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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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und deshalb ihn nach Paris eingeladen. In Begleitung Wessenbergs reiste er
dahin ab, aber der Gang der Kirchenversammlung benahm ihm bald jede Aus¬
sicht. Als er in der Adreßdebatte am 27. Juni den Antrag stellte, es möge
in der Adresse auch der deutschen Kirchenverhältnisse gedacht werden, drang
er damit nicht durch, und da die Mehrheit der Prälaten, der kaiserlichen Vor¬
lage entgegen, auf Verständigung mit dem Papste drang, so ward das Concil
schon am 10. Juli kurzer Hand aufgelöst. Doch faßte dies Dalberg als kein
ernstes Hinderniß für seine eignen Pläne auf. Er hoffte nach wie vor auf
eine Verständigung zwischen Kaiser und Papst und meinte für das rheinbün¬
dische Deutschland uach Analogie der französischen Verhältnisse 15 Bisthümer
entstehen zu sehen, und zwar in Anlehnung an die Einzelstaaten, derart, daß
die bairische Regierung einen Erzbischof und vier Bischöfe, die würtenbergische
einen Erzbischof und drei Bischöfe ernenne, ja er glaubte schon des Einver¬
ständnisses dieser Staaten sicher zu sein.

Doch schon nahte der furchtbare Krieg heran, welcher alle die Schöpfungen,
um deren Ausbau Dalberg sich mühte, in Trümmer schlagen sollte. Auch sein
Staat hatte sür den russischen Feldzug ungeheure Opfer zu bringen. Von den
nach Spanien gesandten Truppen waren nur elende Trümmer zurückgekehrt.
Trotzdem mußten im Februar 1812 wieder 1800 Mann gegen Rußland ins
Feld gestellt werden, denen später noch 300 Mann folgten. Von ihnen allen
kehrten, obwohl sie überhaupt nur bis Wilna gelangten, ans Rußland nach
Danzig 240 Mann, nach Frankfurt schließlich nur 60 Mann zurück. Dazu
legten sich die Lasten kolossaler Durchmärsche auf das Land, durch welches ja
eine Hauptetappeustraße nach dem Osten führte. Die durch alles dies und
durch das gewaltthätig neuernde, von Frankreich willenlos abhängige Regiment
des Großherzogs erregte Stimmung äußerte sich damals unter anderem auch
in der bitterbösen Satire eines Franzosen, du Temple, der unter der Maske
einer Begleichung zwischen Perikles und Dalberg die Schwächen seiner Regie¬
rung schonungslos verspottete. Die Polizei hatte den Sinn des ganzen Opus
freilich zunächst nicht verstanden und ließ es deshalb volle drei Wochen unbe¬
anstandet circuliren, bis sie zu ihrer Beschämung -- natürlich zu spät -- da¬
hinterkam und dem Verfasser den Laufpaß gab. Bedenklicher waren offene
Revolten im Fuldaischen während des August. Zugleich richtete der Muni-
zipal- und Departementalrath von Frankfurt energische Beschwerden über sein
ganzes Regierungssystem an den Großherzog. Dieser nahm die Deputation
sehr ungnädig auf und drohte eventuell die französische Hilfe anrufen zu wollen
(16. August).

So kam der unheimliche Winter 1812--13. Das französische Heer war
vernichtet, im Norden trieb Alles zur Erhebung. Auch im Großherzogthum


und deshalb ihn nach Paris eingeladen. In Begleitung Wessenbergs reiste er
dahin ab, aber der Gang der Kirchenversammlung benahm ihm bald jede Aus¬
sicht. Als er in der Adreßdebatte am 27. Juni den Antrag stellte, es möge
in der Adresse auch der deutschen Kirchenverhältnisse gedacht werden, drang
er damit nicht durch, und da die Mehrheit der Prälaten, der kaiserlichen Vor¬
lage entgegen, auf Verständigung mit dem Papste drang, so ward das Concil
schon am 10. Juli kurzer Hand aufgelöst. Doch faßte dies Dalberg als kein
ernstes Hinderniß für seine eignen Pläne auf. Er hoffte nach wie vor auf
eine Verständigung zwischen Kaiser und Papst und meinte für das rheinbün¬
dische Deutschland uach Analogie der französischen Verhältnisse 15 Bisthümer
entstehen zu sehen, und zwar in Anlehnung an die Einzelstaaten, derart, daß
die bairische Regierung einen Erzbischof und vier Bischöfe, die würtenbergische
einen Erzbischof und drei Bischöfe ernenne, ja er glaubte schon des Einver¬
ständnisses dieser Staaten sicher zu sein.

Doch schon nahte der furchtbare Krieg heran, welcher alle die Schöpfungen,
um deren Ausbau Dalberg sich mühte, in Trümmer schlagen sollte. Auch sein
Staat hatte sür den russischen Feldzug ungeheure Opfer zu bringen. Von den
nach Spanien gesandten Truppen waren nur elende Trümmer zurückgekehrt.
Trotzdem mußten im Februar 1812 wieder 1800 Mann gegen Rußland ins
Feld gestellt werden, denen später noch 300 Mann folgten. Von ihnen allen
kehrten, obwohl sie überhaupt nur bis Wilna gelangten, ans Rußland nach
Danzig 240 Mann, nach Frankfurt schließlich nur 60 Mann zurück. Dazu
legten sich die Lasten kolossaler Durchmärsche auf das Land, durch welches ja
eine Hauptetappeustraße nach dem Osten führte. Die durch alles dies und
durch das gewaltthätig neuernde, von Frankreich willenlos abhängige Regiment
des Großherzogs erregte Stimmung äußerte sich damals unter anderem auch
in der bitterbösen Satire eines Franzosen, du Temple, der unter der Maske
einer Begleichung zwischen Perikles und Dalberg die Schwächen seiner Regie¬
rung schonungslos verspottete. Die Polizei hatte den Sinn des ganzen Opus
freilich zunächst nicht verstanden und ließ es deshalb volle drei Wochen unbe¬
anstandet circuliren, bis sie zu ihrer Beschämung — natürlich zu spät — da¬
hinterkam und dem Verfasser den Laufpaß gab. Bedenklicher waren offene
Revolten im Fuldaischen während des August. Zugleich richtete der Muni-
zipal- und Departementalrath von Frankfurt energische Beschwerden über sein
ganzes Regierungssystem an den Großherzog. Dieser nahm die Deputation
sehr ungnädig auf und drohte eventuell die französische Hilfe anrufen zu wollen
(16. August).

So kam der unheimliche Winter 1812—13. Das französische Heer war
vernichtet, im Norden trieb Alles zur Erhebung. Auch im Großherzogthum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/496>, abgerufen am 27.08.2024.