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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Wahlmännerwahl ist eine allgemeine und bericht auf der breitesten Grundlage.
Die Berechtigung für das aktive wie für das passive Wahlrecht knüpft sich
hier nicht, wie bei den preußischen Landtagswahlen, an bestimmte Steuersätze,
sondern allein an politische Rechte, wobei aber, wie uns dünkt mit weiser
Hand, die Grenze wiederum nicht so weit gezogen worden wie bei dem Wahl¬
recht zum deutschen Reichstage. So bieten die Wahlmännerwahlen bei uns
ein sehr treues Bild der politischen Stimmung; sie geben der öffentlichen Mei¬
nung einen klareren und zutreffenderen Ausdruck als die Mafsenabstimmungeu
bei der Reichstagswahl und das Dreiklassensystem bei den Wahlen zum preußi¬
schen Abgeordnetenhause. Daher sind aber auch die Wahlmännerwahlen für
die Stimmung im Lande viel charakteristischer als die Abgeordnetenwahlen,
bei denen ja leicht durch geringe Majoritäten ein früheres Wahlergebniß wieder
erzielt werden kann, obwohl das Parteiverhältniß im Wahlkreise ein durchaus
anderes geworden ist. Das wird sich gerade bei den diesmaligen Wahlen
mehrfach zeigen.

Der Ausfall unsrer Wahlmännerwahlen entspricht in hohem Grade den
Voraussagen, welche in d. Bl. wiederholt gethan worden sind. Während in
einem oder zwei sonst ultramontanen Bezirken die Liberalen einige Erfolge er¬
rungen, haben im allgemeinen die Ultramontanen und die Konservativen einen
so bedeutenden Zuwachs bekommen, daß ihnen dadurch nicht nur 5 oder 6 Sitze
in der Kammer mehr zufallen dürften, sondern daß sie, was noch mehr sagen
will, in einer Reihe von Wahlkreisen festen Fuß gefaßt haben, die ihnen bis¬
her fast ganz verschlossen waren. Noch größer wäre ihr Zuwachs und dadurch
ihr Erfolg gewesen, wenn sie nicht an mehreren Orten die Flinte zu frühzeitig ius
Korn geworfen hätten; so gaben sie in Konstanz, wo sie sich durch den liberalen
Terrorismus abschrecken ließen, und in Karlsruhe, wo sie fürchtete", von den
Gegnern numerisch erdrückt zu werden, die Parole der Wahlenthaltnng aus, ob¬
wohl gerade in den Handwerkerkreisen Karlsruhes die konservative Partei einen
bedeutenden Anhang hat. Wie untaktisch dies gehandelt war, zeigte der Wahl¬
ausgang; die liberalen Wahlmänner wurden in der Metropole des Muster¬
staates des Liberalismus mit 6 -- sage sechs Prozent der Wahlberechtigten
gewählt! Zu wählen waren hier 11 Wahlmänner, wahlberechtigt waren 2732,
davon gaben ihre Stimme ab ca. 160 Wähler! Sehr schwach war die Be¬
theiligung nach den übereinstimmenden Berichten fast in allen liberalen Bezirken,
überboten aber in der Schwäche wurde die Residenz nirgends; die liberale
Partei dankt ihren Sieg also allein der Wahlenthaltnng der Konservativen
und Ultramontanen. Zu den vollständig verlorenen Bezirke" gehört übrigens
der Landkreis Karlsruhe und der Kreis Lahr, dieses Bollwerk, wo der Führer
der badischen nationalliberalen Partei, Oberstaatsanwalt Kiefer, sein bisher


Wahlmännerwahl ist eine allgemeine und bericht auf der breitesten Grundlage.
Die Berechtigung für das aktive wie für das passive Wahlrecht knüpft sich
hier nicht, wie bei den preußischen Landtagswahlen, an bestimmte Steuersätze,
sondern allein an politische Rechte, wobei aber, wie uns dünkt mit weiser
Hand, die Grenze wiederum nicht so weit gezogen worden wie bei dem Wahl¬
recht zum deutschen Reichstage. So bieten die Wahlmännerwahlen bei uns
ein sehr treues Bild der politischen Stimmung; sie geben der öffentlichen Mei¬
nung einen klareren und zutreffenderen Ausdruck als die Mafsenabstimmungeu
bei der Reichstagswahl und das Dreiklassensystem bei den Wahlen zum preußi¬
schen Abgeordnetenhause. Daher sind aber auch die Wahlmännerwahlen für
die Stimmung im Lande viel charakteristischer als die Abgeordnetenwahlen,
bei denen ja leicht durch geringe Majoritäten ein früheres Wahlergebniß wieder
erzielt werden kann, obwohl das Parteiverhältniß im Wahlkreise ein durchaus
anderes geworden ist. Das wird sich gerade bei den diesmaligen Wahlen
mehrfach zeigen.

Der Ausfall unsrer Wahlmännerwahlen entspricht in hohem Grade den
Voraussagen, welche in d. Bl. wiederholt gethan worden sind. Während in
einem oder zwei sonst ultramontanen Bezirken die Liberalen einige Erfolge er¬
rungen, haben im allgemeinen die Ultramontanen und die Konservativen einen
so bedeutenden Zuwachs bekommen, daß ihnen dadurch nicht nur 5 oder 6 Sitze
in der Kammer mehr zufallen dürften, sondern daß sie, was noch mehr sagen
will, in einer Reihe von Wahlkreisen festen Fuß gefaßt haben, die ihnen bis¬
her fast ganz verschlossen waren. Noch größer wäre ihr Zuwachs und dadurch
ihr Erfolg gewesen, wenn sie nicht an mehreren Orten die Flinte zu frühzeitig ius
Korn geworfen hätten; so gaben sie in Konstanz, wo sie sich durch den liberalen
Terrorismus abschrecken ließen, und in Karlsruhe, wo sie fürchtete», von den
Gegnern numerisch erdrückt zu werden, die Parole der Wahlenthaltnng aus, ob¬
wohl gerade in den Handwerkerkreisen Karlsruhes die konservative Partei einen
bedeutenden Anhang hat. Wie untaktisch dies gehandelt war, zeigte der Wahl¬
ausgang; die liberalen Wahlmänner wurden in der Metropole des Muster¬
staates des Liberalismus mit 6 — sage sechs Prozent der Wahlberechtigten
gewählt! Zu wählen waren hier 11 Wahlmänner, wahlberechtigt waren 2732,
davon gaben ihre Stimme ab ca. 160 Wähler! Sehr schwach war die Be¬
theiligung nach den übereinstimmenden Berichten fast in allen liberalen Bezirken,
überboten aber in der Schwäche wurde die Residenz nirgends; die liberale
Partei dankt ihren Sieg also allein der Wahlenthaltnng der Konservativen
und Ultramontanen. Zu den vollständig verlorenen Bezirke» gehört übrigens
der Landkreis Karlsruhe und der Kreis Lahr, dieses Bollwerk, wo der Führer
der badischen nationalliberalen Partei, Oberstaatsanwalt Kiefer, sein bisher


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[0089] Wahlmännerwahl ist eine allgemeine und bericht auf der breitesten Grundlage. Die Berechtigung für das aktive wie für das passive Wahlrecht knüpft sich hier nicht, wie bei den preußischen Landtagswahlen, an bestimmte Steuersätze, sondern allein an politische Rechte, wobei aber, wie uns dünkt mit weiser Hand, die Grenze wiederum nicht so weit gezogen worden wie bei dem Wahl¬ recht zum deutschen Reichstage. So bieten die Wahlmännerwahlen bei uns ein sehr treues Bild der politischen Stimmung; sie geben der öffentlichen Mei¬ nung einen klareren und zutreffenderen Ausdruck als die Mafsenabstimmungeu bei der Reichstagswahl und das Dreiklassensystem bei den Wahlen zum preußi¬ schen Abgeordnetenhause. Daher sind aber auch die Wahlmännerwahlen für die Stimmung im Lande viel charakteristischer als die Abgeordnetenwahlen, bei denen ja leicht durch geringe Majoritäten ein früheres Wahlergebniß wieder erzielt werden kann, obwohl das Parteiverhältniß im Wahlkreise ein durchaus anderes geworden ist. Das wird sich gerade bei den diesmaligen Wahlen mehrfach zeigen. Der Ausfall unsrer Wahlmännerwahlen entspricht in hohem Grade den Voraussagen, welche in d. Bl. wiederholt gethan worden sind. Während in einem oder zwei sonst ultramontanen Bezirken die Liberalen einige Erfolge er¬ rungen, haben im allgemeinen die Ultramontanen und die Konservativen einen so bedeutenden Zuwachs bekommen, daß ihnen dadurch nicht nur 5 oder 6 Sitze in der Kammer mehr zufallen dürften, sondern daß sie, was noch mehr sagen will, in einer Reihe von Wahlkreisen festen Fuß gefaßt haben, die ihnen bis¬ her fast ganz verschlossen waren. Noch größer wäre ihr Zuwachs und dadurch ihr Erfolg gewesen, wenn sie nicht an mehreren Orten die Flinte zu frühzeitig ius Korn geworfen hätten; so gaben sie in Konstanz, wo sie sich durch den liberalen Terrorismus abschrecken ließen, und in Karlsruhe, wo sie fürchtete», von den Gegnern numerisch erdrückt zu werden, die Parole der Wahlenthaltnng aus, ob¬ wohl gerade in den Handwerkerkreisen Karlsruhes die konservative Partei einen bedeutenden Anhang hat. Wie untaktisch dies gehandelt war, zeigte der Wahl¬ ausgang; die liberalen Wahlmänner wurden in der Metropole des Muster¬ staates des Liberalismus mit 6 — sage sechs Prozent der Wahlberechtigten gewählt! Zu wählen waren hier 11 Wahlmänner, wahlberechtigt waren 2732, davon gaben ihre Stimme ab ca. 160 Wähler! Sehr schwach war die Be¬ theiligung nach den übereinstimmenden Berichten fast in allen liberalen Bezirken, überboten aber in der Schwäche wurde die Residenz nirgends; die liberale Partei dankt ihren Sieg also allein der Wahlenthaltnng der Konservativen und Ultramontanen. Zu den vollständig verlorenen Bezirke» gehört übrigens der Landkreis Karlsruhe und der Kreis Lahr, dieses Bollwerk, wo der Führer der badischen nationalliberalen Partei, Oberstaatsanwalt Kiefer, sein bisher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/89>, abgerufen am 03.07.2024.