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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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eine auswärtige Macht erfolgreich kämpfen könnte. Im Hinblick hierauf hat
England sich eine Armee aus Einheimischen geschaffen und sich durch eine
Reihe ihm verbündeter anderer Staaten zwischen sich und dem russischen Neben¬
buhler wie durch vorgeschobene Posten zu decken bemüht. Indeß hat der große
Sipoy-Aufstand gezeigt, daß jene einheimischen Truppen nicht recht zuverlässig
und unter Umständen eine Gefahr sind; und ob diese Bündnisse mit asiatischen
Nachbarländern jede Probe bestehen werden, ist zweifelhaft. Zum Theil sind
diese Staaten bereits in den Machtbereich Rußlands gerathen, welches die zur
Geltendmachung seiner Interessen in Innerasien nöthigen Landtruppen in hin¬
reichender Anzahl besaß, wogegen zuzugeben ist, daß England einem Aufstand
der Eingeborenen in Indien gegenüber wie bisher, so wahrscheinlich auch in
Zukunft die Uneinigkeit derselben, die in verschiedene Völkerstämme und Reli¬
gionen zerfallen und sich sehr wohl mit Nachhilfe von Bestechungen gegenein¬
ander benutzen lassen, zu gute kommen wird. Den ganzen indischen Besitz bis
zu den Grenzen des Indus, des Hindukusch und des Himalaya werden die
Engländer aber schwerlich militärisch auf die Dauer behaupten können, wenn
sie sich die Bevölkerung derselben nicht durch weniger despotisches Regiment
zu gewinnen suchen, und wenn sie sich nicht durch Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht ein Heer schaffen, das Indien in Europa zu vertheidigen im
Stande ist. Andere Großmächte für diesen Zweck zu Verbündeten zu bekom¬
men, wird ihnen nicht gelingen.

Damit ist keineswegs behauptet, daß die englische Macht in Indien ver¬
nichtet werden kann. Denn je mehr dieselbe vom gebirgigen Norden zurück¬
gedrängt würde, desto näher käme sie den Küstengegenden, ihrer natürlichen
Operationsbasis und demjenigen Landstriche, von dem aus die Aus- und Ein¬
fuhr und das gesammte wirthschaftliche Leben der Bevölkerung bestimmt und
beherrscht werden, da der Verkehr im Norden durch Gebirge und Wüsten von
ungeheurer Ausdehnung erschwert und auf weite Strecken hin geradezu unmöglich
gemacht ist, und der Besitz jener Küstengegenden, die man sich nicht schmal zu
denken braucht, sich nnr durch eine starke Seemacht erobern ließe.

Haben Deutschland und Oesterreich kein Interesse, England bei seinem
Bestreben, sich Rußland gegenüber in Indien zu behaupten -- einem Bestreben,
welches, wie erwähnt, die Haupttriebfeder der englischen Politik bei ihrem
Verfahren während des Streites zwischen der Pforte und dem Kabinet von
Se. Petersburg war und sie bei ähnlichen Gelegenheiten wieder sein wird --,
zu unterstützen, England zu liebe Rußland entgegenzutreten, so ist auch der
Zustand der englischen Heeresmacht nicht der Art, daß man deutscher- und
österreichischerseits starkes Verlangen empfinden könnte, England als Dritten
im Bunde zu sehen. England hat die stärkste Kriegsflotte der Welt, aber was


eine auswärtige Macht erfolgreich kämpfen könnte. Im Hinblick hierauf hat
England sich eine Armee aus Einheimischen geschaffen und sich durch eine
Reihe ihm verbündeter anderer Staaten zwischen sich und dem russischen Neben¬
buhler wie durch vorgeschobene Posten zu decken bemüht. Indeß hat der große
Sipoy-Aufstand gezeigt, daß jene einheimischen Truppen nicht recht zuverlässig
und unter Umständen eine Gefahr sind; und ob diese Bündnisse mit asiatischen
Nachbarländern jede Probe bestehen werden, ist zweifelhaft. Zum Theil sind
diese Staaten bereits in den Machtbereich Rußlands gerathen, welches die zur
Geltendmachung seiner Interessen in Innerasien nöthigen Landtruppen in hin¬
reichender Anzahl besaß, wogegen zuzugeben ist, daß England einem Aufstand
der Eingeborenen in Indien gegenüber wie bisher, so wahrscheinlich auch in
Zukunft die Uneinigkeit derselben, die in verschiedene Völkerstämme und Reli¬
gionen zerfallen und sich sehr wohl mit Nachhilfe von Bestechungen gegenein¬
ander benutzen lassen, zu gute kommen wird. Den ganzen indischen Besitz bis
zu den Grenzen des Indus, des Hindukusch und des Himalaya werden die
Engländer aber schwerlich militärisch auf die Dauer behaupten können, wenn
sie sich die Bevölkerung derselben nicht durch weniger despotisches Regiment
zu gewinnen suchen, und wenn sie sich nicht durch Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht ein Heer schaffen, das Indien in Europa zu vertheidigen im
Stande ist. Andere Großmächte für diesen Zweck zu Verbündeten zu bekom¬
men, wird ihnen nicht gelingen.

Damit ist keineswegs behauptet, daß die englische Macht in Indien ver¬
nichtet werden kann. Denn je mehr dieselbe vom gebirgigen Norden zurück¬
gedrängt würde, desto näher käme sie den Küstengegenden, ihrer natürlichen
Operationsbasis und demjenigen Landstriche, von dem aus die Aus- und Ein¬
fuhr und das gesammte wirthschaftliche Leben der Bevölkerung bestimmt und
beherrscht werden, da der Verkehr im Norden durch Gebirge und Wüsten von
ungeheurer Ausdehnung erschwert und auf weite Strecken hin geradezu unmöglich
gemacht ist, und der Besitz jener Küstengegenden, die man sich nicht schmal zu
denken braucht, sich nnr durch eine starke Seemacht erobern ließe.

Haben Deutschland und Oesterreich kein Interesse, England bei seinem
Bestreben, sich Rußland gegenüber in Indien zu behaupten — einem Bestreben,
welches, wie erwähnt, die Haupttriebfeder der englischen Politik bei ihrem
Verfahren während des Streites zwischen der Pforte und dem Kabinet von
Se. Petersburg war und sie bei ähnlichen Gelegenheiten wieder sein wird —,
zu unterstützen, England zu liebe Rußland entgegenzutreten, so ist auch der
Zustand der englischen Heeresmacht nicht der Art, daß man deutscher- und
österreichischerseits starkes Verlangen empfinden könnte, England als Dritten
im Bunde zu sehen. England hat die stärkste Kriegsflotte der Welt, aber was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/484>, abgerufen am 23.07.2024.