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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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uuangefvchteues Banner angepflanzt hatte, und wo er seither stets unbean¬
standet gewählt worden war. Man ist für Herrn Kiefer bereits ans der Suche
nach einem neuen Wahlkreise. Aber es geht dem Führer der badischen Libe¬
ralen wie dem der preußischen. Wie Herr Laster in Stettin nicht die genü¬
gende Unterstützung gefunden, so hat man hier im 19. badischen Wahlkreise
Herrn Kiefer einstimmig abgelehnt und sich für den früheren Vertreter des
Kreises erklärt. Lio transit Gloria inunäi!

Doch was hier interessirt, ist nicht der Ausfall im einzelnen, sondern das
Gesammtbild, welches sich jetzt bietet. Da zeigt sich denn vor allem die be-
achtenswerthe Erscheinung, daß für Baden, wo es sich seither nur um den
Gegensatz von liberal und ultramontan handelte, plötzlich auch die konservative
Partei zu einem Faktor geworden ist, mit dem man in Zukunft entschieden
wird rechnen müssen. Vom Volke vielfach mit Hoffnung und Freude, an
höchster Stelle, wie es scheint, nicht ganz ohne Sympathie begrüßt, hat die
konservative Bewegung im Laufe der letzten zwei, drei Jahre hier an Ausdeh¬
nung gewonnen, ist an intensiver Kraft gewachsen, und um den ursprünglich
kleinen, aber kräftigen Kern hat sich eine schon recht imposante Partei gruppirt,
die trotz des seitherigen Mangels einer guten Presse doch durch den Einfluß
eiuer geschickten, maßvollen und noblen Führung fortwährend zunimmt und
noch mehr zunehmen wird, nachdem sie in der zweiten Kammer -- was bisher
nicht der Fall war -- Fuß gefaßt hat. Bisher war der "Kulturkampf" das
Paradepferd, welches die liberalen Abgeordneten ihren Wählern bei jeder Ge¬
legenheit vorführten. Je weniger man von eigenen Erfolgen reden konnte und
gegen die ja in der Wolle liberal gefärbte Regierung reden durfte, wenn man
nicht gegen das eigene Prinzip sprechen wollte, je weniger man gegen einen
Ansturm wider die liberale Unfehlbarkeit glaubte reden zu müssen, destomehr
hieb man, obgleich die beiden Konfessionen innerhalb der Bevölkerung hier meist
sehr friedlich zusammenleben, auf die Ultramontanen ein, alles Wählen und
Wühlen ging auf im Kulturkampf. Das hat seine unausbleiblichen Früchte
getragen. Das liberale Regierungsprinzip -- weit entfernt ein freisinniges zu
sein -- ist mit einer Schroffheit, einer Einseitigkeit, einer Härte gegen Anders¬
meinende zum Ausdruck gekommen, wie es in anderen Staaten, in denen man
die Regierungen konservativer Neigungen beschuldigt, unerhört wäre. Das Be-
amtenthum einseitig rekrutirt, das freie Wort in Versammlungen wie in der
Presse verpönt -- so ist der sogenannte Liberalismus hier an sich selbst zu
Grunde gegangen. Man hat sich fort und fort gesagt und sagen lassen, daß
man in einem Musterstaate lebe, in dem Alles vorzüglich sei: vorzüglich das
Beamtenthum, obwohl schon Ludwig Häußer in seinen Denkwürdigkeiten zur
Geschichte der Badischen Revolution darin sehr entgegengesetzter Meinung ist;


uuangefvchteues Banner angepflanzt hatte, und wo er seither stets unbean¬
standet gewählt worden war. Man ist für Herrn Kiefer bereits ans der Suche
nach einem neuen Wahlkreise. Aber es geht dem Führer der badischen Libe¬
ralen wie dem der preußischen. Wie Herr Laster in Stettin nicht die genü¬
gende Unterstützung gefunden, so hat man hier im 19. badischen Wahlkreise
Herrn Kiefer einstimmig abgelehnt und sich für den früheren Vertreter des
Kreises erklärt. Lio transit Gloria inunäi!

Doch was hier interessirt, ist nicht der Ausfall im einzelnen, sondern das
Gesammtbild, welches sich jetzt bietet. Da zeigt sich denn vor allem die be-
achtenswerthe Erscheinung, daß für Baden, wo es sich seither nur um den
Gegensatz von liberal und ultramontan handelte, plötzlich auch die konservative
Partei zu einem Faktor geworden ist, mit dem man in Zukunft entschieden
wird rechnen müssen. Vom Volke vielfach mit Hoffnung und Freude, an
höchster Stelle, wie es scheint, nicht ganz ohne Sympathie begrüßt, hat die
konservative Bewegung im Laufe der letzten zwei, drei Jahre hier an Ausdeh¬
nung gewonnen, ist an intensiver Kraft gewachsen, und um den ursprünglich
kleinen, aber kräftigen Kern hat sich eine schon recht imposante Partei gruppirt,
die trotz des seitherigen Mangels einer guten Presse doch durch den Einfluß
eiuer geschickten, maßvollen und noblen Führung fortwährend zunimmt und
noch mehr zunehmen wird, nachdem sie in der zweiten Kammer — was bisher
nicht der Fall war — Fuß gefaßt hat. Bisher war der „Kulturkampf" das
Paradepferd, welches die liberalen Abgeordneten ihren Wählern bei jeder Ge¬
legenheit vorführten. Je weniger man von eigenen Erfolgen reden konnte und
gegen die ja in der Wolle liberal gefärbte Regierung reden durfte, wenn man
nicht gegen das eigene Prinzip sprechen wollte, je weniger man gegen einen
Ansturm wider die liberale Unfehlbarkeit glaubte reden zu müssen, destomehr
hieb man, obgleich die beiden Konfessionen innerhalb der Bevölkerung hier meist
sehr friedlich zusammenleben, auf die Ultramontanen ein, alles Wählen und
Wühlen ging auf im Kulturkampf. Das hat seine unausbleiblichen Früchte
getragen. Das liberale Regierungsprinzip — weit entfernt ein freisinniges zu
sein — ist mit einer Schroffheit, einer Einseitigkeit, einer Härte gegen Anders¬
meinende zum Ausdruck gekommen, wie es in anderen Staaten, in denen man
die Regierungen konservativer Neigungen beschuldigt, unerhört wäre. Das Be-
amtenthum einseitig rekrutirt, das freie Wort in Versammlungen wie in der
Presse verpönt — so ist der sogenannte Liberalismus hier an sich selbst zu
Grunde gegangen. Man hat sich fort und fort gesagt und sagen lassen, daß
man in einem Musterstaate lebe, in dem Alles vorzüglich sei: vorzüglich das
Beamtenthum, obwohl schon Ludwig Häußer in seinen Denkwürdigkeiten zur
Geschichte der Badischen Revolution darin sehr entgegengesetzter Meinung ist;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/90>, abgerufen am 23.07.2024.