedischen Literatur erworben, so
Frese, Creutz, Franzen. Vielleicht hätte der Verfasser gut gethan, mit Rücksicht
auf das deutsche Publikum, das von finnländischen Verhältnissen wohl am aller¬
wenigsten unterrichtet ist, diese Gruppe in einem besonderen Capitel durchzu¬
nehmen und dazu Einiges über Finnland überhaupt mitzutheilen.

Es ist schon oben bemerkt worden, daß Finnland feit 1809 zu Rußland
gehört, aber eine ganz unabhängige Verfassung hat; daß es von 300000
Schweden und 1700000 Menschen finnisch-tatarischer Abkunft bewohnt ist.
Diese 300000 Schweden sind ohne Zweifel die geistig höherstehende Classe
der Bevölkerung, ihre Sprache ist die der Gebildeten. Sie wohnen vorzugs¬
weise in den Städten entlang des botnischen und finnischen Meerbusens, aber
auch nach dem Innern des Landes zu. Leider findet nun aber gegenwärtig


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[0209] Dichtkunst durch Georg Stjernhjelm (17. Jahrh.). In der Folgezeit dominirte französischer Einfluß. Ihr Hauptrepräsentant ist Olof von Dalin (18. Jahrh.). Den Höhepunkt erreichte die Entwicklung der schwedischen Dichtkunst unter Gustav III. (Ende des 18. Jahrh.). Eine besondere Rolle spielt in dieser Zeit K. M. Bellman, ein Volksdichter ersten Ranges, der seine Studien über den Menschen in den niedrigsten Schichten der Bevölkerung Stockholms machte. Er ist eine ganz eigenthümliche Erscheinung, wie wir sie in unserer Literatur nicht kennen. Sicherlich hochbegabt, dichtete und componirte er zugleich, und seine Compositionen waren meist extempvrirt. Eine gewisse Aehnlichkeit, wenigstens in den Lebens¬ verhältnissen, mit unseren! Christian Günther hat Beugt Lidner. Die wahr¬ haft classische Zeit für Schweden fällt aber in das 19. Jahrhundert. Zwei literarische Richtungen machen sich hier geltend; der einen folgen die „Phos- Phoristen" (so genannt nach einer Zeitschrift „Phosphor"), die mit den deutschen Romantikern parallel gehen, der anderen die „gothische Schule", die skandinavisch¬ nationale Richtung. Keiner von beiden, also den „Neutren", gehören der Finn¬ länder Franz Michael Franzen, ein hervorragender Lyriker, und Johan Olof Watkin, „die Davidsharfe im Norden", ein vorzüglicher religiöser Dichter, an. Der bedeutendste Phosphorist ist P. D. A. Atterbom, gleichfalls einer der größten Lyriker Schwedens. Der Hauptführer der gothischen Richtung ist Erik Gustav Geijer, auch bei uns als Historiker bekannt. Der hervorragendste Vertreter der gothischen Richtung aber ist Esaias Tegmr. Eine besondere Erscheinung ist Jonas Ludvig Almquist, ein unruhiger phantastischer Kopf, der die grellsten Widersprüche in sich vereinigte. Zum Schlüsse feien nur noch erwähnt die Finnländer Zachris Topelius, einer der namhaftesten Prosaiker, dann der feine Stilist Viktor Rydberg und der größte schwedische Dichter, der Finnländer Johan Ludvig Runeberg, in welchem eine besondere „finnländische" Richtung zu Tage tritt. Vor Ruueberg bereits hatten sich mehrere Leute finnlündischer Ab- kunst einen hervorragenden Namen in der schwedischen Literatur erworben, so Frese, Creutz, Franzen. Vielleicht hätte der Verfasser gut gethan, mit Rücksicht auf das deutsche Publikum, das von finnländischen Verhältnissen wohl am aller¬ wenigsten unterrichtet ist, diese Gruppe in einem besonderen Capitel durchzu¬ nehmen und dazu Einiges über Finnland überhaupt mitzutheilen. Es ist schon oben bemerkt worden, daß Finnland feit 1809 zu Rußland gehört, aber eine ganz unabhängige Verfassung hat; daß es von 300000 Schweden und 1700000 Menschen finnisch-tatarischer Abkunft bewohnt ist. Diese 300000 Schweden sind ohne Zweifel die geistig höherstehende Classe der Bevölkerung, ihre Sprache ist die der Gebildeten. Sie wohnen vorzugs¬ weise in den Städten entlang des botnischen und finnischen Meerbusens, aber auch nach dem Innern des Landes zu. Leider findet nun aber gegenwärtig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/209>, abgerufen am 22.07.2024.