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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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das Reich Alexanders des Großen getheilt hatten. Von dem Wirken der
meisten von ihnen ist durch die unaufhörlichen Kämpfe und Revolutionen,
welche noch fast ein Jahrhundert lang das Weltreich Alexanders durchtobten,
jede Spur verloren gegangen. Nur die Schulen von Rhodos und Pergamon,
welche derselbe Geist beseelte, tauchen aus dem allgemeinen Wirrwarr empor.

Wo der Telephosfries angebracht war, kann bis jetzt noch nicht mit Sicher¬
heit festgestellt werden. Vielleicht hatte der Tempel die Gestalt eines Peri-
pteros, und dann bildete der Fries vielleicht in ähnlicher Weise den Schmuck der
Cella wie der berühmte Parthenonfries. Vielleicht schmückte er auch die Brust¬
wehr, welche das Innere des Heiligthums von dem äußeren Säulenumgange
trennte. In den Interkolumnien des letzteren waren, gerade wie bei dem Nere¬
idenmonument, Statuen aufgestellt, von denen gleichfalls noch einige Reste auf-
gefunden worden sind. Der Telephosfries ist nicht ganz vollendet worden.
Nach der gewöhnlichen Praxis der antiken Bildhauer waren die Bilder auf
den einzelnen Reliefplatten nur im Rohen angelegt und dann an Ort und
Stelle versetzt worden, um nachträglich von den Marmorarbeitern weiter durch¬
geführt und beendigt zu werden. Das ist mit einigen Platten nicht geschehen.
Es scheint also, als wäre Attalos vor Vollendung seines gewaltigen Werkes
gestorben, und als hätte sein kriegerischer Nachfolger Eumenes II. nicht das
Interesse oder die Muße gehabt, das Vermächtniß seines Vaters zu Ende zu
führen.

Denn ein gewaltiges Werk, welches schier übermenschliche Kräfte erfor¬
derte, muß dieser Altar gewesen sein. Die Messungen haben ergeben, daß die
Bodenfläche, welche derselbe bedeckte, von Süd nach Nord 37,60 Meter und
von West nach Ost 34,40 Meter mißt. Die Höhe des Bauwerks hat Ampe-
lius auf 40 Fuß angegeben; die Hälfte davon kommt auf den Unterbau, und
unterhalb des Kranzgesimses dieses Unterbaues zog sich der Gigantenfries hin.

Obwohl nur die Hälfte desselben erhalten ist und bis jetzt kaum drei oder
vier Gruppen so zusammengesetzt worden sind, daß man ihre Komposition über¬
sehen kann, läßt sich schon soviel mit Sicherheit behaupten, daß diese Darstel¬
lung des Gigantenkampfes nicht blos die ausführlichste und reichhaltigste ist,
welche aus dem griechischen Alterthum auf uns gekommen ist, sondern daß
das Werk an sich durch Ausdehnung und Umfang von keinem der uns erhal¬
tenen Werke griechisch-römischer Kunst, auch nicht durch den Parthenonfries,
übertroffen wird. Zu der edlen Einfachheit und hoheitsvollen Ruhe des letz¬
teren bildet der Gigantenfries in seiner leidenschaftlichen Erregung freilich den
denkbar schroffsten Gegensatz. Die barbarische Kampfeswuth der Gallier ist
von dem genialen Künstler, welchem wir den beispiellos kühnen Wurf der Kom¬
position verdanken, auf den Kampf der Götter mit den Giganten, den Perso-


das Reich Alexanders des Großen getheilt hatten. Von dem Wirken der
meisten von ihnen ist durch die unaufhörlichen Kämpfe und Revolutionen,
welche noch fast ein Jahrhundert lang das Weltreich Alexanders durchtobten,
jede Spur verloren gegangen. Nur die Schulen von Rhodos und Pergamon,
welche derselbe Geist beseelte, tauchen aus dem allgemeinen Wirrwarr empor.

Wo der Telephosfries angebracht war, kann bis jetzt noch nicht mit Sicher¬
heit festgestellt werden. Vielleicht hatte der Tempel die Gestalt eines Peri-
pteros, und dann bildete der Fries vielleicht in ähnlicher Weise den Schmuck der
Cella wie der berühmte Parthenonfries. Vielleicht schmückte er auch die Brust¬
wehr, welche das Innere des Heiligthums von dem äußeren Säulenumgange
trennte. In den Interkolumnien des letzteren waren, gerade wie bei dem Nere¬
idenmonument, Statuen aufgestellt, von denen gleichfalls noch einige Reste auf-
gefunden worden sind. Der Telephosfries ist nicht ganz vollendet worden.
Nach der gewöhnlichen Praxis der antiken Bildhauer waren die Bilder auf
den einzelnen Reliefplatten nur im Rohen angelegt und dann an Ort und
Stelle versetzt worden, um nachträglich von den Marmorarbeitern weiter durch¬
geführt und beendigt zu werden. Das ist mit einigen Platten nicht geschehen.
Es scheint also, als wäre Attalos vor Vollendung seines gewaltigen Werkes
gestorben, und als hätte sein kriegerischer Nachfolger Eumenes II. nicht das
Interesse oder die Muße gehabt, das Vermächtniß seines Vaters zu Ende zu
führen.

Denn ein gewaltiges Werk, welches schier übermenschliche Kräfte erfor¬
derte, muß dieser Altar gewesen sein. Die Messungen haben ergeben, daß die
Bodenfläche, welche derselbe bedeckte, von Süd nach Nord 37,60 Meter und
von West nach Ost 34,40 Meter mißt. Die Höhe des Bauwerks hat Ampe-
lius auf 40 Fuß angegeben; die Hälfte davon kommt auf den Unterbau, und
unterhalb des Kranzgesimses dieses Unterbaues zog sich der Gigantenfries hin.

Obwohl nur die Hälfte desselben erhalten ist und bis jetzt kaum drei oder
vier Gruppen so zusammengesetzt worden sind, daß man ihre Komposition über¬
sehen kann, läßt sich schon soviel mit Sicherheit behaupten, daß diese Darstel¬
lung des Gigantenkampfes nicht blos die ausführlichste und reichhaltigste ist,
welche aus dem griechischen Alterthum auf uns gekommen ist, sondern daß
das Werk an sich durch Ausdehnung und Umfang von keinem der uns erhal¬
tenen Werke griechisch-römischer Kunst, auch nicht durch den Parthenonfries,
übertroffen wird. Zu der edlen Einfachheit und hoheitsvollen Ruhe des letz¬
teren bildet der Gigantenfries in seiner leidenschaftlichen Erregung freilich den
denkbar schroffsten Gegensatz. Die barbarische Kampfeswuth der Gallier ist
von dem genialen Künstler, welchem wir den beispiellos kühnen Wurf der Kom¬
position verdanken, auf den Kampf der Götter mit den Giganten, den Perso-


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[0464] das Reich Alexanders des Großen getheilt hatten. Von dem Wirken der meisten von ihnen ist durch die unaufhörlichen Kämpfe und Revolutionen, welche noch fast ein Jahrhundert lang das Weltreich Alexanders durchtobten, jede Spur verloren gegangen. Nur die Schulen von Rhodos und Pergamon, welche derselbe Geist beseelte, tauchen aus dem allgemeinen Wirrwarr empor. Wo der Telephosfries angebracht war, kann bis jetzt noch nicht mit Sicher¬ heit festgestellt werden. Vielleicht hatte der Tempel die Gestalt eines Peri- pteros, und dann bildete der Fries vielleicht in ähnlicher Weise den Schmuck der Cella wie der berühmte Parthenonfries. Vielleicht schmückte er auch die Brust¬ wehr, welche das Innere des Heiligthums von dem äußeren Säulenumgange trennte. In den Interkolumnien des letzteren waren, gerade wie bei dem Nere¬ idenmonument, Statuen aufgestellt, von denen gleichfalls noch einige Reste auf- gefunden worden sind. Der Telephosfries ist nicht ganz vollendet worden. Nach der gewöhnlichen Praxis der antiken Bildhauer waren die Bilder auf den einzelnen Reliefplatten nur im Rohen angelegt und dann an Ort und Stelle versetzt worden, um nachträglich von den Marmorarbeitern weiter durch¬ geführt und beendigt zu werden. Das ist mit einigen Platten nicht geschehen. Es scheint also, als wäre Attalos vor Vollendung seines gewaltigen Werkes gestorben, und als hätte sein kriegerischer Nachfolger Eumenes II. nicht das Interesse oder die Muße gehabt, das Vermächtniß seines Vaters zu Ende zu führen. Denn ein gewaltiges Werk, welches schier übermenschliche Kräfte erfor¬ derte, muß dieser Altar gewesen sein. Die Messungen haben ergeben, daß die Bodenfläche, welche derselbe bedeckte, von Süd nach Nord 37,60 Meter und von West nach Ost 34,40 Meter mißt. Die Höhe des Bauwerks hat Ampe- lius auf 40 Fuß angegeben; die Hälfte davon kommt auf den Unterbau, und unterhalb des Kranzgesimses dieses Unterbaues zog sich der Gigantenfries hin. Obwohl nur die Hälfte desselben erhalten ist und bis jetzt kaum drei oder vier Gruppen so zusammengesetzt worden sind, daß man ihre Komposition über¬ sehen kann, läßt sich schon soviel mit Sicherheit behaupten, daß diese Darstel¬ lung des Gigantenkampfes nicht blos die ausführlichste und reichhaltigste ist, welche aus dem griechischen Alterthum auf uns gekommen ist, sondern daß das Werk an sich durch Ausdehnung und Umfang von keinem der uns erhal¬ tenen Werke griechisch-römischer Kunst, auch nicht durch den Parthenonfries, übertroffen wird. Zu der edlen Einfachheit und hoheitsvollen Ruhe des letz¬ teren bildet der Gigantenfries in seiner leidenschaftlichen Erregung freilich den denkbar schroffsten Gegensatz. Die barbarische Kampfeswuth der Gallier ist von dem genialen Künstler, welchem wir den beispiellos kühnen Wurf der Kom¬ position verdanken, auf den Kampf der Götter mit den Giganten, den Perso-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/464>, abgerufen am 23.07.2024.