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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Es war auch ein Tag in der zweiten Hälfte des September, als Herr v.
Bismarck, damals königlicher Botschafter in Paris, in Berlin eintraf und alsbald
zum Staatsminister ernannt wurde, vorläufig zum Staatsminister ohne bestimmten
Dienstzweig, da ein Ministerpräsident existirte, dessen erbetene Entlassung noch
nicht genehmigt war. Erst im Oktober 1862 erfolgte die Ernennung des
Staatsministers v. Bismarck zum Ministerpräsidenten und Minister des Aus¬
wärtigen. Damals ging eine Ahnung durch die deutsche Welt, der neue Minister¬
präsident werde die deutsche Frage, welche man auch die preußisch-österreichische
hätte nennen können, zur Lösung bringen. Die damaligen konservativen Freunde
und ehemaligen Parteigenossen des Ministerpräsidenten spotteten über solche
Annahmen. Ein Jahr später starb Friedrich VII. von Dänemark; Preußen und
Oesterreich reichten sich die Hand. Wieder ein Jahr später bereitete sich die
Lösung der preußisch-österreichischen Frage schon unmittelbar vor. Noch ein Jahr
später zogen am 21. September die aus dem böhmischen Kriege zurückkehrenden
Sieger in Berlin ein. Dreizehn Jahre später wurde der deutsche Reichskanzler,
Fürst Bismarck, in Wien als Freund empfangen, wie man noch kaum einen
fremden Gast dort geehrt. Man scheut sich, die stumme Sprache dieser Daten,
deren Beredsamkeit nicht zu übertreffen ist, in Worte zu übertragen.

Heute also kehrt Fürst Bismarck von Wien zurück, nachdem er ein Freund¬
schaftsband der beiden mitteleuropäischen Großstaaten geschlungen, von dessen un¬
gewöhnlicher Dauer und Scgcnskraft nicht die beiden bethätigten Nationen allein,
sondern so ziemlich die ganze Welt überzeugt ist, nnr daß man an einigen Orten
nicht das Wort Segen zu Dauer hinzufügt, sondern ein gegentheiliges. Die
künftige Geschichtschreibung des 19. Jahrhunderts wird bei dem letzten Viertel
desselben die zwei Fragen zu beantworten haben: Wie wurde die deutsch-russische
Allianz aufgelöst? Wie wurde die deutsch-österreichische Allianz geflochten? Die
deutsch-russische Allianz gehört der Vergangenheit an. Es ist nicht im mindesten
zu befürchten, daß aus den alten Verbündeten sofort Gegner auf dem Kampfplatze
der Diplomatie, geschweige denn auf dem Schlachtfelde werden. Aber die Zeit ist
vorbei, wo man bei jeder europäischen Frage Petersburg und Berlin Seite an
Seite sah. Diese Aenderung nach den Tagen von Wien jemandem verbergen zu
wollen, wäre zwecklos, heute schon die Geschichte derselben schreiben zu wollen,


Es war auch ein Tag in der zweiten Hälfte des September, als Herr v.
Bismarck, damals königlicher Botschafter in Paris, in Berlin eintraf und alsbald
zum Staatsminister ernannt wurde, vorläufig zum Staatsminister ohne bestimmten
Dienstzweig, da ein Ministerpräsident existirte, dessen erbetene Entlassung noch
nicht genehmigt war. Erst im Oktober 1862 erfolgte die Ernennung des
Staatsministers v. Bismarck zum Ministerpräsidenten und Minister des Aus¬
wärtigen. Damals ging eine Ahnung durch die deutsche Welt, der neue Minister¬
präsident werde die deutsche Frage, welche man auch die preußisch-österreichische
hätte nennen können, zur Lösung bringen. Die damaligen konservativen Freunde
und ehemaligen Parteigenossen des Ministerpräsidenten spotteten über solche
Annahmen. Ein Jahr später starb Friedrich VII. von Dänemark; Preußen und
Oesterreich reichten sich die Hand. Wieder ein Jahr später bereitete sich die
Lösung der preußisch-österreichischen Frage schon unmittelbar vor. Noch ein Jahr
später zogen am 21. September die aus dem böhmischen Kriege zurückkehrenden
Sieger in Berlin ein. Dreizehn Jahre später wurde der deutsche Reichskanzler,
Fürst Bismarck, in Wien als Freund empfangen, wie man noch kaum einen
fremden Gast dort geehrt. Man scheut sich, die stumme Sprache dieser Daten,
deren Beredsamkeit nicht zu übertreffen ist, in Worte zu übertragen.

Heute also kehrt Fürst Bismarck von Wien zurück, nachdem er ein Freund¬
schaftsband der beiden mitteleuropäischen Großstaaten geschlungen, von dessen un¬
gewöhnlicher Dauer und Scgcnskraft nicht die beiden bethätigten Nationen allein,
sondern so ziemlich die ganze Welt überzeugt ist, nnr daß man an einigen Orten
nicht das Wort Segen zu Dauer hinzufügt, sondern ein gegentheiliges. Die
künftige Geschichtschreibung des 19. Jahrhunderts wird bei dem letzten Viertel
desselben die zwei Fragen zu beantworten haben: Wie wurde die deutsch-russische
Allianz aufgelöst? Wie wurde die deutsch-österreichische Allianz geflochten? Die
deutsch-russische Allianz gehört der Vergangenheit an. Es ist nicht im mindesten
zu befürchten, daß aus den alten Verbündeten sofort Gegner auf dem Kampfplatze
der Diplomatie, geschweige denn auf dem Schlachtfelde werden. Aber die Zeit ist
vorbei, wo man bei jeder europäischen Frage Petersburg und Berlin Seite an
Seite sah. Diese Aenderung nach den Tagen von Wien jemandem verbergen zu
wollen, wäre zwecklos, heute schon die Geschichte derselben schreiben zu wollen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/48>, abgerufen am 23.07.2024.