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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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wäre vergeblich. Immerhin läßt sich zllsammcnstellcn, was vor allen Augen liegt,
die sehen können.

Die russisch-preußische Allianz, die mit den Zeiten Katharinas und Friedrichs
beginnt, hat, obgleich sie, was in der Geschichte ohne Beispiel ist, über ein Jahr¬
hundert sich erhalten hat, nie eine eigentliche Sympathie der Völker und Staats¬
männer, aber allerdings zeitweise eine solche der Monarchen zum Stützpunkte ge¬
habt. Diese Allianz glich recht eigentlich einer Vernunftehe, in welcher der eine
Theil auf den andern Herabsicht, der andere beständig den Zwang des Verhält¬
nisses fühlt. Nußland zog aus der preußischen Freundschaft den ungeheuern Vor¬
theil, jeder Ablenkung seiner Kraft nach der Westgrenze überhoben zu sein. So
konnte es nach Norden, Osten,' Süden und selbst nach Westen sich gewaltig aus¬
dehnen, weil es nirgends aus starke Gegner stieß, und weil Preußen die einzigen
Gegner abwehrte, die für Rußland hätten gefährlich werden können. Aber man
war für diesen gewaltigen Dienst sehr mäßig dankbar in Rußland. Man schätzte
die Deutschen gering und fürchtete sie zugleich. Von Preußen insbesondere
redete man sich ein, daß dieser arme kleine Staat nur existire, so lange Ru߬
land seine mächtigen Fliigcl über ihn breite. So war die Stimmung der öffent¬
lichen Meinung und der Staatsmänner. Man fand es völlig überflüssig, sich in Un¬
kosten zu stecken, um dem preußischen Staate außer dem allgemeinen Wohlwollen Ru߬
lands, welches letzterem nichts kostete, noch in irgend einem Falle besondere Dienste
zu leisten. Man fand es durchaus in der Ordnung, daß Rußland dem Handel
der preußischen Ostprovinzen mehr und mehr die Lebensader unterband. Zwischen
Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. bestand eine aufrichtige persönliche Sym¬
pathie, welche aber über die natürlichen Gebote der Staatsklugheit hinaus die
Politik der beiden Regierungen kaum beeinflußt hat. Nikolaus I. war am Hofe
zu Berlin ein häufiger und hochgeehrter Gast; als ihn aber der Schwiegervater
einmal an die Handelsverträge erinnerte, antwortete der Kaiser, man solle nicht
sagen, daß er ein besserer Schwiegersohn als Kaiser gewesen. Zwischen Alexander II.
und Wilhelm I. hat sich die Sympathie erneuert, welche des Einen Oheim mit
des Andern Vater verband. Man kann wiederum sagen, daß die Politik der
Regierungen dadurch über die natürlichen Gebote der Staatsklugheit hinaus nicht
beeinflußt worden ist. Trotz des Dankes, den Wilhelm I. nach den Präliminarien
von Versailles an seinen kaiserlichen Freund dafür richtete, daß dieser die Theil¬
nahme anderer Mächte am Kriege verhindert, trotz dieses Dankes wird die Ge¬
schichtschreibung festzustellen haben, daß die Erklärung, Rußland werde ein etwaiges
Eingreifen Oesterreichs gegen Preußen nicht gleichgiltig ansehen, zwar in Berlin sehr
willkommen sein mußte, aber den Lauf der Dinge nicht beeinflußt hat. Die da¬
maligen Kriegsgelüste in Wien sind durch Andrassy und die Ungarn, unter¬
stützt von einem gewichtigen Theile der deutschen Liberalen, weit entscheidender in


wäre vergeblich. Immerhin läßt sich zllsammcnstellcn, was vor allen Augen liegt,
die sehen können.

Die russisch-preußische Allianz, die mit den Zeiten Katharinas und Friedrichs
beginnt, hat, obgleich sie, was in der Geschichte ohne Beispiel ist, über ein Jahr¬
hundert sich erhalten hat, nie eine eigentliche Sympathie der Völker und Staats¬
männer, aber allerdings zeitweise eine solche der Monarchen zum Stützpunkte ge¬
habt. Diese Allianz glich recht eigentlich einer Vernunftehe, in welcher der eine
Theil auf den andern Herabsicht, der andere beständig den Zwang des Verhält¬
nisses fühlt. Nußland zog aus der preußischen Freundschaft den ungeheuern Vor¬
theil, jeder Ablenkung seiner Kraft nach der Westgrenze überhoben zu sein. So
konnte es nach Norden, Osten,' Süden und selbst nach Westen sich gewaltig aus¬
dehnen, weil es nirgends aus starke Gegner stieß, und weil Preußen die einzigen
Gegner abwehrte, die für Rußland hätten gefährlich werden können. Aber man
war für diesen gewaltigen Dienst sehr mäßig dankbar in Rußland. Man schätzte
die Deutschen gering und fürchtete sie zugleich. Von Preußen insbesondere
redete man sich ein, daß dieser arme kleine Staat nur existire, so lange Ru߬
land seine mächtigen Fliigcl über ihn breite. So war die Stimmung der öffent¬
lichen Meinung und der Staatsmänner. Man fand es völlig überflüssig, sich in Un¬
kosten zu stecken, um dem preußischen Staate außer dem allgemeinen Wohlwollen Ru߬
lands, welches letzterem nichts kostete, noch in irgend einem Falle besondere Dienste
zu leisten. Man fand es durchaus in der Ordnung, daß Rußland dem Handel
der preußischen Ostprovinzen mehr und mehr die Lebensader unterband. Zwischen
Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. bestand eine aufrichtige persönliche Sym¬
pathie, welche aber über die natürlichen Gebote der Staatsklugheit hinaus die
Politik der beiden Regierungen kaum beeinflußt hat. Nikolaus I. war am Hofe
zu Berlin ein häufiger und hochgeehrter Gast; als ihn aber der Schwiegervater
einmal an die Handelsverträge erinnerte, antwortete der Kaiser, man solle nicht
sagen, daß er ein besserer Schwiegersohn als Kaiser gewesen. Zwischen Alexander II.
und Wilhelm I. hat sich die Sympathie erneuert, welche des Einen Oheim mit
des Andern Vater verband. Man kann wiederum sagen, daß die Politik der
Regierungen dadurch über die natürlichen Gebote der Staatsklugheit hinaus nicht
beeinflußt worden ist. Trotz des Dankes, den Wilhelm I. nach den Präliminarien
von Versailles an seinen kaiserlichen Freund dafür richtete, daß dieser die Theil¬
nahme anderer Mächte am Kriege verhindert, trotz dieses Dankes wird die Ge¬
schichtschreibung festzustellen haben, daß die Erklärung, Rußland werde ein etwaiges
Eingreifen Oesterreichs gegen Preußen nicht gleichgiltig ansehen, zwar in Berlin sehr
willkommen sein mußte, aber den Lauf der Dinge nicht beeinflußt hat. Die da¬
maligen Kriegsgelüste in Wien sind durch Andrassy und die Ungarn, unter¬
stützt von einem gewichtigen Theile der deutschen Liberalen, weit entscheidender in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/49>, abgerufen am 23.07.2024.