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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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zwei Tagen im Jahre fanden Verlobungen statt. Die jungen heiratsfähigen
Mädchen zogen da in weißen Kleidern hinaus in die Weinberge und tanzten
und riefen den jungen Burschen zu: Seht nicht auf Schönheit, seht nicht auf
Reichthum, sondern seht auf die Familie! Der eigentliche Akt der Verlobung
geschah entweder durch ein Geldstück, welches dem Mädchen in Gegenwart zweier
Zeugen in die Hand gegeben wurde, oder durch eine besondre Verlobungsakte,
unter welche drei Zeugen ihre Siegel drückten. Als Morgengabe erhielt die
Braut von ihren Eltern nur die zu ihrem Schmucke und ihren persönlichen
Bedürfnissen erforderlichen Dinge; die eigentliche Aussteuer oder Mitgift gab
der Ehegatte. Eine Frau des Geldes wegen zu heirathen, hat uach der Ver¬
sicherung eines Rabbi ungerathene Kinder im Gefolge. Als eine wesentliche
Grundlage ehelichen Glückes galt der Friede zwischen den Ehegatten, daher
wurde auch die erste Eheschließung als besonders glückverheißend betrachtet.
Für alles gibt es Ersatz, nur nicht für die Jugendgattin, oder: Nur bei der
ersten Frau findet der Mann die rechten Freuden des Ehestandes, oder: Wenn
dem Manne die erste Frau stirbt, so ist es, als ob der Tempel in seinen
Tagen zerstört worden wäre -- das sind Aussprüche, aus denen die Werth¬
schätzung der ersten Frau hervorgeht. Ueberaus zärtlich lauten die Sprüche
über die Behandlung der Frau. Wer seine Frau liebt wie sich selbst und sie
ehrt mehr als sich selbst, seine Söhne und Töchter den geraden Weg führt
und sie bald verheirathet, an dem bewährt sich das Wort: Du darfst gewiß
sein, daß Frieden in deinem Zelte weilt, und wenn du deine Wohnung musterst,
wirst dn nichts missen. Ehret die Frauen, das wird euch wohlhabend machen.
Der Mensch esse und trinke unter seinem Vermögen, kleide sich nach seinem Ver¬
mögen und ehre seine Frau über sein Vermögen. Die Frau besitzt aber auch
Vorzüge vor dem Manne. So heißt es: Die Fran versteht sich auf Gastfreund¬
schaft besser als der Manu, oder: In vielen Dingen hat Gott die Frau mit
feinerem Verstände begabt als den Mann. Trotzdem soll das Weib aus seiner
Sphäre nicht heraustreten und sich mit Dingen beschäftigen, die nicht vor
sein Forum gehören. Insbesondere wird es getadelt, wenn Frauen gelehrte
Studien treiben. Der Frauen Weisheit ist ain Spinnrocken, ruft ein Rabbi
einer Frau zu, die eine spitzfindige Frage an ihn richtete. Hinsichtlich der Be¬
stimmungen über die Ehescheidung gehen die Ansichten der Talmudlehrer aus¬
einander, manche räumen dem Manne das Recht ein, sich schon aus gering¬
fügigen Anlässen von der Frau scheiden zu lassen, andere sagen: Wer sich von
seiner Frau scheidet, über den vergießt der Altar Thränen.


A. W.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Vortag von F- L- Herbig in Leipzig. -- Druck von Hnthel K Herrmann in Leipzig.

zwei Tagen im Jahre fanden Verlobungen statt. Die jungen heiratsfähigen
Mädchen zogen da in weißen Kleidern hinaus in die Weinberge und tanzten
und riefen den jungen Burschen zu: Seht nicht auf Schönheit, seht nicht auf
Reichthum, sondern seht auf die Familie! Der eigentliche Akt der Verlobung
geschah entweder durch ein Geldstück, welches dem Mädchen in Gegenwart zweier
Zeugen in die Hand gegeben wurde, oder durch eine besondre Verlobungsakte,
unter welche drei Zeugen ihre Siegel drückten. Als Morgengabe erhielt die
Braut von ihren Eltern nur die zu ihrem Schmucke und ihren persönlichen
Bedürfnissen erforderlichen Dinge; die eigentliche Aussteuer oder Mitgift gab
der Ehegatte. Eine Frau des Geldes wegen zu heirathen, hat uach der Ver¬
sicherung eines Rabbi ungerathene Kinder im Gefolge. Als eine wesentliche
Grundlage ehelichen Glückes galt der Friede zwischen den Ehegatten, daher
wurde auch die erste Eheschließung als besonders glückverheißend betrachtet.
Für alles gibt es Ersatz, nur nicht für die Jugendgattin, oder: Nur bei der
ersten Frau findet der Mann die rechten Freuden des Ehestandes, oder: Wenn
dem Manne die erste Frau stirbt, so ist es, als ob der Tempel in seinen
Tagen zerstört worden wäre — das sind Aussprüche, aus denen die Werth¬
schätzung der ersten Frau hervorgeht. Ueberaus zärtlich lauten die Sprüche
über die Behandlung der Frau. Wer seine Frau liebt wie sich selbst und sie
ehrt mehr als sich selbst, seine Söhne und Töchter den geraden Weg führt
und sie bald verheirathet, an dem bewährt sich das Wort: Du darfst gewiß
sein, daß Frieden in deinem Zelte weilt, und wenn du deine Wohnung musterst,
wirst dn nichts missen. Ehret die Frauen, das wird euch wohlhabend machen.
Der Mensch esse und trinke unter seinem Vermögen, kleide sich nach seinem Ver¬
mögen und ehre seine Frau über sein Vermögen. Die Frau besitzt aber auch
Vorzüge vor dem Manne. So heißt es: Die Fran versteht sich auf Gastfreund¬
schaft besser als der Manu, oder: In vielen Dingen hat Gott die Frau mit
feinerem Verstände begabt als den Mann. Trotzdem soll das Weib aus seiner
Sphäre nicht heraustreten und sich mit Dingen beschäftigen, die nicht vor
sein Forum gehören. Insbesondere wird es getadelt, wenn Frauen gelehrte
Studien treiben. Der Frauen Weisheit ist ain Spinnrocken, ruft ein Rabbi
einer Frau zu, die eine spitzfindige Frage an ihn richtete. Hinsichtlich der Be¬
stimmungen über die Ehescheidung gehen die Ansichten der Talmudlehrer aus¬
einander, manche räumen dem Manne das Recht ein, sich schon aus gering¬
fügigen Anlässen von der Frau scheiden zu lassen, andere sagen: Wer sich von
seiner Frau scheidet, über den vergießt der Altar Thränen.


A. W.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Vortag von F- L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hnthel K Herrmann in Leipzig.
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[0524] zwei Tagen im Jahre fanden Verlobungen statt. Die jungen heiratsfähigen Mädchen zogen da in weißen Kleidern hinaus in die Weinberge und tanzten und riefen den jungen Burschen zu: Seht nicht auf Schönheit, seht nicht auf Reichthum, sondern seht auf die Familie! Der eigentliche Akt der Verlobung geschah entweder durch ein Geldstück, welches dem Mädchen in Gegenwart zweier Zeugen in die Hand gegeben wurde, oder durch eine besondre Verlobungsakte, unter welche drei Zeugen ihre Siegel drückten. Als Morgengabe erhielt die Braut von ihren Eltern nur die zu ihrem Schmucke und ihren persönlichen Bedürfnissen erforderlichen Dinge; die eigentliche Aussteuer oder Mitgift gab der Ehegatte. Eine Frau des Geldes wegen zu heirathen, hat uach der Ver¬ sicherung eines Rabbi ungerathene Kinder im Gefolge. Als eine wesentliche Grundlage ehelichen Glückes galt der Friede zwischen den Ehegatten, daher wurde auch die erste Eheschließung als besonders glückverheißend betrachtet. Für alles gibt es Ersatz, nur nicht für die Jugendgattin, oder: Nur bei der ersten Frau findet der Mann die rechten Freuden des Ehestandes, oder: Wenn dem Manne die erste Frau stirbt, so ist es, als ob der Tempel in seinen Tagen zerstört worden wäre — das sind Aussprüche, aus denen die Werth¬ schätzung der ersten Frau hervorgeht. Ueberaus zärtlich lauten die Sprüche über die Behandlung der Frau. Wer seine Frau liebt wie sich selbst und sie ehrt mehr als sich selbst, seine Söhne und Töchter den geraden Weg führt und sie bald verheirathet, an dem bewährt sich das Wort: Du darfst gewiß sein, daß Frieden in deinem Zelte weilt, und wenn du deine Wohnung musterst, wirst dn nichts missen. Ehret die Frauen, das wird euch wohlhabend machen. Der Mensch esse und trinke unter seinem Vermögen, kleide sich nach seinem Ver¬ mögen und ehre seine Frau über sein Vermögen. Die Frau besitzt aber auch Vorzüge vor dem Manne. So heißt es: Die Fran versteht sich auf Gastfreund¬ schaft besser als der Manu, oder: In vielen Dingen hat Gott die Frau mit feinerem Verstände begabt als den Mann. Trotzdem soll das Weib aus seiner Sphäre nicht heraustreten und sich mit Dingen beschäftigen, die nicht vor sein Forum gehören. Insbesondere wird es getadelt, wenn Frauen gelehrte Studien treiben. Der Frauen Weisheit ist ain Spinnrocken, ruft ein Rabbi einer Frau zu, die eine spitzfindige Frage an ihn richtete. Hinsichtlich der Be¬ stimmungen über die Ehescheidung gehen die Ansichten der Talmudlehrer aus¬ einander, manche räumen dem Manne das Recht ein, sich schon aus gering¬ fügigen Anlässen von der Frau scheiden zu lassen, andere sagen: Wer sich von seiner Frau scheidet, über den vergießt der Altar Thränen. A. W. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Vortag von F- L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hnthel K Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/524>, abgerufen am 03.07.2024.