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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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bis über Innsbruck hinaus ein Defreggercultus Eingang gefunden, der sich seine
Stelle neben dem Cultus der Heiligenbilder, welcher bisher fast ausschließlich
das nicht sehr bedeutende Kunstbedürfniß deckte, erobert hat, und man darf den
glücklichen Zufall preisen, der gerade einen Künstler von so scharf ausgeprägtem
Schönheitsdrcmge und Schönheitsgefühl wie Defregger zum Gegenstande natio¬
naler Verehrung machte. In einem Lande, wo bis dahin der Jesuitenstil in
seiner prunkenden Unwahrheit, in seiner gedankenlosen, aber die Menge berau¬
schenden Prahlsucht alles künstlerische Empfinden beherrscht hat, ist die Ein¬
bürgerung der schlichten Defreggerschen Kunstart doppelt erfreulich. Nicht bloß
in den Städten haben die Schaufenster der Buch- und Kunsthändler den Repro-
ductionen Defreggerscher Bilder eine breite Stelle eingeräumt, die Hausirer
haben Stiche, Photo- und Lithographien bis hinauf in die einsamsten Gebirgs-
dörfer getragen und überall willige und zahlreiche Käufer gefunden. Freilich
berührte Defregger auch zur Zeit, als sich sein Aufenthalt in Bozen seinem
Ende näherte, die Stelle, wo der Tiroler am meisten sterblich ist, das Capitel,
in welches sich die ruhmvollen Erinnerungen seiner historischen Erinnerung zu¬
sammendrängen, den Franzosenkrieg von Anno 1809.

Zum ersten Male seit dem Speckbacherbilde, das seinen Namen bekannt
gemacht hatte, verließ er wieder das Gebiet der Idylle, um sich der Historie
zuzuwenden, wobei er wieder mit richtigem Tact sich auf ein räumlich geringes
Maß beschränkte. Die Forderung, daß ein Historienbild mindestens lebensgroße
Figuren aufweisen müsse, ist ja ein veralteter Schulbegriff, dessen Verkehrtheit
heute nicht mehr der Widerlegung bedarf. Nicht in den räumlichen Dimensionen,
sondern in der charakteristischen Erfassung des Gegenständlichen, in der richtigen
Behandlung des Zeit- und Localcolorits und in der vollkommenen geistigen
Durchdringung des Stoffes ist das Wesen nicht bloß der Historienmalerei, son¬
dern auch jedes anderen Zweiges der Malerei zu suchen. Wir fragen heute:
Steht das gewählte Maß im Verhältniß zur Bedeutung des Gegenstandes?
und, wenn diese Frage eine befriedigende Antwort gefunden hat, fragen wir
weiter: Steht das geistige und technische Können des Malers im richtigen
Verhältniß zu der räumlichen Größe seines Gegenstandes? Cornelius, Rethel,
Schmorr von Carolsfeld vermochten lebens- und überlebensgroße Figuren mit
Geist und Leben zu erfüllen, so lange sie nicht mit der Farbe zu rechnen hatten.
Bei Kaulbach ist das schon zweifelhaft. Von den beiden Hauptseiten seiner
Thätigkeit ist die als Illustrator, als witziger Satiriker die angenehmere. Seinen
Gestalten in großem Maßstabe, wie wir ihnen auf den monumentalen Malereien
in München und Berlin begegnen, fehlt es nicht an einschmeichelnder Eleganz
und Zierlichkeit, an Witz und Pfiffigkeit, dafür aber an Energie und höherem
geistigen Leben. Gussow kann struppige Bauern und traite Mädchen in Lebens-


bis über Innsbruck hinaus ein Defreggercultus Eingang gefunden, der sich seine
Stelle neben dem Cultus der Heiligenbilder, welcher bisher fast ausschließlich
das nicht sehr bedeutende Kunstbedürfniß deckte, erobert hat, und man darf den
glücklichen Zufall preisen, der gerade einen Künstler von so scharf ausgeprägtem
Schönheitsdrcmge und Schönheitsgefühl wie Defregger zum Gegenstande natio¬
naler Verehrung machte. In einem Lande, wo bis dahin der Jesuitenstil in
seiner prunkenden Unwahrheit, in seiner gedankenlosen, aber die Menge berau¬
schenden Prahlsucht alles künstlerische Empfinden beherrscht hat, ist die Ein¬
bürgerung der schlichten Defreggerschen Kunstart doppelt erfreulich. Nicht bloß
in den Städten haben die Schaufenster der Buch- und Kunsthändler den Repro-
ductionen Defreggerscher Bilder eine breite Stelle eingeräumt, die Hausirer
haben Stiche, Photo- und Lithographien bis hinauf in die einsamsten Gebirgs-
dörfer getragen und überall willige und zahlreiche Käufer gefunden. Freilich
berührte Defregger auch zur Zeit, als sich sein Aufenthalt in Bozen seinem
Ende näherte, die Stelle, wo der Tiroler am meisten sterblich ist, das Capitel,
in welches sich die ruhmvollen Erinnerungen seiner historischen Erinnerung zu¬
sammendrängen, den Franzosenkrieg von Anno 1809.

Zum ersten Male seit dem Speckbacherbilde, das seinen Namen bekannt
gemacht hatte, verließ er wieder das Gebiet der Idylle, um sich der Historie
zuzuwenden, wobei er wieder mit richtigem Tact sich auf ein räumlich geringes
Maß beschränkte. Die Forderung, daß ein Historienbild mindestens lebensgroße
Figuren aufweisen müsse, ist ja ein veralteter Schulbegriff, dessen Verkehrtheit
heute nicht mehr der Widerlegung bedarf. Nicht in den räumlichen Dimensionen,
sondern in der charakteristischen Erfassung des Gegenständlichen, in der richtigen
Behandlung des Zeit- und Localcolorits und in der vollkommenen geistigen
Durchdringung des Stoffes ist das Wesen nicht bloß der Historienmalerei, son¬
dern auch jedes anderen Zweiges der Malerei zu suchen. Wir fragen heute:
Steht das gewählte Maß im Verhältniß zur Bedeutung des Gegenstandes?
und, wenn diese Frage eine befriedigende Antwort gefunden hat, fragen wir
weiter: Steht das geistige und technische Können des Malers im richtigen
Verhältniß zu der räumlichen Größe seines Gegenstandes? Cornelius, Rethel,
Schmorr von Carolsfeld vermochten lebens- und überlebensgroße Figuren mit
Geist und Leben zu erfüllen, so lange sie nicht mit der Farbe zu rechnen hatten.
Bei Kaulbach ist das schon zweifelhaft. Von den beiden Hauptseiten seiner
Thätigkeit ist die als Illustrator, als witziger Satiriker die angenehmere. Seinen
Gestalten in großem Maßstabe, wie wir ihnen auf den monumentalen Malereien
in München und Berlin begegnen, fehlt es nicht an einschmeichelnder Eleganz
und Zierlichkeit, an Witz und Pfiffigkeit, dafür aber an Energie und höherem
geistigen Leben. Gussow kann struppige Bauern und traite Mädchen in Lebens-


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[0148] bis über Innsbruck hinaus ein Defreggercultus Eingang gefunden, der sich seine Stelle neben dem Cultus der Heiligenbilder, welcher bisher fast ausschließlich das nicht sehr bedeutende Kunstbedürfniß deckte, erobert hat, und man darf den glücklichen Zufall preisen, der gerade einen Künstler von so scharf ausgeprägtem Schönheitsdrcmge und Schönheitsgefühl wie Defregger zum Gegenstande natio¬ naler Verehrung machte. In einem Lande, wo bis dahin der Jesuitenstil in seiner prunkenden Unwahrheit, in seiner gedankenlosen, aber die Menge berau¬ schenden Prahlsucht alles künstlerische Empfinden beherrscht hat, ist die Ein¬ bürgerung der schlichten Defreggerschen Kunstart doppelt erfreulich. Nicht bloß in den Städten haben die Schaufenster der Buch- und Kunsthändler den Repro- ductionen Defreggerscher Bilder eine breite Stelle eingeräumt, die Hausirer haben Stiche, Photo- und Lithographien bis hinauf in die einsamsten Gebirgs- dörfer getragen und überall willige und zahlreiche Käufer gefunden. Freilich berührte Defregger auch zur Zeit, als sich sein Aufenthalt in Bozen seinem Ende näherte, die Stelle, wo der Tiroler am meisten sterblich ist, das Capitel, in welches sich die ruhmvollen Erinnerungen seiner historischen Erinnerung zu¬ sammendrängen, den Franzosenkrieg von Anno 1809. Zum ersten Male seit dem Speckbacherbilde, das seinen Namen bekannt gemacht hatte, verließ er wieder das Gebiet der Idylle, um sich der Historie zuzuwenden, wobei er wieder mit richtigem Tact sich auf ein räumlich geringes Maß beschränkte. Die Forderung, daß ein Historienbild mindestens lebensgroße Figuren aufweisen müsse, ist ja ein veralteter Schulbegriff, dessen Verkehrtheit heute nicht mehr der Widerlegung bedarf. Nicht in den räumlichen Dimensionen, sondern in der charakteristischen Erfassung des Gegenständlichen, in der richtigen Behandlung des Zeit- und Localcolorits und in der vollkommenen geistigen Durchdringung des Stoffes ist das Wesen nicht bloß der Historienmalerei, son¬ dern auch jedes anderen Zweiges der Malerei zu suchen. Wir fragen heute: Steht das gewählte Maß im Verhältniß zur Bedeutung des Gegenstandes? und, wenn diese Frage eine befriedigende Antwort gefunden hat, fragen wir weiter: Steht das geistige und technische Können des Malers im richtigen Verhältniß zu der räumlichen Größe seines Gegenstandes? Cornelius, Rethel, Schmorr von Carolsfeld vermochten lebens- und überlebensgroße Figuren mit Geist und Leben zu erfüllen, so lange sie nicht mit der Farbe zu rechnen hatten. Bei Kaulbach ist das schon zweifelhaft. Von den beiden Hauptseiten seiner Thätigkeit ist die als Illustrator, als witziger Satiriker die angenehmere. Seinen Gestalten in großem Maßstabe, wie wir ihnen auf den monumentalen Malereien in München und Berlin begegnen, fehlt es nicht an einschmeichelnder Eleganz und Zierlichkeit, an Witz und Pfiffigkeit, dafür aber an Energie und höherem geistigen Leben. Gussow kann struppige Bauern und traite Mädchen in Lebens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/148>, abgerufen am 22.07.2024.