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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Frankfurt machte sich die Aufregung geltend. Im Hanauischen widersetzte sich
eine Dorfschnft mit Gewalt der Verhaftung eines Deserteurs und weiterer
Truppenstellnng; in Hanau selbst wurden im Januar 1813 gelegentlich eines
Maskenballes zwei französische Offiziere mißhandelt, die französischen Adler
von den Domänengebäuden gerissen. Unter solchen Umständen erbat in der
That der souveräne Großherzog französische Hilfe, und am 30. Januar rückten
wirklich 12000 Mann Franzosen unter Souham in Frankfurt ein. Dazu
gesellte sich am 3. Februar die Ernennung eines übelberüchtigten Menschen
Namens Robertson zum Polizeipräfekten von Frankfurt. Das Alles trieb
natürlich die lebhafteste Entrüstung hervor, selbst unter den Behörden; Albini
legte sogar sein Polizeipräsidium nieder. Und während sich nun die erschüt¬
terndsten Ereignisse in rascher Folge drängten und Alles der ungeheuren Ent¬
scheidung entgegenreifte, hatte Dalberg von den laufenden großen Verhandlungen
eine auffallend geringe Kenntniß, ja weit mehr als sie beschäftigte ihn der
Abschluß des Konkordats von Fontainebleau und die Stiftung eines Ordens,
der, zur Erinnerung an die glücklich wiederhergestellte Eintracht zwischen Staat
und Kirche, der Konkordienorden hieß, und dessen Statuten am 15. August, am
Napoleonstage, wirklich publizirt wurden. Indessen schritt der eherne Fuß des
Krieges über solche Tändeleien hinweg. Riesige Lasten lagen auf dem armen
Lande; vom 1. Januar bis zum 1, September zogen mindestens 340000 Mann
auf der großen Etappenstraße nach Osten; in der selben Zeit stiegen die außer¬
ordentlichen Ausgaben auf 3 Mill. si,, während die regelmäßigen des ganzen
Jahres kaum 2^ Mill. betrugen. Eine außerordentliche Vermögens- und
Besoldungssteuer, die am 28. April, eine Accise auf die wichtigsten Nahrungs¬
mittel, welche am 26. Juni auferlegt wurde, genügten nicht und riefen doch die
heftigsten Beschwerden der ausgesogenen Bevölkerung hervor. Das Alles sollte
ja geopfert werden für einen fremden Despoten oder vielmehr, wie die Ein¬
gangsworte des ersten Dekrets es wohllautend umschrieben, für die "Freiheit
des Handels, Selbsterhaltung der Staaten des rheinischen Bundes und ihrer
wohlthätigen inneren Einrichtungen", welche als Zweck des gegenwärtigen
Krieges bezeichnet wurden. Von einem sittlichen Zwecke des Protektors und
seiner Vasallen in dem ungeheuren Kampfe wagte dieser Rheinbundsfürst doch
nicht mehr zu reden.

Aber auch als die furchtbaren Schlachten des Angust und September
Napoleon in einen immer engeren Kreis einschlossen, als ihn endlich der eiserne
Griff Blüchers zwang, von Dresden abzulassen -- an den nahen Sturz des
Gewaltigen wollte Dalberg nie glauben. Er wies mit ängstlicher Hast die
wohlmeinenden Mahnungen seines treuen Leonhardt als "unglückliche Worte",
als "unheilbringende Reden" zurück (Ende September); er weigerte sich,


Grenzboten IV. 187S. 65

Frankfurt machte sich die Aufregung geltend. Im Hanauischen widersetzte sich
eine Dorfschnft mit Gewalt der Verhaftung eines Deserteurs und weiterer
Truppenstellnng; in Hanau selbst wurden im Januar 1813 gelegentlich eines
Maskenballes zwei französische Offiziere mißhandelt, die französischen Adler
von den Domänengebäuden gerissen. Unter solchen Umständen erbat in der
That der souveräne Großherzog französische Hilfe, und am 30. Januar rückten
wirklich 12000 Mann Franzosen unter Souham in Frankfurt ein. Dazu
gesellte sich am 3. Februar die Ernennung eines übelberüchtigten Menschen
Namens Robertson zum Polizeipräfekten von Frankfurt. Das Alles trieb
natürlich die lebhafteste Entrüstung hervor, selbst unter den Behörden; Albini
legte sogar sein Polizeipräsidium nieder. Und während sich nun die erschüt¬
terndsten Ereignisse in rascher Folge drängten und Alles der ungeheuren Ent¬
scheidung entgegenreifte, hatte Dalberg von den laufenden großen Verhandlungen
eine auffallend geringe Kenntniß, ja weit mehr als sie beschäftigte ihn der
Abschluß des Konkordats von Fontainebleau und die Stiftung eines Ordens,
der, zur Erinnerung an die glücklich wiederhergestellte Eintracht zwischen Staat
und Kirche, der Konkordienorden hieß, und dessen Statuten am 15. August, am
Napoleonstage, wirklich publizirt wurden. Indessen schritt der eherne Fuß des
Krieges über solche Tändeleien hinweg. Riesige Lasten lagen auf dem armen
Lande; vom 1. Januar bis zum 1, September zogen mindestens 340000 Mann
auf der großen Etappenstraße nach Osten; in der selben Zeit stiegen die außer¬
ordentlichen Ausgaben auf 3 Mill. si,, während die regelmäßigen des ganzen
Jahres kaum 2^ Mill. betrugen. Eine außerordentliche Vermögens- und
Besoldungssteuer, die am 28. April, eine Accise auf die wichtigsten Nahrungs¬
mittel, welche am 26. Juni auferlegt wurde, genügten nicht und riefen doch die
heftigsten Beschwerden der ausgesogenen Bevölkerung hervor. Das Alles sollte
ja geopfert werden für einen fremden Despoten oder vielmehr, wie die Ein¬
gangsworte des ersten Dekrets es wohllautend umschrieben, für die „Freiheit
des Handels, Selbsterhaltung der Staaten des rheinischen Bundes und ihrer
wohlthätigen inneren Einrichtungen", welche als Zweck des gegenwärtigen
Krieges bezeichnet wurden. Von einem sittlichen Zwecke des Protektors und
seiner Vasallen in dem ungeheuren Kampfe wagte dieser Rheinbundsfürst doch
nicht mehr zu reden.

Aber auch als die furchtbaren Schlachten des Angust und September
Napoleon in einen immer engeren Kreis einschlossen, als ihn endlich der eiserne
Griff Blüchers zwang, von Dresden abzulassen — an den nahen Sturz des
Gewaltigen wollte Dalberg nie glauben. Er wies mit ängstlicher Hast die
wohlmeinenden Mahnungen seines treuen Leonhardt als „unglückliche Worte",
als „unheilbringende Reden" zurück (Ende September); er weigerte sich,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/497>, abgerufen am 27.08.2024.