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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
6. pilotys Schule: Franz Defregger. Matthias Schmid.
Alois Gahl.

Nachdem Defregger von seiner Gliederkraukheit genesen war, hielt er sich
noch zwei Jahre in Bozen auf, dessen Klima, welches die Vorzüge des italieni¬
schen Himmels mit denen einer Herz und Geist erfrischenden Bergluft verbindet,
gewiß nicht ohne Einfluß auf seine Wiederherstellung gewesen ist. Sein Geist
war nie gelähmt worden, und nachdem nun auch die alte Kraft wiedergekehrt
war, schuf er eine Reihe von Genrebildern, in welcher sich die alte, gemüthvolle
Liebenswürdigkeit und Heiterkeit in ungetrübter Frische zeigte.

Den ersten Stoff wählte er aus dein bunten Volksleben Wälschtirols, wo
sich als auf der Grenzscheide zweier Nationen der dunkeläugige Romane mit
dem helläugiger Germanen zum ersten Male begegnet, wo dem vom Norden
kommenden Reisenden der Contrast zwischen zwei Volksnaturen zum ersten Male
ins Auge springt. Ein italienischer Bettelmnsikant producirt mit seinen beiden
Kindern vor einer aus zahlreichen Gliedern bestehenden Tiroler Bauernfamilie
seine gewerbsmäßige Kunstfertigkeit. Er findet ein ungemein dankbares Publikum;
je nach den geistigen Capacitäten des Einzelnen spricht sich die Theilnahme in
fassungsloser Bewunderung, in andächtigem, verständnißvollen Zuhören oder in
fröhlicher Stimmung aus. Auch der künstlerische Vorzug dieses Bildes liegt in
der Mannigfaltigkeit der Charakteristik, welche hier nicht bloß durch Alter und
Temperament bedingt wird, sondern noch durch die verschieden geartete Auf¬
merksamkeit, welche ein Jeder der Anwesenden dem Gesänge und dem Guitarren¬
spiele zuwendet. Auf die "Bettelmusikanten" folgte der "Ball auf der Alm" mit
dem berühmten Schuhplattltanz zwischen einem alten Holzknecht und einer jungen
Sennerin, einer Scene voll köstlichen Humors, das "Mittagsgebet", welches dem
Jüngsten einer aus fünf Köpfen bestehenden Kindergesellschaft von der alten
Großmutter gelehrt wird, besonders anziehend durch die glückliche, in keinem
Zuge gekünstelte Naivetät der Kindergesichter, dnrch die ungezwungene Natür¬
lichkeit der Posen, durch das fein abgewogene Verhältniß der einzelnen Theile
der Komposition zu einander und zum Ganzen und durch das reizvolle Spiel
des Sonnenlichts in dem halbdunklen Raume, der "Sonntagnachmittag", eine
ähnliche Idylle aus dem Familienleben u. a. in.

In Bozen entstand auch das berühmte "Preispferd", ein wackerer Bauern-


Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der
Gegenwart.
6. pilotys Schule: Franz Defregger. Matthias Schmid.
Alois Gahl.

Nachdem Defregger von seiner Gliederkraukheit genesen war, hielt er sich
noch zwei Jahre in Bozen auf, dessen Klima, welches die Vorzüge des italieni¬
schen Himmels mit denen einer Herz und Geist erfrischenden Bergluft verbindet,
gewiß nicht ohne Einfluß auf seine Wiederherstellung gewesen ist. Sein Geist
war nie gelähmt worden, und nachdem nun auch die alte Kraft wiedergekehrt
war, schuf er eine Reihe von Genrebildern, in welcher sich die alte, gemüthvolle
Liebenswürdigkeit und Heiterkeit in ungetrübter Frische zeigte.

Den ersten Stoff wählte er aus dein bunten Volksleben Wälschtirols, wo
sich als auf der Grenzscheide zweier Nationen der dunkeläugige Romane mit
dem helläugiger Germanen zum ersten Male begegnet, wo dem vom Norden
kommenden Reisenden der Contrast zwischen zwei Volksnaturen zum ersten Male
ins Auge springt. Ein italienischer Bettelmnsikant producirt mit seinen beiden
Kindern vor einer aus zahlreichen Gliedern bestehenden Tiroler Bauernfamilie
seine gewerbsmäßige Kunstfertigkeit. Er findet ein ungemein dankbares Publikum;
je nach den geistigen Capacitäten des Einzelnen spricht sich die Theilnahme in
fassungsloser Bewunderung, in andächtigem, verständnißvollen Zuhören oder in
fröhlicher Stimmung aus. Auch der künstlerische Vorzug dieses Bildes liegt in
der Mannigfaltigkeit der Charakteristik, welche hier nicht bloß durch Alter und
Temperament bedingt wird, sondern noch durch die verschieden geartete Auf¬
merksamkeit, welche ein Jeder der Anwesenden dem Gesänge und dem Guitarren¬
spiele zuwendet. Auf die „Bettelmusikanten" folgte der „Ball auf der Alm" mit
dem berühmten Schuhplattltanz zwischen einem alten Holzknecht und einer jungen
Sennerin, einer Scene voll köstlichen Humors, das „Mittagsgebet", welches dem
Jüngsten einer aus fünf Köpfen bestehenden Kindergesellschaft von der alten
Großmutter gelehrt wird, besonders anziehend durch die glückliche, in keinem
Zuge gekünstelte Naivetät der Kindergesichter, dnrch die ungezwungene Natür¬
lichkeit der Posen, durch das fein abgewogene Verhältniß der einzelnen Theile
der Komposition zu einander und zum Ganzen und durch das reizvolle Spiel
des Sonnenlichts in dem halbdunklen Raume, der „Sonntagnachmittag", eine
ähnliche Idylle aus dem Familienleben u. a. in.

In Bozen entstand auch das berühmte „Preispferd", ein wackerer Bauern-


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[0146] Die Hauptströmungen in der bildenden Kunst der Gegenwart. 6. pilotys Schule: Franz Defregger. Matthias Schmid. Alois Gahl. Nachdem Defregger von seiner Gliederkraukheit genesen war, hielt er sich noch zwei Jahre in Bozen auf, dessen Klima, welches die Vorzüge des italieni¬ schen Himmels mit denen einer Herz und Geist erfrischenden Bergluft verbindet, gewiß nicht ohne Einfluß auf seine Wiederherstellung gewesen ist. Sein Geist war nie gelähmt worden, und nachdem nun auch die alte Kraft wiedergekehrt war, schuf er eine Reihe von Genrebildern, in welcher sich die alte, gemüthvolle Liebenswürdigkeit und Heiterkeit in ungetrübter Frische zeigte. Den ersten Stoff wählte er aus dein bunten Volksleben Wälschtirols, wo sich als auf der Grenzscheide zweier Nationen der dunkeläugige Romane mit dem helläugiger Germanen zum ersten Male begegnet, wo dem vom Norden kommenden Reisenden der Contrast zwischen zwei Volksnaturen zum ersten Male ins Auge springt. Ein italienischer Bettelmnsikant producirt mit seinen beiden Kindern vor einer aus zahlreichen Gliedern bestehenden Tiroler Bauernfamilie seine gewerbsmäßige Kunstfertigkeit. Er findet ein ungemein dankbares Publikum; je nach den geistigen Capacitäten des Einzelnen spricht sich die Theilnahme in fassungsloser Bewunderung, in andächtigem, verständnißvollen Zuhören oder in fröhlicher Stimmung aus. Auch der künstlerische Vorzug dieses Bildes liegt in der Mannigfaltigkeit der Charakteristik, welche hier nicht bloß durch Alter und Temperament bedingt wird, sondern noch durch die verschieden geartete Auf¬ merksamkeit, welche ein Jeder der Anwesenden dem Gesänge und dem Guitarren¬ spiele zuwendet. Auf die „Bettelmusikanten" folgte der „Ball auf der Alm" mit dem berühmten Schuhplattltanz zwischen einem alten Holzknecht und einer jungen Sennerin, einer Scene voll köstlichen Humors, das „Mittagsgebet", welches dem Jüngsten einer aus fünf Köpfen bestehenden Kindergesellschaft von der alten Großmutter gelehrt wird, besonders anziehend durch die glückliche, in keinem Zuge gekünstelte Naivetät der Kindergesichter, dnrch die ungezwungene Natür¬ lichkeit der Posen, durch das fein abgewogene Verhältniß der einzelnen Theile der Komposition zu einander und zum Ganzen und durch das reizvolle Spiel des Sonnenlichts in dem halbdunklen Raume, der „Sonntagnachmittag", eine ähnliche Idylle aus dem Familienleben u. a. in. In Bozen entstand auch das berühmte „Preispferd", ein wackerer Bauern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/146>, abgerufen am 03.07.2024.