Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

gefährliche Arbeit und mühevolle Entbehrung vorausgeht, das erfahren wir erst
aus den Gemälden von Matthias Schmid und Alois Gahl, welche das
Tiroler Küustlerkleeblatt vervollständigen und wie Defregger ebenfalls ihre letzte
Reife in Pilotys Schule erhalten haben.

Matthias Schmid, der auf die kirchlich-sociale Seite des Tiroler Lebens
so scharfe Streiflichter werfen sollte, ist im Pagnanner Thale geboren, in einem
einsamen Gebirgswinkel an der Grenze von Vorarlberg, in welchen niemals das
Licht der Aufklärung und Toleranz gedrungen ist. Das Dorf See bei Ischgl
und Landeck ist seine Heimat, sein Vater ein vermögender Bauer, der aus¬
nahmsweise einmal nichts dagegen hatte, als sein Sohn, der am 14. October
1835 geborene Matthias, den Entschluß kund that, sich der Kunst zu widmen.
Freilich dachte sich der biedere Tiroler darunter einen Erwerbszweig, welcher
ebenso gut wie jeder andere seine lucrative Seite hätte. In das stille Thal
mochten die leichtherzigen Sausewinde aus der Jsarstadt mit ihren Studien¬
mappen noch nicht gedrungen sein; was er von Malern kennen gelernt hatte,
beschränkte sich auf jene ehrsame Zunft, welche die Kirchhvfskreuze, die Bild¬
stöcke mit den bunten Madonnen- und den blutigen Christussigureu und die
Erinnernngstafeln für Verunglückte malten. Letztere, "Marterln" genannt, spielten
in der Thätigkeit dieser Künstler eine hervorragende Rolle. Es ist bezeichnend
sür den moralischen Druck, unter welchen die Geistlichkeit dieses kernige, von
der Natur mit allen guten Eigenschaften ausgestattete Volk gezwängt hat, daß
solche Darstellungen die arme Seele des Verunglückten im höllischen Fegefeuer
zeigten, welches von Teufeln umtanzt wird, und da diese Teufel von den: Künstler
mit besonderer Liebe und mit einem gewissen grotesken Humor zu recht ein¬
dringlicher Anschauung gebracht wurden, nannte man die Schöpfer dieser Tafeln
kurzweg "Tuifelemaler". Zu einem solchen Teufelmaler kam Matthias Schmid
mit fünfzehn Jahren in die Lehre.

Man kann es seinem Lehrmeister nicht verdenken, daß er ihn mehr zum
Holzspalten, Wasserträger und Farbenreiber verwendete als zum Malen; trieb
doch der Meister selbst seine Kunst nur als Handwerk im gröbsten Sinne. Ein¬
mal leuchtete aber doch dem Kunstjünger ein guter Stern, einmal bot sich ihm
doch eine wahrhaft künstlerische Aufgabe. An der Decke seiner heimatlichen
Kirche war der Sündenfall dargestellt, und Mutter Eva paradirte darauf in
jener fragwürdigen Toilette, die bei frommen geistlichen Herren schon so viel
Aergerniß erregt hat und die schließlich auch den Pfarrer von See veranlaßte,
solchem Aergerniß ein Ende zu machen. Schmids Meister mochte sich dieser
delicaten Aufgabe uicht gewachsen fühlen, und so ließ er denu von seinem Lehr¬
jungen die Kastanien aus dem Feuer holen. Dieser wurde in einem Faß bis
zur Kirchendecke hinaufgezogen und umschlang die Stammmutter des Menschen-


gefährliche Arbeit und mühevolle Entbehrung vorausgeht, das erfahren wir erst
aus den Gemälden von Matthias Schmid und Alois Gahl, welche das
Tiroler Küustlerkleeblatt vervollständigen und wie Defregger ebenfalls ihre letzte
Reife in Pilotys Schule erhalten haben.

Matthias Schmid, der auf die kirchlich-sociale Seite des Tiroler Lebens
so scharfe Streiflichter werfen sollte, ist im Pagnanner Thale geboren, in einem
einsamen Gebirgswinkel an der Grenze von Vorarlberg, in welchen niemals das
Licht der Aufklärung und Toleranz gedrungen ist. Das Dorf See bei Ischgl
und Landeck ist seine Heimat, sein Vater ein vermögender Bauer, der aus¬
nahmsweise einmal nichts dagegen hatte, als sein Sohn, der am 14. October
1835 geborene Matthias, den Entschluß kund that, sich der Kunst zu widmen.
Freilich dachte sich der biedere Tiroler darunter einen Erwerbszweig, welcher
ebenso gut wie jeder andere seine lucrative Seite hätte. In das stille Thal
mochten die leichtherzigen Sausewinde aus der Jsarstadt mit ihren Studien¬
mappen noch nicht gedrungen sein; was er von Malern kennen gelernt hatte,
beschränkte sich auf jene ehrsame Zunft, welche die Kirchhvfskreuze, die Bild¬
stöcke mit den bunten Madonnen- und den blutigen Christussigureu und die
Erinnernngstafeln für Verunglückte malten. Letztere, „Marterln" genannt, spielten
in der Thätigkeit dieser Künstler eine hervorragende Rolle. Es ist bezeichnend
sür den moralischen Druck, unter welchen die Geistlichkeit dieses kernige, von
der Natur mit allen guten Eigenschaften ausgestattete Volk gezwängt hat, daß
solche Darstellungen die arme Seele des Verunglückten im höllischen Fegefeuer
zeigten, welches von Teufeln umtanzt wird, und da diese Teufel von den: Künstler
mit besonderer Liebe und mit einem gewissen grotesken Humor zu recht ein¬
dringlicher Anschauung gebracht wurden, nannte man die Schöpfer dieser Tafeln
kurzweg „Tuifelemaler". Zu einem solchen Teufelmaler kam Matthias Schmid
mit fünfzehn Jahren in die Lehre.

Man kann es seinem Lehrmeister nicht verdenken, daß er ihn mehr zum
Holzspalten, Wasserträger und Farbenreiber verwendete als zum Malen; trieb
doch der Meister selbst seine Kunst nur als Handwerk im gröbsten Sinne. Ein¬
mal leuchtete aber doch dem Kunstjünger ein guter Stern, einmal bot sich ihm
doch eine wahrhaft künstlerische Aufgabe. An der Decke seiner heimatlichen
Kirche war der Sündenfall dargestellt, und Mutter Eva paradirte darauf in
jener fragwürdigen Toilette, die bei frommen geistlichen Herren schon so viel
Aergerniß erregt hat und die schließlich auch den Pfarrer von See veranlaßte,
solchem Aergerniß ein Ende zu machen. Schmids Meister mochte sich dieser
delicaten Aufgabe uicht gewachsen fühlen, und so ließ er denu von seinem Lehr¬
jungen die Kastanien aus dem Feuer holen. Dieser wurde in einem Faß bis
zur Kirchendecke hinaufgezogen und umschlang die Stammmutter des Menschen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146659"/>
          <p xml:id="ID_447" prev="#ID_446"> gefährliche Arbeit und mühevolle Entbehrung vorausgeht, das erfahren wir erst<lb/>
aus den Gemälden von Matthias Schmid und Alois Gahl, welche das<lb/>
Tiroler Küustlerkleeblatt vervollständigen und wie Defregger ebenfalls ihre letzte<lb/>
Reife in Pilotys Schule erhalten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_448"> Matthias Schmid, der auf die kirchlich-sociale Seite des Tiroler Lebens<lb/>
so scharfe Streiflichter werfen sollte, ist im Pagnanner Thale geboren, in einem<lb/>
einsamen Gebirgswinkel an der Grenze von Vorarlberg, in welchen niemals das<lb/>
Licht der Aufklärung und Toleranz gedrungen ist. Das Dorf See bei Ischgl<lb/>
und Landeck ist seine Heimat, sein Vater ein vermögender Bauer, der aus¬<lb/>
nahmsweise einmal nichts dagegen hatte, als sein Sohn, der am 14. October<lb/>
1835 geborene Matthias, den Entschluß kund that, sich der Kunst zu widmen.<lb/>
Freilich dachte sich der biedere Tiroler darunter einen Erwerbszweig, welcher<lb/>
ebenso gut wie jeder andere seine lucrative Seite hätte. In das stille Thal<lb/>
mochten die leichtherzigen Sausewinde aus der Jsarstadt mit ihren Studien¬<lb/>
mappen noch nicht gedrungen sein; was er von Malern kennen gelernt hatte,<lb/>
beschränkte sich auf jene ehrsame Zunft, welche die Kirchhvfskreuze, die Bild¬<lb/>
stöcke mit den bunten Madonnen- und den blutigen Christussigureu und die<lb/>
Erinnernngstafeln für Verunglückte malten. Letztere, &#x201E;Marterln" genannt, spielten<lb/>
in der Thätigkeit dieser Künstler eine hervorragende Rolle. Es ist bezeichnend<lb/>
sür den moralischen Druck, unter welchen die Geistlichkeit dieses kernige, von<lb/>
der Natur mit allen guten Eigenschaften ausgestattete Volk gezwängt hat, daß<lb/>
solche Darstellungen die arme Seele des Verunglückten im höllischen Fegefeuer<lb/>
zeigten, welches von Teufeln umtanzt wird, und da diese Teufel von den: Künstler<lb/>
mit besonderer Liebe und mit einem gewissen grotesken Humor zu recht ein¬<lb/>
dringlicher Anschauung gebracht wurden, nannte man die Schöpfer dieser Tafeln<lb/>
kurzweg &#x201E;Tuifelemaler". Zu einem solchen Teufelmaler kam Matthias Schmid<lb/>
mit fünfzehn Jahren in die Lehre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_449" next="#ID_450"> Man kann es seinem Lehrmeister nicht verdenken, daß er ihn mehr zum<lb/>
Holzspalten, Wasserträger und Farbenreiber verwendete als zum Malen; trieb<lb/>
doch der Meister selbst seine Kunst nur als Handwerk im gröbsten Sinne. Ein¬<lb/>
mal leuchtete aber doch dem Kunstjünger ein guter Stern, einmal bot sich ihm<lb/>
doch eine wahrhaft künstlerische Aufgabe. An der Decke seiner heimatlichen<lb/>
Kirche war der Sündenfall dargestellt, und Mutter Eva paradirte darauf in<lb/>
jener fragwürdigen Toilette, die bei frommen geistlichen Herren schon so viel<lb/>
Aergerniß erregt hat und die schließlich auch den Pfarrer von See veranlaßte,<lb/>
solchem Aergerniß ein Ende zu machen. Schmids Meister mochte sich dieser<lb/>
delicaten Aufgabe uicht gewachsen fühlen, und so ließ er denu von seinem Lehr¬<lb/>
jungen die Kastanien aus dem Feuer holen. Dieser wurde in einem Faß bis<lb/>
zur Kirchendecke hinaufgezogen und umschlang die Stammmutter des Menschen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] gefährliche Arbeit und mühevolle Entbehrung vorausgeht, das erfahren wir erst aus den Gemälden von Matthias Schmid und Alois Gahl, welche das Tiroler Küustlerkleeblatt vervollständigen und wie Defregger ebenfalls ihre letzte Reife in Pilotys Schule erhalten haben. Matthias Schmid, der auf die kirchlich-sociale Seite des Tiroler Lebens so scharfe Streiflichter werfen sollte, ist im Pagnanner Thale geboren, in einem einsamen Gebirgswinkel an der Grenze von Vorarlberg, in welchen niemals das Licht der Aufklärung und Toleranz gedrungen ist. Das Dorf See bei Ischgl und Landeck ist seine Heimat, sein Vater ein vermögender Bauer, der aus¬ nahmsweise einmal nichts dagegen hatte, als sein Sohn, der am 14. October 1835 geborene Matthias, den Entschluß kund that, sich der Kunst zu widmen. Freilich dachte sich der biedere Tiroler darunter einen Erwerbszweig, welcher ebenso gut wie jeder andere seine lucrative Seite hätte. In das stille Thal mochten die leichtherzigen Sausewinde aus der Jsarstadt mit ihren Studien¬ mappen noch nicht gedrungen sein; was er von Malern kennen gelernt hatte, beschränkte sich auf jene ehrsame Zunft, welche die Kirchhvfskreuze, die Bild¬ stöcke mit den bunten Madonnen- und den blutigen Christussigureu und die Erinnernngstafeln für Verunglückte malten. Letztere, „Marterln" genannt, spielten in der Thätigkeit dieser Künstler eine hervorragende Rolle. Es ist bezeichnend sür den moralischen Druck, unter welchen die Geistlichkeit dieses kernige, von der Natur mit allen guten Eigenschaften ausgestattete Volk gezwängt hat, daß solche Darstellungen die arme Seele des Verunglückten im höllischen Fegefeuer zeigten, welches von Teufeln umtanzt wird, und da diese Teufel von den: Künstler mit besonderer Liebe und mit einem gewissen grotesken Humor zu recht ein¬ dringlicher Anschauung gebracht wurden, nannte man die Schöpfer dieser Tafeln kurzweg „Tuifelemaler". Zu einem solchen Teufelmaler kam Matthias Schmid mit fünfzehn Jahren in die Lehre. Man kann es seinem Lehrmeister nicht verdenken, daß er ihn mehr zum Holzspalten, Wasserträger und Farbenreiber verwendete als zum Malen; trieb doch der Meister selbst seine Kunst nur als Handwerk im gröbsten Sinne. Ein¬ mal leuchtete aber doch dem Kunstjünger ein guter Stern, einmal bot sich ihm doch eine wahrhaft künstlerische Aufgabe. An der Decke seiner heimatlichen Kirche war der Sündenfall dargestellt, und Mutter Eva paradirte darauf in jener fragwürdigen Toilette, die bei frommen geistlichen Herren schon so viel Aergerniß erregt hat und die schließlich auch den Pfarrer von See veranlaßte, solchem Aergerniß ein Ende zu machen. Schmids Meister mochte sich dieser delicaten Aufgabe uicht gewachsen fühlen, und so ließ er denu von seinem Lehr¬ jungen die Kastanien aus dem Feuer holen. Dieser wurde in einem Faß bis zur Kirchendecke hinaufgezogen und umschlang die Stammmutter des Menschen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/154>, abgerufen am 03.07.2024.