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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Zaum gehalten worden als durch die russische Erklärung, die mehr als eine
Deutung offen ließ und keineswegs jede Verständigung auch bei einem kriegerischen
Vorgehen Oesterreichs ausschloß. Außerdem aber hatte Nußland von einem sieg¬
reichen Bündniß Frankreichs mit Oesterreich und Italien, zu welchem England wohl
bald in ein freundliches Verhältniß getreten wäre, die Erneuerung der Gegner¬
schaft des Krimkriegs in einer weit gefährlicheren Gestalt zu befürchten. Nach
der Beendigung des deutsch-französischen Krieges aber wurde, Fürst Gortschakoff
nicht müde zu erklären, das dringendste Bedürfniß Europas -- er hätte sagen
sollen: Rußlands -- sei uns ?ra.ii<Z6 ^ ^tD- Als 1875 der Kleri-
kalismus den Versuch machte, die Allianz, welche 1870 die schnellen Siege der
preußischen Waffen nicht zur Wirksamkeit gelangen ließen, noch einmal ins
Leben zu rufen, da ließ Fürst Gortschakoff zwar nach Paris eine Warnung gegen
unzeitiges Vorgehen gelangen -- die damals wiederum geplante Kombination
konnte ja nie die Rußland erwünschte sein --, aber er präsentirte sich zugleich
Europa als der Friedensretter und insbesondere als der Beschützer Frankreichs,
welcher den preußischen Tiger mit stärkerer Hand an den Tatzen gefaßt und in
den Käfig geschleudert. Eine unvergleichliche -- Pose, der russische Kanzler heißt
mit Recht um ^raunt xossur. Er rechnete auch in dieser Pose auf die Zuver¬
lässigkeit der deutschen Nachbarschaft, aus Vertrauen auf die Gesinnung des Kaisers
Wilhelm, weit mehr aber noch in dem stolzen Gedanken, daß Deutschland nur
unter dem russischen Flügel sicher sein könne. Bald nahm er die Verwirklichung
des Hauptplans seines Lebens in Angriff, die Zerstörung des Pariser Friedens
von 1856 in allen übrigen Theilen. Die Aufhebung eines wichtigen Theiles, die
der sogenannten Neutralisirung des Schwarzen Meeres, hatte er schon 1870 er¬
langt. Fürst Gortschakoff zeigte der Welt an, daß er nicht verlöschen werde
wie eine Oellampe, sondern den Horizont verlassen wie ein flammendes Ge¬
stirn. Wiederum eine unvergleichliche -- Pose. Sie hätte trotz ihrer Kühnheit
Leben und Wahrheit gewinnen können, wenn die russischen Waffen die Balkan¬
halbinsel befreit hätten und selbst in Konstantinopel eingedrungen wären, dann
aber die Front zur unmittelbaren Vergrößerung nur nach Asien gerichtet und der
Balkanhalbinsel unter Mitwirkung Europas eine selbständige Organisation gegeben
hätten. So großmüthig wagten die russischen Staatsmänner trotz der in diesem
Sinne gegebenen Erklärung ihres Kaisers nicht zu sein, obwohl die Kühnheit dieser
Großmuth die sicherste Politik auch für den Anfang der russischen Weltstellung
gewesen wäre. Man wollte die Balkanhalbinsel unmittelbar beherrschen und die
unmittelbare Herrschaft nur ein wenig verbergen. Dieser Gedanke war zu ver¬
wünscht gescheit; England, Oesterreich, Frankreich im Hintergrunde, erhoben sich
dagegen. Rußland mußte aus dem Berliner Kongreß jede auch nur mittelbare
Herrschaft wenigstens südlich vom Balkan aufgeben.


Zaum gehalten worden als durch die russische Erklärung, die mehr als eine
Deutung offen ließ und keineswegs jede Verständigung auch bei einem kriegerischen
Vorgehen Oesterreichs ausschloß. Außerdem aber hatte Nußland von einem sieg¬
reichen Bündniß Frankreichs mit Oesterreich und Italien, zu welchem England wohl
bald in ein freundliches Verhältniß getreten wäre, die Erneuerung der Gegner¬
schaft des Krimkriegs in einer weit gefährlicheren Gestalt zu befürchten. Nach
der Beendigung des deutsch-französischen Krieges aber wurde, Fürst Gortschakoff
nicht müde zu erklären, das dringendste Bedürfniß Europas — er hätte sagen
sollen: Rußlands — sei uns ?ra.ii<Z6 ^ ^tD- Als 1875 der Kleri-
kalismus den Versuch machte, die Allianz, welche 1870 die schnellen Siege der
preußischen Waffen nicht zur Wirksamkeit gelangen ließen, noch einmal ins
Leben zu rufen, da ließ Fürst Gortschakoff zwar nach Paris eine Warnung gegen
unzeitiges Vorgehen gelangen — die damals wiederum geplante Kombination
konnte ja nie die Rußland erwünschte sein —, aber er präsentirte sich zugleich
Europa als der Friedensretter und insbesondere als der Beschützer Frankreichs,
welcher den preußischen Tiger mit stärkerer Hand an den Tatzen gefaßt und in
den Käfig geschleudert. Eine unvergleichliche — Pose, der russische Kanzler heißt
mit Recht um ^raunt xossur. Er rechnete auch in dieser Pose auf die Zuver¬
lässigkeit der deutschen Nachbarschaft, aus Vertrauen auf die Gesinnung des Kaisers
Wilhelm, weit mehr aber noch in dem stolzen Gedanken, daß Deutschland nur
unter dem russischen Flügel sicher sein könne. Bald nahm er die Verwirklichung
des Hauptplans seines Lebens in Angriff, die Zerstörung des Pariser Friedens
von 1856 in allen übrigen Theilen. Die Aufhebung eines wichtigen Theiles, die
der sogenannten Neutralisirung des Schwarzen Meeres, hatte er schon 1870 er¬
langt. Fürst Gortschakoff zeigte der Welt an, daß er nicht verlöschen werde
wie eine Oellampe, sondern den Horizont verlassen wie ein flammendes Ge¬
stirn. Wiederum eine unvergleichliche — Pose. Sie hätte trotz ihrer Kühnheit
Leben und Wahrheit gewinnen können, wenn die russischen Waffen die Balkan¬
halbinsel befreit hätten und selbst in Konstantinopel eingedrungen wären, dann
aber die Front zur unmittelbaren Vergrößerung nur nach Asien gerichtet und der
Balkanhalbinsel unter Mitwirkung Europas eine selbständige Organisation gegeben
hätten. So großmüthig wagten die russischen Staatsmänner trotz der in diesem
Sinne gegebenen Erklärung ihres Kaisers nicht zu sein, obwohl die Kühnheit dieser
Großmuth die sicherste Politik auch für den Anfang der russischen Weltstellung
gewesen wäre. Man wollte die Balkanhalbinsel unmittelbar beherrschen und die
unmittelbare Herrschaft nur ein wenig verbergen. Dieser Gedanke war zu ver¬
wünscht gescheit; England, Oesterreich, Frankreich im Hintergrunde, erhoben sich
dagegen. Rußland mußte aus dem Berliner Kongreß jede auch nur mittelbare
Herrschaft wenigstens südlich vom Balkan aufgeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/50>, abgerufen am 23.07.2024.