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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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paritätischen Schule an Wirkung. Eingeschränkt im Lehrplane, auf die letzten
Stunden verlegt, mit geschichtlichem Unterricht und gefänglichen Uebungen, die
im Interesse der Kirche unentbehrlich seien, beschwert, vielfach nicht von den
Klassenlehrern, sondern von einem weniger wirksamen Nebenlehrer und zwar
in kombinirten Klassen, ertheilt, vermöge er nicht die wünschenswerthen Erfolge
zu erzielen. Vor allem aber sei es bedenklich, daß die Religion aufgehört habe,
die Basis für das ganze Leben der Schule zu sein, daß sie nur als Unter-
richtsgegenstand behandelt werde. In Folge dessen finde der Choralgesang nicht
in gebührendem Maße Berücksichtigung, in dem auf Lebensbilder angewiesenen
geschichtlichen Unterricht könnten gerade die gehaltvollsten heimatlichen und vater¬
ländischen Erinnerungen nicht in der erwünschten Vollständigkeit und Wärme
zur Darstellung kommen, die an idealem Gehalt reichsten Blätter der Geschichte
würden übergangen oder farblos gemacht. Insbesondere auf die Lesebücher,
welche für die Volksschule alles für Geist und Gemüth der Kinder Anregende
ans der idealen und realen Welt zusammenzufassen hätten, übe die Rücksicht
auf die simultanen Schulen eine weit über diese hinausreichende schädliche
Wirkung, indem auch in evangelischen Schulen Lesebücher eingeführt würden,
welche geflissentlich die Person Luthers, die Reformation und die Lebenszeng-
nisse aus der evangelischen Kirche mit völligem Stillschweigen übergehen. Das
Schulgebet und die Schulandacht werde erschwert und durch die zahlreichen katholi¬
schen Feiertage die Schulzeit für die evangelischen Kinder verkürzt. Für die
Lehrer würden die Schwierigkeiten, den kollegialischer Frieden zu erhalten, ge¬
steigert. Ferner sei in Erwägung zu ziehen, daß, da die Persönlichkeit der
Lehrer einen viel größeren Einfluß auf die Schüler übe als Lehrmittel und
Lehrpläne, den Simultanschulen, bez. den einzelnen Klassen derselben, doch ein
konfessioneller Charakter, aber ohne die Vorzüge eines solchen, aufgeprägt
werde. Darunter leide die evangelische Kirche am meisten, weil für sie die
Volksschule, besonders in der Diaspora, das wirksamste Mittel sei, die Bevöl¬
kerung dauernd mit der Kirche in Verbindung zu erhalten. Sie verfüge nicht
über die Mittel, welche der katholischen Kirche der Beichtstuhl und zwingende
Disciplin gewährt, daher könne sie die moralische und geistige Einwirkung auf
die Jugend durch die Schule uicht entbehren. Wenn daher immer paritätische
Schulen ihre Nachtheile der Minderheit am empfindlichsten fühlbar machen,
so sei dies bei den Schulen mit einer Minderheit evangelischer Kinder in ge¬
steigertem Maße der Fall.

Ein zweiter Gegenstand, der vom Oberkirchenrathe berührt wird, betrifft
die Veränderung in Folge des Schulaufsichtsgesetzes. Die Lage der Geistlichen
ist durch dasselbe eine schwierige geworden. Die Stellung als Kreisschulinspek¬
toren, die bis dahin mit der Superintendentur verbunden war, scheint völlig


paritätischen Schule an Wirkung. Eingeschränkt im Lehrplane, auf die letzten
Stunden verlegt, mit geschichtlichem Unterricht und gefänglichen Uebungen, die
im Interesse der Kirche unentbehrlich seien, beschwert, vielfach nicht von den
Klassenlehrern, sondern von einem weniger wirksamen Nebenlehrer und zwar
in kombinirten Klassen, ertheilt, vermöge er nicht die wünschenswerthen Erfolge
zu erzielen. Vor allem aber sei es bedenklich, daß die Religion aufgehört habe,
die Basis für das ganze Leben der Schule zu sein, daß sie nur als Unter-
richtsgegenstand behandelt werde. In Folge dessen finde der Choralgesang nicht
in gebührendem Maße Berücksichtigung, in dem auf Lebensbilder angewiesenen
geschichtlichen Unterricht könnten gerade die gehaltvollsten heimatlichen und vater¬
ländischen Erinnerungen nicht in der erwünschten Vollständigkeit und Wärme
zur Darstellung kommen, die an idealem Gehalt reichsten Blätter der Geschichte
würden übergangen oder farblos gemacht. Insbesondere auf die Lesebücher,
welche für die Volksschule alles für Geist und Gemüth der Kinder Anregende
ans der idealen und realen Welt zusammenzufassen hätten, übe die Rücksicht
auf die simultanen Schulen eine weit über diese hinausreichende schädliche
Wirkung, indem auch in evangelischen Schulen Lesebücher eingeführt würden,
welche geflissentlich die Person Luthers, die Reformation und die Lebenszeng-
nisse aus der evangelischen Kirche mit völligem Stillschweigen übergehen. Das
Schulgebet und die Schulandacht werde erschwert und durch die zahlreichen katholi¬
schen Feiertage die Schulzeit für die evangelischen Kinder verkürzt. Für die
Lehrer würden die Schwierigkeiten, den kollegialischer Frieden zu erhalten, ge¬
steigert. Ferner sei in Erwägung zu ziehen, daß, da die Persönlichkeit der
Lehrer einen viel größeren Einfluß auf die Schüler übe als Lehrmittel und
Lehrpläne, den Simultanschulen, bez. den einzelnen Klassen derselben, doch ein
konfessioneller Charakter, aber ohne die Vorzüge eines solchen, aufgeprägt
werde. Darunter leide die evangelische Kirche am meisten, weil für sie die
Volksschule, besonders in der Diaspora, das wirksamste Mittel sei, die Bevöl¬
kerung dauernd mit der Kirche in Verbindung zu erhalten. Sie verfüge nicht
über die Mittel, welche der katholischen Kirche der Beichtstuhl und zwingende
Disciplin gewährt, daher könne sie die moralische und geistige Einwirkung auf
die Jugend durch die Schule uicht entbehren. Wenn daher immer paritätische
Schulen ihre Nachtheile der Minderheit am empfindlichsten fühlbar machen,
so sei dies bei den Schulen mit einer Minderheit evangelischer Kinder in ge¬
steigertem Maße der Fall.

Ein zweiter Gegenstand, der vom Oberkirchenrathe berührt wird, betrifft
die Veränderung in Folge des Schulaufsichtsgesetzes. Die Lage der Geistlichen
ist durch dasselbe eine schwierige geworden. Die Stellung als Kreisschulinspek¬
toren, die bis dahin mit der Superintendentur verbunden war, scheint völlig


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[0527] paritätischen Schule an Wirkung. Eingeschränkt im Lehrplane, auf die letzten Stunden verlegt, mit geschichtlichem Unterricht und gefänglichen Uebungen, die im Interesse der Kirche unentbehrlich seien, beschwert, vielfach nicht von den Klassenlehrern, sondern von einem weniger wirksamen Nebenlehrer und zwar in kombinirten Klassen, ertheilt, vermöge er nicht die wünschenswerthen Erfolge zu erzielen. Vor allem aber sei es bedenklich, daß die Religion aufgehört habe, die Basis für das ganze Leben der Schule zu sein, daß sie nur als Unter- richtsgegenstand behandelt werde. In Folge dessen finde der Choralgesang nicht in gebührendem Maße Berücksichtigung, in dem auf Lebensbilder angewiesenen geschichtlichen Unterricht könnten gerade die gehaltvollsten heimatlichen und vater¬ ländischen Erinnerungen nicht in der erwünschten Vollständigkeit und Wärme zur Darstellung kommen, die an idealem Gehalt reichsten Blätter der Geschichte würden übergangen oder farblos gemacht. Insbesondere auf die Lesebücher, welche für die Volksschule alles für Geist und Gemüth der Kinder Anregende ans der idealen und realen Welt zusammenzufassen hätten, übe die Rücksicht auf die simultanen Schulen eine weit über diese hinausreichende schädliche Wirkung, indem auch in evangelischen Schulen Lesebücher eingeführt würden, welche geflissentlich die Person Luthers, die Reformation und die Lebenszeng- nisse aus der evangelischen Kirche mit völligem Stillschweigen übergehen. Das Schulgebet und die Schulandacht werde erschwert und durch die zahlreichen katholi¬ schen Feiertage die Schulzeit für die evangelischen Kinder verkürzt. Für die Lehrer würden die Schwierigkeiten, den kollegialischer Frieden zu erhalten, ge¬ steigert. Ferner sei in Erwägung zu ziehen, daß, da die Persönlichkeit der Lehrer einen viel größeren Einfluß auf die Schüler übe als Lehrmittel und Lehrpläne, den Simultanschulen, bez. den einzelnen Klassen derselben, doch ein konfessioneller Charakter, aber ohne die Vorzüge eines solchen, aufgeprägt werde. Darunter leide die evangelische Kirche am meisten, weil für sie die Volksschule, besonders in der Diaspora, das wirksamste Mittel sei, die Bevöl¬ kerung dauernd mit der Kirche in Verbindung zu erhalten. Sie verfüge nicht über die Mittel, welche der katholischen Kirche der Beichtstuhl und zwingende Disciplin gewährt, daher könne sie die moralische und geistige Einwirkung auf die Jugend durch die Schule uicht entbehren. Wenn daher immer paritätische Schulen ihre Nachtheile der Minderheit am empfindlichsten fühlbar machen, so sei dies bei den Schulen mit einer Minderheit evangelischer Kinder in ge¬ steigertem Maße der Fall. Ein zweiter Gegenstand, der vom Oberkirchenrathe berührt wird, betrifft die Veränderung in Folge des Schulaufsichtsgesetzes. Die Lage der Geistlichen ist durch dasselbe eine schwierige geworden. Die Stellung als Kreisschulinspek¬ toren, die bis dahin mit der Superintendentur verbunden war, scheint völlig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/527>, abgerufen am 03.07.2024.