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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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machte, bewußt nichts gehört. Nun stellte sich Hansen dicht hinter X, legte seine
Hemd an dessen Hinterkopf, machte mit dem Munde Schmeckbewegungen und
fragte daun X: "Schmecken Sie etwas?" -- "Ja." -- "Was denn?" -- "Tinte."
Alle staunten. Die Aerzte wünschten, daß man den Versuch mit einer andern
Substanz wiederhole. Ein Assistent am Krankenhause ging mit Hansen ins
Nebenzimmer, um unter den dortigen medicinischen Artikeln einen von intensivem
Geschmack auszusuchen. Als man keinen fand, der befriedigte, verfiel Hansen
darauf, Seife zu nehmen. Er ging ans Waschbecken und schabte etwas Seife
ab, was leider nicht ohne einiges Geklapper vor sich ging, wie es nur am
Waschbecken vorzukommen pflegt. Darauf nahm Hansen die Seifenstückchen in
den Mund, aber X schmeckte anfangs nichts und meinte schließlich, der Geschmack
komme ihm laugenhaft vor, was auch noch von der Tinte herrühren könne.
Offenbar war dem Herrn X der Geschmack der Seife aus früheren Erfahrungen
nicht bekannt. Daß der Versuch uicht gelang, lag nach Hansens Meinung daran,
daß er selbst noch den Tintengeschmack habe und außerdem Seifengeschmack nicht
hinreichend ausgeprägt sei, was übrigens nach unseren eigenen späteren Proben
nicht zutrifft.

Der Versuch erklärt sich so ungezwungen als möglich und ohne Hilfe des
thierischen Magnetismus. Man hat nur zu bedenken, daß das Klappern der
Feder von X unbewußt jedenfalls gehört wurde; wir felbst, allerdings nur auf
Hansens Bewegungen aufmerksam, hörten es, obgleich wir weiter vom Tisch
entfernt waren als X. Als Hansen dann den Gedanken des Schmeckens rege
machte, übte das Federgeklapper seine Wirkung aus, wie Aehnliches in vielen
hypnotischen Experimenten der Fall ist. Würde der Versuch durch Wieder¬
holungen Bestätigung erfahren -- und wir hegen die Hoffnung, daß man in
Breslau nicht verfehlen wird, ihn selbst oder ähnliche anzustellen --, so würde
er mehr als alle anderen die große Lenkbarkeit der Einbildungskraft und der
Sinneseindrücke zeigen.

Sind die hypnotischen Experimente für die Versuchspersonen von nach¬
theiligen Folgen? Diese Frage wurde neulich bei Gelegenheit der skandalösen
Vorgänge in den Vorträgen Hansens in Wien von der dortigen Polizei, welche
einen Grund zum Verbot der Vorträge nöthig hatte, aufgeworfen und der medici-
nischen Facultät zur Beantwortung vorgelegt. Die Facultät gab ein höchst vor¬
sichtiges und verklausulirtes Gutachten ab, auf welches hin die Vorträge mit
Recht verboten wurden. Daß durch wiederholtes Hypnotisiren die Empfänglich¬
keit dafür ganz erheblich zunimmt, hat sich bei den Chemnitzer Versuchen zur
Genüge herausgestellt; einzelne Personen verfielen schließlich fast von selbst in
den hypnotischen Zustand. Auch war dort constatirt worden, daß die "Empfäng¬
lichkeit" ansteckend wirkt, so daß die schlimmen Folgen durch häufige öffentliche


machte, bewußt nichts gehört. Nun stellte sich Hansen dicht hinter X, legte seine
Hemd an dessen Hinterkopf, machte mit dem Munde Schmeckbewegungen und
fragte daun X: „Schmecken Sie etwas?» — „Ja." — „Was denn?" — „Tinte."
Alle staunten. Die Aerzte wünschten, daß man den Versuch mit einer andern
Substanz wiederhole. Ein Assistent am Krankenhause ging mit Hansen ins
Nebenzimmer, um unter den dortigen medicinischen Artikeln einen von intensivem
Geschmack auszusuchen. Als man keinen fand, der befriedigte, verfiel Hansen
darauf, Seife zu nehmen. Er ging ans Waschbecken und schabte etwas Seife
ab, was leider nicht ohne einiges Geklapper vor sich ging, wie es nur am
Waschbecken vorzukommen pflegt. Darauf nahm Hansen die Seifenstückchen in
den Mund, aber X schmeckte anfangs nichts und meinte schließlich, der Geschmack
komme ihm laugenhaft vor, was auch noch von der Tinte herrühren könne.
Offenbar war dem Herrn X der Geschmack der Seife aus früheren Erfahrungen
nicht bekannt. Daß der Versuch uicht gelang, lag nach Hansens Meinung daran,
daß er selbst noch den Tintengeschmack habe und außerdem Seifengeschmack nicht
hinreichend ausgeprägt sei, was übrigens nach unseren eigenen späteren Proben
nicht zutrifft.

Der Versuch erklärt sich so ungezwungen als möglich und ohne Hilfe des
thierischen Magnetismus. Man hat nur zu bedenken, daß das Klappern der
Feder von X unbewußt jedenfalls gehört wurde; wir felbst, allerdings nur auf
Hansens Bewegungen aufmerksam, hörten es, obgleich wir weiter vom Tisch
entfernt waren als X. Als Hansen dann den Gedanken des Schmeckens rege
machte, übte das Federgeklapper seine Wirkung aus, wie Aehnliches in vielen
hypnotischen Experimenten der Fall ist. Würde der Versuch durch Wieder¬
holungen Bestätigung erfahren — und wir hegen die Hoffnung, daß man in
Breslau nicht verfehlen wird, ihn selbst oder ähnliche anzustellen —, so würde
er mehr als alle anderen die große Lenkbarkeit der Einbildungskraft und der
Sinneseindrücke zeigen.

Sind die hypnotischen Experimente für die Versuchspersonen von nach¬
theiligen Folgen? Diese Frage wurde neulich bei Gelegenheit der skandalösen
Vorgänge in den Vorträgen Hansens in Wien von der dortigen Polizei, welche
einen Grund zum Verbot der Vorträge nöthig hatte, aufgeworfen und der medici-
nischen Facultät zur Beantwortung vorgelegt. Die Facultät gab ein höchst vor¬
sichtiges und verklausulirtes Gutachten ab, auf welches hin die Vorträge mit
Recht verboten wurden. Daß durch wiederholtes Hypnotisiren die Empfänglich¬
keit dafür ganz erheblich zunimmt, hat sich bei den Chemnitzer Versuchen zur
Genüge herausgestellt; einzelne Personen verfielen schließlich fast von selbst in
den hypnotischen Zustand. Auch war dort constatirt worden, daß die „Empfäng¬
lichkeit" ansteckend wirkt, so daß die schlimmen Folgen durch häufige öffentliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/174>, abgerufen am 01.07.2024.