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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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in Betreff der Eingebornen eine absolute. Und das ist nicht blos unter
Becieonsfield so. Ein Whigministerium würde, wie die Geschichte zeigt, nur
scheinbar anders verfahren und auch dazu nur in Nebensachen bereit sein. Den
Freihändlern nahestehend, würde es friedlichere Wege einzuschlagen versuchen
und der Selbstbestimmung der Bewohner Indiens einigen Ellbogenraum zu
lassen Miene machen. In Wirklichkeit aber würde ihm nicht in den Sinn
kommen, eine Beschränkung der unmittelbaren uneingeschränkten Autorität Eng¬
lands in seinem ostasiatischen Reiche oder ein Aufgeben des Einflusses auf
dessen Nachbarn zu befürworten; denn wenn ihm nach den Grundsätzen der
guten Freunde von Manchester kriegerischer Ruhm und nationale Ehre nicht
sehr ans Herz gewachsen sein würden, so würde ihm um so klarer sein, wie
viel Ostasien für den Absatz englischer Waaren und für den Bezug von tropi¬
schen Rohprodukten zu bedeuten hat.

Das Wesen dieser imperialen Politik hat das gegenwärtige Ministerium
als Inventar von seinen Vorgängern übernommen. Neu ist bei dem Verfahren
desselben zunächst nur das deutlichere Gelteudmacheu der Autorität Englands,
das sich durch Annahme des Kaisertitels von Seiten der Königin Victoria und
durch die indische Reise des Thronfolgers kundgab. Dann gehört hierher die
Parteinahme für den Sultan im letzten Kriege, die allerdings auch von andern
Motiven, z. B. dem, Rußland nicht bis an die Zugänge zum Mittelmeer vor¬
dringen und in Kleinasien Fuß fassen zu lassen, aber auch von dem Bestreben
diktirt war, den mohammedanischen Bewohnern Indiens als Schutzmacht des
Islam zu erscheinen, was durch Entsendung eines Heeres indischer Truppen
nach dem Westen n,Ä vorüos demonstrirt wurde. Nehmen wir noch den Krieg
gegen Afghanistan hinzu, bei dem zuerst gegenüber dem unabhängigen Auftreten
des dortigen Herrschers das Prestige Englands gewahrt und dann eine neue
Grenze gewonnen wurde, welche die aus Kabul und Kandahar nach Peschawer
und Quettah führenden Gebirgspässe in die Gewalt der Engländer brachte, so
ist die Reihe der Thatsachen angeführt, welche die imperiale Politik des der-
maligen britischen Kabinets im Osten kennzeichnet. Es stützt sich dabei in erster
Linie auf den Geldreichthum Englands, dann auf eine gewaltige Kriegsflotte,
welche mit Hilfe von wohlgewählten Zwischenstationen wie Gibraltar, Malta,
Cypern, Aden, Perim und dem Kap der guten Hoffnung den indischen Besitz
mit Großbritannien verbindet und den Handel andrer Staaten für den Fall
feindseligen Auftretens derselben bedroht, und zuletzt auf seine Landmacht, die
indeß, da sie in Indien die Zahl von 60000 Mann europäischer Truppen
nicht sehr übersteigt*), nicht zugleich innere Unruhen niederwerfen und gegen



*) Die Stärke derselben betrug am 1. Januar 1S79 ungefähr S4S00 Mann. Vgl.
Registrande des Großen Generalstabs, 9. Jahrg. S> 3S9.

in Betreff der Eingebornen eine absolute. Und das ist nicht blos unter
Becieonsfield so. Ein Whigministerium würde, wie die Geschichte zeigt, nur
scheinbar anders verfahren und auch dazu nur in Nebensachen bereit sein. Den
Freihändlern nahestehend, würde es friedlichere Wege einzuschlagen versuchen
und der Selbstbestimmung der Bewohner Indiens einigen Ellbogenraum zu
lassen Miene machen. In Wirklichkeit aber würde ihm nicht in den Sinn
kommen, eine Beschränkung der unmittelbaren uneingeschränkten Autorität Eng¬
lands in seinem ostasiatischen Reiche oder ein Aufgeben des Einflusses auf
dessen Nachbarn zu befürworten; denn wenn ihm nach den Grundsätzen der
guten Freunde von Manchester kriegerischer Ruhm und nationale Ehre nicht
sehr ans Herz gewachsen sein würden, so würde ihm um so klarer sein, wie
viel Ostasien für den Absatz englischer Waaren und für den Bezug von tropi¬
schen Rohprodukten zu bedeuten hat.

Das Wesen dieser imperialen Politik hat das gegenwärtige Ministerium
als Inventar von seinen Vorgängern übernommen. Neu ist bei dem Verfahren
desselben zunächst nur das deutlichere Gelteudmacheu der Autorität Englands,
das sich durch Annahme des Kaisertitels von Seiten der Königin Victoria und
durch die indische Reise des Thronfolgers kundgab. Dann gehört hierher die
Parteinahme für den Sultan im letzten Kriege, die allerdings auch von andern
Motiven, z. B. dem, Rußland nicht bis an die Zugänge zum Mittelmeer vor¬
dringen und in Kleinasien Fuß fassen zu lassen, aber auch von dem Bestreben
diktirt war, den mohammedanischen Bewohnern Indiens als Schutzmacht des
Islam zu erscheinen, was durch Entsendung eines Heeres indischer Truppen
nach dem Westen n,Ä vorüos demonstrirt wurde. Nehmen wir noch den Krieg
gegen Afghanistan hinzu, bei dem zuerst gegenüber dem unabhängigen Auftreten
des dortigen Herrschers das Prestige Englands gewahrt und dann eine neue
Grenze gewonnen wurde, welche die aus Kabul und Kandahar nach Peschawer
und Quettah führenden Gebirgspässe in die Gewalt der Engländer brachte, so
ist die Reihe der Thatsachen angeführt, welche die imperiale Politik des der-
maligen britischen Kabinets im Osten kennzeichnet. Es stützt sich dabei in erster
Linie auf den Geldreichthum Englands, dann auf eine gewaltige Kriegsflotte,
welche mit Hilfe von wohlgewählten Zwischenstationen wie Gibraltar, Malta,
Cypern, Aden, Perim und dem Kap der guten Hoffnung den indischen Besitz
mit Großbritannien verbindet und den Handel andrer Staaten für den Fall
feindseligen Auftretens derselben bedroht, und zuletzt auf seine Landmacht, die
indeß, da sie in Indien die Zahl von 60000 Mann europäischer Truppen
nicht sehr übersteigt*), nicht zugleich innere Unruhen niederwerfen und gegen



*) Die Stärke derselben betrug am 1. Januar 1S79 ungefähr S4S00 Mann. Vgl.
Registrande des Großen Generalstabs, 9. Jahrg. S> 3S9.
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[0483] in Betreff der Eingebornen eine absolute. Und das ist nicht blos unter Becieonsfield so. Ein Whigministerium würde, wie die Geschichte zeigt, nur scheinbar anders verfahren und auch dazu nur in Nebensachen bereit sein. Den Freihändlern nahestehend, würde es friedlichere Wege einzuschlagen versuchen und der Selbstbestimmung der Bewohner Indiens einigen Ellbogenraum zu lassen Miene machen. In Wirklichkeit aber würde ihm nicht in den Sinn kommen, eine Beschränkung der unmittelbaren uneingeschränkten Autorität Eng¬ lands in seinem ostasiatischen Reiche oder ein Aufgeben des Einflusses auf dessen Nachbarn zu befürworten; denn wenn ihm nach den Grundsätzen der guten Freunde von Manchester kriegerischer Ruhm und nationale Ehre nicht sehr ans Herz gewachsen sein würden, so würde ihm um so klarer sein, wie viel Ostasien für den Absatz englischer Waaren und für den Bezug von tropi¬ schen Rohprodukten zu bedeuten hat. Das Wesen dieser imperialen Politik hat das gegenwärtige Ministerium als Inventar von seinen Vorgängern übernommen. Neu ist bei dem Verfahren desselben zunächst nur das deutlichere Gelteudmacheu der Autorität Englands, das sich durch Annahme des Kaisertitels von Seiten der Königin Victoria und durch die indische Reise des Thronfolgers kundgab. Dann gehört hierher die Parteinahme für den Sultan im letzten Kriege, die allerdings auch von andern Motiven, z. B. dem, Rußland nicht bis an die Zugänge zum Mittelmeer vor¬ dringen und in Kleinasien Fuß fassen zu lassen, aber auch von dem Bestreben diktirt war, den mohammedanischen Bewohnern Indiens als Schutzmacht des Islam zu erscheinen, was durch Entsendung eines Heeres indischer Truppen nach dem Westen n,Ä vorüos demonstrirt wurde. Nehmen wir noch den Krieg gegen Afghanistan hinzu, bei dem zuerst gegenüber dem unabhängigen Auftreten des dortigen Herrschers das Prestige Englands gewahrt und dann eine neue Grenze gewonnen wurde, welche die aus Kabul und Kandahar nach Peschawer und Quettah führenden Gebirgspässe in die Gewalt der Engländer brachte, so ist die Reihe der Thatsachen angeführt, welche die imperiale Politik des der- maligen britischen Kabinets im Osten kennzeichnet. Es stützt sich dabei in erster Linie auf den Geldreichthum Englands, dann auf eine gewaltige Kriegsflotte, welche mit Hilfe von wohlgewählten Zwischenstationen wie Gibraltar, Malta, Cypern, Aden, Perim und dem Kap der guten Hoffnung den indischen Besitz mit Großbritannien verbindet und den Handel andrer Staaten für den Fall feindseligen Auftretens derselben bedroht, und zuletzt auf seine Landmacht, die indeß, da sie in Indien die Zahl von 60000 Mann europäischer Truppen nicht sehr übersteigt*), nicht zugleich innere Unruhen niederwerfen und gegen *) Die Stärke derselben betrug am 1. Januar 1S79 ungefähr S4S00 Mann. Vgl. Registrande des Großen Generalstabs, 9. Jahrg. S> 3S9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/483>, abgerufen am 23.07.2024.