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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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über Frankfurt den Sequester auf alle englischen Kolonial- und Manufaktur¬
waaren (14. Oktober). Am 22. Oktober fanden die Frankfurter dies neue
Dekret angeschlagen; zugleich verfügte General Friant, der Kommandant der
französischen Besatzung von Frankfurt, die Angabe aller Waaren dieser Art
binnen 24 Stunden, bedrohte das Unterlassen derselben oder Unrichtigkeiten in
der Anzeige mit Konfiskation und andern schweren Strafen, ließ die Thore,
Straßen und Plätze der Stadt militärisch besetzen und verhinderte jede Waaren¬
bewegung. Am Abend kamen zu weiterer Untersuchung etwa 20 französische
Douaniers von Mainz an. Eine Verwendung Dalbergs, der eben in Aschaffen¬
burg sich aufhielt, blieb natürlich ohne jeden Erfolg, und jetzt scheint endlich
in der Seele des unglücklichen Mannes die Erkenntniß, wohin er getrieben
worden, mit blitzähnlicher Deutlichkeit erwacht zu sein. "Ja, ja, wer das Ver¬
kehrte berichtigen könnte," sagte er zu dem ihm aufrichtig ergebenen Kammer¬
rath Leonhardt, der ihm die Nachricht gebracht hatte, "Zufallspiele umkehren
zu Vernunftspielen, aber der böse Geist der Gewalt hält die Welt umstrickt,
und -- lieber Freund, wen der Teufel in den Klauen hat --" damit brach
er ab und eilte hinaus. -- Inzwischen gingen in der geängsteten Stadt die
Deklarationen bis zu einem Gesammtwerthe von 20 Mill. Fras., massenhafte
Konfiskationen folgten, aller Verkehr stockte. Erst als auf gemeinsame Verab¬
redung vom 1. November an von sämmtlichen Frankfurter Häusern alle Wechsel
Protestirt wurden und in Folge dessen in zahlreichen französischen Städten
Bankerotte ausbrachen, hob Napoleon am 6. November den Sequester auf und
vertheilte die geforderte Abgabe auf drei Termine, aber alle gewebten engli¬
schen Waaren, welche man confiscire hatte, wurden mehrere Tage hinterein¬
ander auf offenem Platze in einem Truppenkarre unter den Klängen kriege¬
rischer Musik verbrannt. Das Empörendste bei alledem war, daß der ganze
Ertrag der Steuern und Konfiskationen in die französischen Kassen floß.
Frankfurt aber berechnete seinen Schaden auf etwa 12 Mill. Fras. Das war
die souveränes eines Rheinbundsfürsten.

Es waren die Jahre, in welchen Napoleons Macht auf ihrer Höhe stand.
Wie sie damals politisch schrankenlos waltete, so sollten sich auch Papst und
Kirche ihr beugen. Jener war bekanntlich am 5. Juli 1809 bereits gefangen
genommen und nach Scwona gebracht worden, aber der gefangene Papst zeigte
sich gefährlicher, als der in voller Freiheit stehende sich jemals gezeigt hatte.
Auf Grund der gallicanischen Artikel von 1682, welche er am 10. Februar 1811
wieder zum Reichsgesetz erhoben, berief Napoleon am 25. April ein französi¬
sches Nationalconcil nach Paris. An dies Concil knüpften sich für Dalberg
die letzten Hoffnungen, zu einer Neugestaltung der deutschen Kirche zu gelangen.
Denn der Kaiser hatte auch die Theilnahme der deutschen Bischöfe gewünscht


über Frankfurt den Sequester auf alle englischen Kolonial- und Manufaktur¬
waaren (14. Oktober). Am 22. Oktober fanden die Frankfurter dies neue
Dekret angeschlagen; zugleich verfügte General Friant, der Kommandant der
französischen Besatzung von Frankfurt, die Angabe aller Waaren dieser Art
binnen 24 Stunden, bedrohte das Unterlassen derselben oder Unrichtigkeiten in
der Anzeige mit Konfiskation und andern schweren Strafen, ließ die Thore,
Straßen und Plätze der Stadt militärisch besetzen und verhinderte jede Waaren¬
bewegung. Am Abend kamen zu weiterer Untersuchung etwa 20 französische
Douaniers von Mainz an. Eine Verwendung Dalbergs, der eben in Aschaffen¬
burg sich aufhielt, blieb natürlich ohne jeden Erfolg, und jetzt scheint endlich
in der Seele des unglücklichen Mannes die Erkenntniß, wohin er getrieben
worden, mit blitzähnlicher Deutlichkeit erwacht zu sein. „Ja, ja, wer das Ver¬
kehrte berichtigen könnte," sagte er zu dem ihm aufrichtig ergebenen Kammer¬
rath Leonhardt, der ihm die Nachricht gebracht hatte, „Zufallspiele umkehren
zu Vernunftspielen, aber der böse Geist der Gewalt hält die Welt umstrickt,
und — lieber Freund, wen der Teufel in den Klauen hat —" damit brach
er ab und eilte hinaus. — Inzwischen gingen in der geängsteten Stadt die
Deklarationen bis zu einem Gesammtwerthe von 20 Mill. Fras., massenhafte
Konfiskationen folgten, aller Verkehr stockte. Erst als auf gemeinsame Verab¬
redung vom 1. November an von sämmtlichen Frankfurter Häusern alle Wechsel
Protestirt wurden und in Folge dessen in zahlreichen französischen Städten
Bankerotte ausbrachen, hob Napoleon am 6. November den Sequester auf und
vertheilte die geforderte Abgabe auf drei Termine, aber alle gewebten engli¬
schen Waaren, welche man confiscire hatte, wurden mehrere Tage hinterein¬
ander auf offenem Platze in einem Truppenkarre unter den Klängen kriege¬
rischer Musik verbrannt. Das Empörendste bei alledem war, daß der ganze
Ertrag der Steuern und Konfiskationen in die französischen Kassen floß.
Frankfurt aber berechnete seinen Schaden auf etwa 12 Mill. Fras. Das war
die souveränes eines Rheinbundsfürsten.

Es waren die Jahre, in welchen Napoleons Macht auf ihrer Höhe stand.
Wie sie damals politisch schrankenlos waltete, so sollten sich auch Papst und
Kirche ihr beugen. Jener war bekanntlich am 5. Juli 1809 bereits gefangen
genommen und nach Scwona gebracht worden, aber der gefangene Papst zeigte
sich gefährlicher, als der in voller Freiheit stehende sich jemals gezeigt hatte.
Auf Grund der gallicanischen Artikel von 1682, welche er am 10. Februar 1811
wieder zum Reichsgesetz erhoben, berief Napoleon am 25. April ein französi¬
sches Nationalconcil nach Paris. An dies Concil knüpften sich für Dalberg
die letzten Hoffnungen, zu einer Neugestaltung der deutschen Kirche zu gelangen.
Denn der Kaiser hatte auch die Theilnahme der deutschen Bischöfe gewünscht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/495>, abgerufen am 27.08.2024.