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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Erscheinungen.*) Den medicinischen Lehrern an der Leipziger Universität, denen
Hansen doch wahrhaftig nahe genug gerückt war, war ein solcher Gedanke nicht
gekommen. Vielleicht hatte der Magnetiseur sie so sehr fixirt, daß sie in einen
wissenschaftlichen Schlaf verfallen waren. In Berlin hatte das Publikum das
Fixiren gar nicht zugelassen, und die Männer der Wissenschaft waren damit
jeder Unbequemlichkeit überhoben und konnten die ganze Geschichte kurzer Hand
für Betrug ausgeben. In Leipzig stand die Sache freilich ernster; denn der
seinen Collegen fo unbequeme Leipziger Professor des Spiritismus -- unbequem
nicht seines vierdimensioualen Geistes wegen, sondern weil er dem Publikum
mancherlei Wahrheiten ausschwatzt, welche der gelehrten Welt gerade keine Ehre
einbringen --, Professor Zöllner, beutete die Hansenscheu Experimente für feine
abergläubischen Theorien aus und zwar ohne Prüfung nach ihrer physiologischen
Seite, was eines Forschers auch nicht gerade würdig ist. Doch genug, Heidenhain
hat sich das Verdienst erworben, die von Hansen vorgeführten Erscheinungen
vor das Forum der wissenschaftlichen Forschung zu ziehen, und wir siud über¬
zeugt, daß die Wissenschaft bedeutenden Vortheil davon haben wird, mehr als
dies zu Braid's Zeit möglich war. Es ist wahrscheinlich, daß es im Laufe
dieser Untersuchungen gelingen wird, auch über so räthselhafte Erscheinungen
wie das Nachtwandeln, den Scheintode und -- was das Wichtigste ist -- über
die Functionen des Gehirns einiges Licht zu verbreiten.

Weinhold meint am Schlüsse seiner Schrift, daß ein Versuch Hansens mit
dem Hypnotismus sich immer noch nicht erklären lasse, nämlich der Schmeck-
versuch, der von Hansen im Leipziger Krankenhause gemacht worden sei. Wir
haben diesem Versuche beigewohnt und glauben dem Publikum sowohl wie den
Forschern eiuen Dienst zu erweisen, wenn wir ihn ausführlich erzählen. Hansen
experimentirte mit einem älteren Studiosus der Medicin, der äußerst empfänglich
war. Da derselbe schou öfter zu Versuchen gedient hatte, so war er ohne das
übliche Streichen und Fixiren leicht zu hypnotisiren. So ballte z. B. Hansen
seine Hand, und ohne Weiteres that es auch unser Studiosus, den wir T nennen
wollen. Dies überraschte selbst Hansen, und er meinte: "Sie sind so sympathisch,
daß ich glaube, es gelingt mit Ihnen ein Versuch, der uur selten gelingt. Drehen
Sie sich einmal um." Es geschah. Hansen ging hinter dem Rücken von X an
den Schreibtisch, brachte mit einer Feder Tinte in den Mund und ließ die
Feder alsdann auf das Porzellanschreibzeug wieder niederfallen. X und mehrere
andere Herren, die sich unterdessen über die vorausgegangenen Versuche unter¬
hielten, hatten offenbar von dem Geräusch, das die Feder beim Niederfallen



*) Der sogenannte thierische Magnetismus. Physiologische Betrachtungen
von Dr. Rudolf Hcidenhain. Leipzig, Breitkopf K Härtel, 1880.
Grenzboten II. 1880. 22

Erscheinungen.*) Den medicinischen Lehrern an der Leipziger Universität, denen
Hansen doch wahrhaftig nahe genug gerückt war, war ein solcher Gedanke nicht
gekommen. Vielleicht hatte der Magnetiseur sie so sehr fixirt, daß sie in einen
wissenschaftlichen Schlaf verfallen waren. In Berlin hatte das Publikum das
Fixiren gar nicht zugelassen, und die Männer der Wissenschaft waren damit
jeder Unbequemlichkeit überhoben und konnten die ganze Geschichte kurzer Hand
für Betrug ausgeben. In Leipzig stand die Sache freilich ernster; denn der
seinen Collegen fo unbequeme Leipziger Professor des Spiritismus — unbequem
nicht seines vierdimensioualen Geistes wegen, sondern weil er dem Publikum
mancherlei Wahrheiten ausschwatzt, welche der gelehrten Welt gerade keine Ehre
einbringen —, Professor Zöllner, beutete die Hansenscheu Experimente für feine
abergläubischen Theorien aus und zwar ohne Prüfung nach ihrer physiologischen
Seite, was eines Forschers auch nicht gerade würdig ist. Doch genug, Heidenhain
hat sich das Verdienst erworben, die von Hansen vorgeführten Erscheinungen
vor das Forum der wissenschaftlichen Forschung zu ziehen, und wir siud über¬
zeugt, daß die Wissenschaft bedeutenden Vortheil davon haben wird, mehr als
dies zu Braid's Zeit möglich war. Es ist wahrscheinlich, daß es im Laufe
dieser Untersuchungen gelingen wird, auch über so räthselhafte Erscheinungen
wie das Nachtwandeln, den Scheintode und — was das Wichtigste ist — über
die Functionen des Gehirns einiges Licht zu verbreiten.

Weinhold meint am Schlüsse seiner Schrift, daß ein Versuch Hansens mit
dem Hypnotismus sich immer noch nicht erklären lasse, nämlich der Schmeck-
versuch, der von Hansen im Leipziger Krankenhause gemacht worden sei. Wir
haben diesem Versuche beigewohnt und glauben dem Publikum sowohl wie den
Forschern eiuen Dienst zu erweisen, wenn wir ihn ausführlich erzählen. Hansen
experimentirte mit einem älteren Studiosus der Medicin, der äußerst empfänglich
war. Da derselbe schou öfter zu Versuchen gedient hatte, so war er ohne das
übliche Streichen und Fixiren leicht zu hypnotisiren. So ballte z. B. Hansen
seine Hand, und ohne Weiteres that es auch unser Studiosus, den wir T nennen
wollen. Dies überraschte selbst Hansen, und er meinte: „Sie sind so sympathisch,
daß ich glaube, es gelingt mit Ihnen ein Versuch, der uur selten gelingt. Drehen
Sie sich einmal um." Es geschah. Hansen ging hinter dem Rücken von X an
den Schreibtisch, brachte mit einer Feder Tinte in den Mund und ließ die
Feder alsdann auf das Porzellanschreibzeug wieder niederfallen. X und mehrere
andere Herren, die sich unterdessen über die vorausgegangenen Versuche unter¬
hielten, hatten offenbar von dem Geräusch, das die Feder beim Niederfallen



*) Der sogenannte thierische Magnetismus. Physiologische Betrachtungen
von Dr. Rudolf Hcidenhain. Leipzig, Breitkopf K Härtel, 1880.
Grenzboten II. 1880. 22
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/173>, abgerufen am 03.07.2024.