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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Daß das Buch aber bleibenden Werth hat, wird buchhändlerisch dadurch be¬
wiesen, daß noch jetzt, nach Verlauf eines Jahres, jede Woche vergleichsweise
zahlreiche Baarbestellungen auf dasselbe eingehen. Die Mehrzahl der deutschen
Zeitungen hat es verdammt, das Publikum hat dieses Verdikt praktisch für
ungerecht erklärt, jene Zeitungen waren, wie oft schon, wieder einmal nicht die
öffentliche Meinung, nicht die Macht, die sie zu sein sich einbilden -- duvet
org,t äsraonstrkmcluin.




Literatur.

Die Frciu im Talmud. Eine Skizze von I. Stern, Rabbiner in Buttmhcmsen
in Württemberg. Zürich, Verlcigsmcigcizm, 1879.

Die Frau im Talmud ist in den letzten zwanzig Jahren öfter Gegenstand
literarischer Behandlung gewesen; wir nennen nur die Namen M. Güdemann,
A. Jellinek und I. Hamburger (vergl. in dessen Realencyklopädie den Artikel:
Weib). Auch der Unterzeichnete hat in seinem Buche: "Jesus in seiner Sellung
zu den Frauen" das Weib im Judenthume nach Werthschätzung, Stellung und
Beruf während der biblischen und mischnisch-talmudischen Epoche in einem
Kapitel beleuchtet. An diese Arbeiten reiht sich die vorliegende kleine Schrift,
die, wenn sie auch kein wesentlich neues Material beibringt, doch das vorhan¬
dene in so origineller Behandlung vorführt, daß selbst die bekanntesten
talmudischen Aussprüche, Anekdoten und Erzählungen ein neues Kolorit zu
gewinnen scheinen.

Der Talmud weiß nichts von jener Geringschätzung des Weibes, welche
der Orient gegen dasselbe bis heute an den Tag legt, er weiß aber auch nichts
von jener Erotik, jener sinnlich schwärmerischen Gluth der Romantik im Mittel¬
alter, welche das Weib zur Halbgöttin machte; aber seine Aussprüche und Er¬
zählungen bekunden einen hohen Grad ethischer Kultur, indem sie die sittliche
Macht und Bedeutung des Weibes würdigen. Wer keine Frau heimführt, sagt
der Talmud, verdient nicht den schönen Namen Mensch, oder: Der Unverehe¬
lichte lebt ohne Freude, ohne Segen, ohne Glück, oder: Anmuth ist trüglich,
Schönheit vergänglich, ein gottesfürchtig Weib allein ist rühmenswerth. Obgleich
der Ehestand seine Sorgen hat, so soll doch der Mann seine Verehelichung nicht
zu weit hinausschieben. Ein Talmudlehrer pflegte zu sagen: Daß ich meine
Genossen an Gelehrsamkeit überholt habe, verdanke ich dem Umstand, daß ich
schon mit 16 Jahren mich verheirathete, Dem Vater liegt die Pflicht ob, seine
Töchter sobald als möglich zu verheirathen. Wenn deine Tochter mannbar ist,
lautet ein Lehrspruch, so schenke einem deiner Sklaven die Freiheit und periode
ihn mit ihr. Dagegen galt es als eine Entweihung, seine Tochter mit einem
alten Mann zu vermählen. Der Polygamie waren die Rabbinen abhold,
obgleich das talmudische Gesetz sie für zulässig erachtet. Sehr feierlich wurde
die Hochzeit begangen. Es war gradezu Gebot, an den Hvchzeitssreuden Theil
zu nehmen und zu ihrer Erhöhung das seinige beizutragen. Von Agrippa I.
geht die Sage, daß er oft in Person sich Brautzügen angeschlossen habe. An


Daß das Buch aber bleibenden Werth hat, wird buchhändlerisch dadurch be¬
wiesen, daß noch jetzt, nach Verlauf eines Jahres, jede Woche vergleichsweise
zahlreiche Baarbestellungen auf dasselbe eingehen. Die Mehrzahl der deutschen
Zeitungen hat es verdammt, das Publikum hat dieses Verdikt praktisch für
ungerecht erklärt, jene Zeitungen waren, wie oft schon, wieder einmal nicht die
öffentliche Meinung, nicht die Macht, die sie zu sein sich einbilden — duvet
org,t äsraonstrkmcluin.




Literatur.

Die Frciu im Talmud. Eine Skizze von I. Stern, Rabbiner in Buttmhcmsen
in Württemberg. Zürich, Verlcigsmcigcizm, 1879.

Die Frau im Talmud ist in den letzten zwanzig Jahren öfter Gegenstand
literarischer Behandlung gewesen; wir nennen nur die Namen M. Güdemann,
A. Jellinek und I. Hamburger (vergl. in dessen Realencyklopädie den Artikel:
Weib). Auch der Unterzeichnete hat in seinem Buche: „Jesus in seiner Sellung
zu den Frauen" das Weib im Judenthume nach Werthschätzung, Stellung und
Beruf während der biblischen und mischnisch-talmudischen Epoche in einem
Kapitel beleuchtet. An diese Arbeiten reiht sich die vorliegende kleine Schrift,
die, wenn sie auch kein wesentlich neues Material beibringt, doch das vorhan¬
dene in so origineller Behandlung vorführt, daß selbst die bekanntesten
talmudischen Aussprüche, Anekdoten und Erzählungen ein neues Kolorit zu
gewinnen scheinen.

Der Talmud weiß nichts von jener Geringschätzung des Weibes, welche
der Orient gegen dasselbe bis heute an den Tag legt, er weiß aber auch nichts
von jener Erotik, jener sinnlich schwärmerischen Gluth der Romantik im Mittel¬
alter, welche das Weib zur Halbgöttin machte; aber seine Aussprüche und Er¬
zählungen bekunden einen hohen Grad ethischer Kultur, indem sie die sittliche
Macht und Bedeutung des Weibes würdigen. Wer keine Frau heimführt, sagt
der Talmud, verdient nicht den schönen Namen Mensch, oder: Der Unverehe¬
lichte lebt ohne Freude, ohne Segen, ohne Glück, oder: Anmuth ist trüglich,
Schönheit vergänglich, ein gottesfürchtig Weib allein ist rühmenswerth. Obgleich
der Ehestand seine Sorgen hat, so soll doch der Mann seine Verehelichung nicht
zu weit hinausschieben. Ein Talmudlehrer pflegte zu sagen: Daß ich meine
Genossen an Gelehrsamkeit überholt habe, verdanke ich dem Umstand, daß ich
schon mit 16 Jahren mich verheirathete, Dem Vater liegt die Pflicht ob, seine
Töchter sobald als möglich zu verheirathen. Wenn deine Tochter mannbar ist,
lautet ein Lehrspruch, so schenke einem deiner Sklaven die Freiheit und periode
ihn mit ihr. Dagegen galt es als eine Entweihung, seine Tochter mit einem
alten Mann zu vermählen. Der Polygamie waren die Rabbinen abhold,
obgleich das talmudische Gesetz sie für zulässig erachtet. Sehr feierlich wurde
die Hochzeit begangen. Es war gradezu Gebot, an den Hvchzeitssreuden Theil
zu nehmen und zu ihrer Erhöhung das seinige beizutragen. Von Agrippa I.
geht die Sage, daß er oft in Person sich Brautzügen angeschlossen habe. An


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/523>, abgerufen am 03.07.2024.