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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ber 1810), die im schärfsten Gegensatze zu dem bisherigen Werbesysteme stand
und deshalb als äußerst lästig empfunden wurde, zumal da das Kontingent
meist für rein französische Zwecke, namentlich in Spanien, Verwendung fand.
Ein Versuch, die alte Bürgermiliz in Frankfurt in eine Nationalgarde nach
französischem Modell umzugestalten, scheiterte. Ebensowenig kam es zu der
schon im Organisationspatent verheißenen Einführung des französischen Ma߬
systems. Andrerseits lehnte sich aber Dalberg sogar auf dem Gebiete des
Unterrichtswesens meist an das französische Vorbild. Die Landesuniversität
bestand darnach aus verschiedenen, über das Land vertheilten Fachschulen in
Aschaffenburg, Frankfurt und Wetzlar. Im übrigen geschah manches Gute
nicht nur für die Gymnasien, sondern auch für das Volksschulwesen.

Das schwierigste bot unzweifelhaft die Finanzverwaltung, namentlich das
Schuldentilgungswesen. Hier mußte zu neuen Steuern gegriffen werden, welche
die größte Unzufriedenheit hervorriefen. Trotzdem wagte Dalberg nicht, die
Zumuthung Napoleons abzuweisen, der schon im Sommer 1810 von ihm ver¬
langte, er möge ihm seine Domänen in Heman und Fulda für 12 Mill. Fras.
abkaufen. Da der Versuch, zu diesem Zweck eine Zwangsanleihe im Lande
aufzunehmen, scheiterte, so kam das Geschäft erst im September 1812 zu Stande,
wobei der Preis um 1 Mill. reduzirt wurde.

Dieselbe jammervolle Abhängigkeit von jedem Winke des Gewaltherrn tritt
namentlich noch in zwei andern Fällen aufs grellste hervor. Ein einfaches
Dekret vom 10. Oktober 1810 unterdrückte "auf das Begehren" des Kaisers
sämmtliche (8) politische Zeitungen des Großherzogthums, ohne daß gegen sie
die geringste Beschwerde vorlag, und ersetzte sie durch die offizielle, französisch
und deutsch geschriebene "Zeitung des Großherzogthums Frankfurt", dessen
Redakteur vom Polizeiminister ernannt wurde. Mit einem Federzuge wurde
das Eigenthum aller Herausgeber vernichtet, der Erwerb aller dabei beschäf¬
tigten Arbeiter zerstört.

Kurze Zeit darauf traf ein französischer Raubzug im großen Stile die
Stadt Frankfurt. Am 12. September 1810 richtete der französische Gesandte
Graf Hedouville eine Note an das großherzogliche Ministerium, mit der Auf¬
forderung, das beigefügte kaiserliche Dekret von Trianon (5. August), welches
auf sämmtliche Kolonialwaaren einen Eingangszoll von 40 Proz. des Werthes
legte, zur Ausführung zu bringen. Gehorsam, obwohl zögernd, publizirte der
Großherzog am 28. September das Dekret, suchte aber seine Härte in der
Ausführung dadurch zu mildern, daß er anordnete, die Kaufleute sollten erst
nach Verlauf von zwei Monaten angeben, was sie von jenen Waaren verkauft
hätten, und davon dann eine Abgabe von 20 Prozent zahlen. Mit dieser halben
Maßregel war aber dem Protektor keineswegs gedient; ergrimmt verhängte er


ber 1810), die im schärfsten Gegensatze zu dem bisherigen Werbesysteme stand
und deshalb als äußerst lästig empfunden wurde, zumal da das Kontingent
meist für rein französische Zwecke, namentlich in Spanien, Verwendung fand.
Ein Versuch, die alte Bürgermiliz in Frankfurt in eine Nationalgarde nach
französischem Modell umzugestalten, scheiterte. Ebensowenig kam es zu der
schon im Organisationspatent verheißenen Einführung des französischen Ma߬
systems. Andrerseits lehnte sich aber Dalberg sogar auf dem Gebiete des
Unterrichtswesens meist an das französische Vorbild. Die Landesuniversität
bestand darnach aus verschiedenen, über das Land vertheilten Fachschulen in
Aschaffenburg, Frankfurt und Wetzlar. Im übrigen geschah manches Gute
nicht nur für die Gymnasien, sondern auch für das Volksschulwesen.

Das schwierigste bot unzweifelhaft die Finanzverwaltung, namentlich das
Schuldentilgungswesen. Hier mußte zu neuen Steuern gegriffen werden, welche
die größte Unzufriedenheit hervorriefen. Trotzdem wagte Dalberg nicht, die
Zumuthung Napoleons abzuweisen, der schon im Sommer 1810 von ihm ver¬
langte, er möge ihm seine Domänen in Heman und Fulda für 12 Mill. Fras.
abkaufen. Da der Versuch, zu diesem Zweck eine Zwangsanleihe im Lande
aufzunehmen, scheiterte, so kam das Geschäft erst im September 1812 zu Stande,
wobei der Preis um 1 Mill. reduzirt wurde.

Dieselbe jammervolle Abhängigkeit von jedem Winke des Gewaltherrn tritt
namentlich noch in zwei andern Fällen aufs grellste hervor. Ein einfaches
Dekret vom 10. Oktober 1810 unterdrückte „auf das Begehren" des Kaisers
sämmtliche (8) politische Zeitungen des Großherzogthums, ohne daß gegen sie
die geringste Beschwerde vorlag, und ersetzte sie durch die offizielle, französisch
und deutsch geschriebene „Zeitung des Großherzogthums Frankfurt", dessen
Redakteur vom Polizeiminister ernannt wurde. Mit einem Federzuge wurde
das Eigenthum aller Herausgeber vernichtet, der Erwerb aller dabei beschäf¬
tigten Arbeiter zerstört.

Kurze Zeit darauf traf ein französischer Raubzug im großen Stile die
Stadt Frankfurt. Am 12. September 1810 richtete der französische Gesandte
Graf Hedouville eine Note an das großherzogliche Ministerium, mit der Auf¬
forderung, das beigefügte kaiserliche Dekret von Trianon (5. August), welches
auf sämmtliche Kolonialwaaren einen Eingangszoll von 40 Proz. des Werthes
legte, zur Ausführung zu bringen. Gehorsam, obwohl zögernd, publizirte der
Großherzog am 28. September das Dekret, suchte aber seine Härte in der
Ausführung dadurch zu mildern, daß er anordnete, die Kaufleute sollten erst
nach Verlauf von zwei Monaten angeben, was sie von jenen Waaren verkauft
hätten, und davon dann eine Abgabe von 20 Prozent zahlen. Mit dieser halben
Maßregel war aber dem Protektor keineswegs gedient; ergrimmt verhängte er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/494>, abgerufen am 27.08.2024.