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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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gaul, der in München auf dein Octoberfest prämiirt worden ist und nun im
Triumph, mit Bändern und Schleifen geschmückt, in das heimatliche Dorf zurück¬
geführt wird, wo er natürlich neben einer Schaar von Bewunderern auch Neider
und Verkleinerer feiner unzweifelhaften Verdienste findet. Wiederum überrascht
auf diesem Bilde, welches, für die Wiener Weltausstellung gemalt, den Ruf
Defreggers auch über München und die Kreise seiner Landesgenossen hinaus¬
trug, außer der Mannigfaltigkeit in der Charakteristik, der Reichthum an typi¬
schen Gestalten, die außerordentliche Lebendigkeit und Natürlichkeit des Künstlers,
die auch auf anderen Gemälden, deren Stoffe poetischer sind, keinen ungesunden,
sentimentalen Zug aufkommen läßt. In der Heimat des Malers zollte man
dem Bilde übrigens nicht dieselbe Bewunderung, welche es bei dem internatio¬
nalen Publikum in Wien fand, das sich einer fast völlig neuen Erscheinung
gegenüber sah. In Innsbruck erkannte man sogar in demselben einen Rückschritt
gegen frühere Leistungen des Künstlers, namentlich gegen den "Ball ans der
Alm", und schärfere Beobachter entdeckten sogar bedenkliche Verzeichnungen, die
man bis dahin Defregger nicht zum Vorwurfe gemacht hatte.

Es mag sein, daß die Isolirtheit, in welcher sich Defregger in Bozen be¬
fand, auf die weitere Ausbildung seiner specifisch technischen Qualitäten nach¬
theilig eingewirkt hat, und diese Wahrnehmung veranlaßte ihn, der gastlichen
Stadt, welche seitdem die Erinnerung an ihn in rührender Treue bewahrt, den
Rücken zu kehren, um wieder nach München zu gehen und aus der lebendigen
Wechselwirkung emporstrebender Kräfte für sich Nutzen zu ziehen. Sein mehr¬
jähriger Aufenthalt in Bozen ist im Hinblick ans die Forderung des geistigen
Lebens und die Erweckung des ästhetischen Sinnes in der von der Natur so
außerordentlich begünstigten Bergstadt und ihrer herrlichen Umgebung nicht zu
unterschätze:,. In dieser gottbegnadeter Natur ist leider das Unkraut des Fana¬
tismus und der Unduldsamkeit mächtiger als irgendwoanders emporgeschossen,
und, im Gegensatz zu den früheren Traditionen des Katholicismus, macht sich
daneben ein kunstfeindliches Element geltend, welches nur die Heiligenbilder,
Oeldrucke und Farbenlithographien schlechtester Sorte, die oft wie eine abschre¬
ckende Carricatur wirken, von seinem Banne eximirt. In diese dunkle Atmo¬
sphäre fielen die Defreggerschen Bilder, welche in jeder Tirolerbrust verwandte
Saiten berührten, die intimsten Fasern des Herzens vibriren machten, wie freund¬
liche, reinigende Lichtstrahlen. Zu dem Gefühl, hier durch die Kunst das ver¬
wandte, gleichartige Wesen in seiner ganzen Innerlichkeit erfaßt und in seiner
im Grunde doch treuherzigen, von Pfaffenlist noch nicht völlig verdorbenen
Schlichtheit dargestellt zu sehen, gesellte sich der patriotische Stolz, der sich sagen
durfte: Der dies schuf, ist aus unserer Mitte hervorgegangen, war ein Bauer
wie wir! Durch diese Kanäle hat in Bozen und Umgegend, ja in ganz Tirol


gaul, der in München auf dein Octoberfest prämiirt worden ist und nun im
Triumph, mit Bändern und Schleifen geschmückt, in das heimatliche Dorf zurück¬
geführt wird, wo er natürlich neben einer Schaar von Bewunderern auch Neider
und Verkleinerer feiner unzweifelhaften Verdienste findet. Wiederum überrascht
auf diesem Bilde, welches, für die Wiener Weltausstellung gemalt, den Ruf
Defreggers auch über München und die Kreise seiner Landesgenossen hinaus¬
trug, außer der Mannigfaltigkeit in der Charakteristik, der Reichthum an typi¬
schen Gestalten, die außerordentliche Lebendigkeit und Natürlichkeit des Künstlers,
die auch auf anderen Gemälden, deren Stoffe poetischer sind, keinen ungesunden,
sentimentalen Zug aufkommen läßt. In der Heimat des Malers zollte man
dem Bilde übrigens nicht dieselbe Bewunderung, welche es bei dem internatio¬
nalen Publikum in Wien fand, das sich einer fast völlig neuen Erscheinung
gegenüber sah. In Innsbruck erkannte man sogar in demselben einen Rückschritt
gegen frühere Leistungen des Künstlers, namentlich gegen den „Ball ans der
Alm", und schärfere Beobachter entdeckten sogar bedenkliche Verzeichnungen, die
man bis dahin Defregger nicht zum Vorwurfe gemacht hatte.

Es mag sein, daß die Isolirtheit, in welcher sich Defregger in Bozen be¬
fand, auf die weitere Ausbildung seiner specifisch technischen Qualitäten nach¬
theilig eingewirkt hat, und diese Wahrnehmung veranlaßte ihn, der gastlichen
Stadt, welche seitdem die Erinnerung an ihn in rührender Treue bewahrt, den
Rücken zu kehren, um wieder nach München zu gehen und aus der lebendigen
Wechselwirkung emporstrebender Kräfte für sich Nutzen zu ziehen. Sein mehr¬
jähriger Aufenthalt in Bozen ist im Hinblick ans die Forderung des geistigen
Lebens und die Erweckung des ästhetischen Sinnes in der von der Natur so
außerordentlich begünstigten Bergstadt und ihrer herrlichen Umgebung nicht zu
unterschätze:,. In dieser gottbegnadeter Natur ist leider das Unkraut des Fana¬
tismus und der Unduldsamkeit mächtiger als irgendwoanders emporgeschossen,
und, im Gegensatz zu den früheren Traditionen des Katholicismus, macht sich
daneben ein kunstfeindliches Element geltend, welches nur die Heiligenbilder,
Oeldrucke und Farbenlithographien schlechtester Sorte, die oft wie eine abschre¬
ckende Carricatur wirken, von seinem Banne eximirt. In diese dunkle Atmo¬
sphäre fielen die Defreggerschen Bilder, welche in jeder Tirolerbrust verwandte
Saiten berührten, die intimsten Fasern des Herzens vibriren machten, wie freund¬
liche, reinigende Lichtstrahlen. Zu dem Gefühl, hier durch die Kunst das ver¬
wandte, gleichartige Wesen in seiner ganzen Innerlichkeit erfaßt und in seiner
im Grunde doch treuherzigen, von Pfaffenlist noch nicht völlig verdorbenen
Schlichtheit dargestellt zu sehen, gesellte sich der patriotische Stolz, der sich sagen
durfte: Der dies schuf, ist aus unserer Mitte hervorgegangen, war ein Bauer
wie wir! Durch diese Kanäle hat in Bozen und Umgegend, ja in ganz Tirol


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[0147] gaul, der in München auf dein Octoberfest prämiirt worden ist und nun im Triumph, mit Bändern und Schleifen geschmückt, in das heimatliche Dorf zurück¬ geführt wird, wo er natürlich neben einer Schaar von Bewunderern auch Neider und Verkleinerer feiner unzweifelhaften Verdienste findet. Wiederum überrascht auf diesem Bilde, welches, für die Wiener Weltausstellung gemalt, den Ruf Defreggers auch über München und die Kreise seiner Landesgenossen hinaus¬ trug, außer der Mannigfaltigkeit in der Charakteristik, der Reichthum an typi¬ schen Gestalten, die außerordentliche Lebendigkeit und Natürlichkeit des Künstlers, die auch auf anderen Gemälden, deren Stoffe poetischer sind, keinen ungesunden, sentimentalen Zug aufkommen läßt. In der Heimat des Malers zollte man dem Bilde übrigens nicht dieselbe Bewunderung, welche es bei dem internatio¬ nalen Publikum in Wien fand, das sich einer fast völlig neuen Erscheinung gegenüber sah. In Innsbruck erkannte man sogar in demselben einen Rückschritt gegen frühere Leistungen des Künstlers, namentlich gegen den „Ball ans der Alm", und schärfere Beobachter entdeckten sogar bedenkliche Verzeichnungen, die man bis dahin Defregger nicht zum Vorwurfe gemacht hatte. Es mag sein, daß die Isolirtheit, in welcher sich Defregger in Bozen be¬ fand, auf die weitere Ausbildung seiner specifisch technischen Qualitäten nach¬ theilig eingewirkt hat, und diese Wahrnehmung veranlaßte ihn, der gastlichen Stadt, welche seitdem die Erinnerung an ihn in rührender Treue bewahrt, den Rücken zu kehren, um wieder nach München zu gehen und aus der lebendigen Wechselwirkung emporstrebender Kräfte für sich Nutzen zu ziehen. Sein mehr¬ jähriger Aufenthalt in Bozen ist im Hinblick ans die Forderung des geistigen Lebens und die Erweckung des ästhetischen Sinnes in der von der Natur so außerordentlich begünstigten Bergstadt und ihrer herrlichen Umgebung nicht zu unterschätze:,. In dieser gottbegnadeter Natur ist leider das Unkraut des Fana¬ tismus und der Unduldsamkeit mächtiger als irgendwoanders emporgeschossen, und, im Gegensatz zu den früheren Traditionen des Katholicismus, macht sich daneben ein kunstfeindliches Element geltend, welches nur die Heiligenbilder, Oeldrucke und Farbenlithographien schlechtester Sorte, die oft wie eine abschre¬ ckende Carricatur wirken, von seinem Banne eximirt. In diese dunkle Atmo¬ sphäre fielen die Defreggerschen Bilder, welche in jeder Tirolerbrust verwandte Saiten berührten, die intimsten Fasern des Herzens vibriren machten, wie freund¬ liche, reinigende Lichtstrahlen. Zu dem Gefühl, hier durch die Kunst das ver¬ wandte, gleichartige Wesen in seiner ganzen Innerlichkeit erfaßt und in seiner im Grunde doch treuherzigen, von Pfaffenlist noch nicht völlig verdorbenen Schlichtheit dargestellt zu sehen, gesellte sich der patriotische Stolz, der sich sagen durfte: Der dies schuf, ist aus unserer Mitte hervorgegangen, war ein Bauer wie wir! Durch diese Kanäle hat in Bozen und Umgegend, ja in ganz Tirol

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/147>, abgerufen am 03.07.2024.