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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Ganzen durchcomponirt, sondern aus einzelnen Bausteinen sehr verständig und
correct combinirt. Als Ganzes betrachtet, versagt das Bild seine Wirkung; die¬
selbe zeigt sich erst, dann aber allerdings mächtig, wenn man die einzelnen
Figuren betrachtet, welche von ungewöhnlicher Schärfe der Beobachtung, von
erstaunlicher Kenntniß menschlicher Bewegungen aller Grade zeugen. Wie z. B.
der Mann mit der Krücke, der sich von links herbeischleppt, behutsam mit der
Spitze des verwundeten Fußes auftritt, ist mit vollendeter Naturwahrheit dar¬
gestellt, und ebenso fein beobachtet ist die Bewegung des Tirolers, der die Treppe
emporkriecht und dabei den verwundeten rechten Arm an den Körper heranzieht,
um das kranke Glied vor unsanfter Berührung zu schützen. Der Alte, der die
schreckliche Wahrheit noch nicht fassen kann und unter der Wucht des unge¬
heuerlichen Ereignisses mit der Hand gegen den Kopf sährt, ist in seiner ener¬
gischen Charakteristik vielleicht am besten gelungen. Auch die würdevolle Hal¬
tung Hofers, der ruhig und gefaßt auf die Aufregung und den Jammer rings
um ihn her blickt, ist trefflich zum Ausdruck gebracht. Nur paßt dann nicht
zum Ernst des Moments die zierliche Pose des linken Fußes, der nach Tanz¬
meisterart fast im rechten Winkel gegen den anderen vorgesetzt ist. Der Energie
des Ausdrucks entspricht die Kraft des Colorits; nur find die Figuren links
und rechts im Hintergrunde wieder flauer und unbestimmter behandelt als es
die Abstufung und Schwächung der Töne durch das Halbdunkel rechtfertigt.
Auch herrscht der braune Grundton, ans welchen Defregger gern seine Farben-
scala stimmt, wiederum merklich und zum Nachtheil der Harmonie des Ge-
sammttons vor.

Trotz hervorragender, ja großartiger Schönheiten im Einzelnen bringt es
das Bild zu keiner packenden Totalwirkung. Es scheint, als gingen derartige
Aufgaben über das technische und geistige Können Defreggers hinaus, als besäße
er nicht die Kraft, eine so große Fläche gleichmäßig zu durchdringen und in
allen Theilen mit gleicher Meisterschaft durchzuführen. Als er im Anfang 1879
eine andere Episode aus dem Leben Hofers, eine fröhliche aus den Tagen feines
Glanzes, die Ueberreichung der ihm vom Kaiser gesandten Gnadenkette in der
Innsbrucker Hofburg, wieder in kleinen Figuren darstellte, blieb auch der Erfolg
nicht aus, der feit länger als zehn Jahren sein treuer Begleiter gewesen ist.

Ungeachtet der großen Anzahl seiner Bilder hat Defregger das Tiroler
Leben noch keineswegs erschöpft. Wenn wir von seinen historischen Genrebildern
absehen, werden wir sogar finden, daß er nur einen ganz bestimmten, ziemlich
eng begrenzten Abschnitt aus dem Kreislauf dieses Lebens schildert, seine Ver¬
gnügungen und den ruhigen Genuß einer behaglichen Existenz. Daß dieses
idyllische Leben oft genug auch durch häßliche Leidenschaften, durch grelle Dis¬
harmonien getrübt und gestört wird, daß dem behaglichen Genuß harte, lebens-


Ganzen durchcomponirt, sondern aus einzelnen Bausteinen sehr verständig und
correct combinirt. Als Ganzes betrachtet, versagt das Bild seine Wirkung; die¬
selbe zeigt sich erst, dann aber allerdings mächtig, wenn man die einzelnen
Figuren betrachtet, welche von ungewöhnlicher Schärfe der Beobachtung, von
erstaunlicher Kenntniß menschlicher Bewegungen aller Grade zeugen. Wie z. B.
der Mann mit der Krücke, der sich von links herbeischleppt, behutsam mit der
Spitze des verwundeten Fußes auftritt, ist mit vollendeter Naturwahrheit dar¬
gestellt, und ebenso fein beobachtet ist die Bewegung des Tirolers, der die Treppe
emporkriecht und dabei den verwundeten rechten Arm an den Körper heranzieht,
um das kranke Glied vor unsanfter Berührung zu schützen. Der Alte, der die
schreckliche Wahrheit noch nicht fassen kann und unter der Wucht des unge¬
heuerlichen Ereignisses mit der Hand gegen den Kopf sährt, ist in seiner ener¬
gischen Charakteristik vielleicht am besten gelungen. Auch die würdevolle Hal¬
tung Hofers, der ruhig und gefaßt auf die Aufregung und den Jammer rings
um ihn her blickt, ist trefflich zum Ausdruck gebracht. Nur paßt dann nicht
zum Ernst des Moments die zierliche Pose des linken Fußes, der nach Tanz¬
meisterart fast im rechten Winkel gegen den anderen vorgesetzt ist. Der Energie
des Ausdrucks entspricht die Kraft des Colorits; nur find die Figuren links
und rechts im Hintergrunde wieder flauer und unbestimmter behandelt als es
die Abstufung und Schwächung der Töne durch das Halbdunkel rechtfertigt.
Auch herrscht der braune Grundton, ans welchen Defregger gern seine Farben-
scala stimmt, wiederum merklich und zum Nachtheil der Harmonie des Ge-
sammttons vor.

Trotz hervorragender, ja großartiger Schönheiten im Einzelnen bringt es
das Bild zu keiner packenden Totalwirkung. Es scheint, als gingen derartige
Aufgaben über das technische und geistige Können Defreggers hinaus, als besäße
er nicht die Kraft, eine so große Fläche gleichmäßig zu durchdringen und in
allen Theilen mit gleicher Meisterschaft durchzuführen. Als er im Anfang 1879
eine andere Episode aus dem Leben Hofers, eine fröhliche aus den Tagen feines
Glanzes, die Ueberreichung der ihm vom Kaiser gesandten Gnadenkette in der
Innsbrucker Hofburg, wieder in kleinen Figuren darstellte, blieb auch der Erfolg
nicht aus, der feit länger als zehn Jahren sein treuer Begleiter gewesen ist.

Ungeachtet der großen Anzahl seiner Bilder hat Defregger das Tiroler
Leben noch keineswegs erschöpft. Wenn wir von seinen historischen Genrebildern
absehen, werden wir sogar finden, daß er nur einen ganz bestimmten, ziemlich
eng begrenzten Abschnitt aus dem Kreislauf dieses Lebens schildert, seine Ver¬
gnügungen und den ruhigen Genuß einer behaglichen Existenz. Daß dieses
idyllische Leben oft genug auch durch häßliche Leidenschaften, durch grelle Dis¬
harmonien getrübt und gestört wird, daß dem behaglichen Genuß harte, lebens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/153>, abgerufen am 22.07.2024.