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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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uifikationcn finsterer Naturmächte, übertragen worden. Ja, die Götter begeben
sich selbst ihrer Hoheit und ihrer Würde und stürze" sich mit derselben Leiden¬
schaft, mit derselben, fast bestialischer Wuth in den Kampf wie die Söhne der
Gäa, welche mit halbem Leibe aus der Erde emportaucht und wehklagend
über die mörderische Vernichtung ihrer Söhne die Arme zu Zeus emporhebt,
der eben mit seinem Blitze Typhoeus, den mächtigsten der Giganten, zu Boden
schmettert. Mit der Linken hält er ihm die geflügelte Aegis entgegen. Ihm
zur Seite steht Athena, welche einen Giganten bei den Haaren faßt, während
ihre Schlange den Erdensohn umringelt. Nike schwebt heran und bringt ihr
den Kranz. Diese augenscheinlich zusammengehörige Komposition füllt acht
Platten; sie bildeten vermuthlich das Centrum des Frieses und waren an der
Frontseite des Unterbaues angebracht. Auf anderen Platten lassen sich noch
mit Sicherheit Apollon, Artemis, Dionysos, Poseidon, Hephaistos, Boreas,
Helios und Eos erkennen. Der Sonnengott taucht auf einem Viergespann
aus der Tiefe empor, und die Göttin der Morgenröthe reitet ans einem präch¬
tigen Rosse. Im Gefolge der Götter kämpfen ihre Begleiter: die Nymphen der
Artemis sind an ihren phrygischen Jagdstiefeln kenntlich und die Seekentauren
des Poseidon an ihren Flossen und ihren Schwänzen, die mit mächtigen Krebs¬
schalen gepanzert sind. Hinter Dionysos schreitet, damit der furchtbaren Tra¬
gödie nicht das Satyrspiel fehle, ein lie.mer Faun, kenntlich an den Ziegen¬
zäpfchen am Halse, einher, welcher in komischem Eifer genau die Bewegungen
seines speerschwingenden Herrn kopirt. Mit den Göttern kämpfen aber auch
ihre Thiere, und dadurch hat der Künstler in seine Komposition einen Moment
von geradezu furchtbarer, dramatischer Gewalt hineingebracht.

Die Giganten sind als wilde Barbaren mit struppigen Bart und Haar,
mit menschlichen Oberkörpern und gewaltiger Muskulatur, aber zum Theil ge¬
flügelt und mit Schlangenfüßen dargestellt, welche in Schlangenköpfe auslaufen.
Diese Schlangen nehmen an dem Kampfe einen bedeutenden Antheil. Während
die Giganten mit Lanzen und Baumstämmen ihre Gegner angreifen, umwinden
die Schlangen ihnen Beine und Arme mit einer Kraft, daß man zu sehen glaubt,
wie die Schenkelknochen unter ihrem Drucke zusammenbrechen, und in das Fleisch
schlagen sie ihre Zähne ein. Gegen sie wenden sich mit gewaltigem Ansturm der
Molosserhuud der Artemis, der Panther des Bcckchos und der Adler des Zeus,
der seine Krallen erhebt und mit mächtigem Hiebe einer gegen ihn emporzüngelnden
Schlange den Unterkiefer herabschlägt.

Mit der Ueberlieferung der griechischen Sage hat sich hier asiatische Phan-
iastik aufs innigste verschwistert. Dionysos trägt ein langes asiatisches Ge¬
wand, und die Kleider der Frauen, die Stiefel, die Schilde und Schwerter sind
mit reichen Ornamenten asiatischen Charakters versehen. In der Bildung der


uifikationcn finsterer Naturmächte, übertragen worden. Ja, die Götter begeben
sich selbst ihrer Hoheit und ihrer Würde und stürze» sich mit derselben Leiden¬
schaft, mit derselben, fast bestialischer Wuth in den Kampf wie die Söhne der
Gäa, welche mit halbem Leibe aus der Erde emportaucht und wehklagend
über die mörderische Vernichtung ihrer Söhne die Arme zu Zeus emporhebt,
der eben mit seinem Blitze Typhoeus, den mächtigsten der Giganten, zu Boden
schmettert. Mit der Linken hält er ihm die geflügelte Aegis entgegen. Ihm
zur Seite steht Athena, welche einen Giganten bei den Haaren faßt, während
ihre Schlange den Erdensohn umringelt. Nike schwebt heran und bringt ihr
den Kranz. Diese augenscheinlich zusammengehörige Komposition füllt acht
Platten; sie bildeten vermuthlich das Centrum des Frieses und waren an der
Frontseite des Unterbaues angebracht. Auf anderen Platten lassen sich noch
mit Sicherheit Apollon, Artemis, Dionysos, Poseidon, Hephaistos, Boreas,
Helios und Eos erkennen. Der Sonnengott taucht auf einem Viergespann
aus der Tiefe empor, und die Göttin der Morgenröthe reitet ans einem präch¬
tigen Rosse. Im Gefolge der Götter kämpfen ihre Begleiter: die Nymphen der
Artemis sind an ihren phrygischen Jagdstiefeln kenntlich und die Seekentauren
des Poseidon an ihren Flossen und ihren Schwänzen, die mit mächtigen Krebs¬
schalen gepanzert sind. Hinter Dionysos schreitet, damit der furchtbaren Tra¬
gödie nicht das Satyrspiel fehle, ein lie.mer Faun, kenntlich an den Ziegen¬
zäpfchen am Halse, einher, welcher in komischem Eifer genau die Bewegungen
seines speerschwingenden Herrn kopirt. Mit den Göttern kämpfen aber auch
ihre Thiere, und dadurch hat der Künstler in seine Komposition einen Moment
von geradezu furchtbarer, dramatischer Gewalt hineingebracht.

Die Giganten sind als wilde Barbaren mit struppigen Bart und Haar,
mit menschlichen Oberkörpern und gewaltiger Muskulatur, aber zum Theil ge¬
flügelt und mit Schlangenfüßen dargestellt, welche in Schlangenköpfe auslaufen.
Diese Schlangen nehmen an dem Kampfe einen bedeutenden Antheil. Während
die Giganten mit Lanzen und Baumstämmen ihre Gegner angreifen, umwinden
die Schlangen ihnen Beine und Arme mit einer Kraft, daß man zu sehen glaubt,
wie die Schenkelknochen unter ihrem Drucke zusammenbrechen, und in das Fleisch
schlagen sie ihre Zähne ein. Gegen sie wenden sich mit gewaltigem Ansturm der
Molosserhuud der Artemis, der Panther des Bcckchos und der Adler des Zeus,
der seine Krallen erhebt und mit mächtigem Hiebe einer gegen ihn emporzüngelnden
Schlange den Unterkiefer herabschlägt.

Mit der Ueberlieferung der griechischen Sage hat sich hier asiatische Phan-
iastik aufs innigste verschwistert. Dionysos trägt ein langes asiatisches Ge¬
wand, und die Kleider der Frauen, die Stiefel, die Schilde und Schwerter sind
mit reichen Ornamenten asiatischen Charakters versehen. In der Bildung der


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[0465] uifikationcn finsterer Naturmächte, übertragen worden. Ja, die Götter begeben sich selbst ihrer Hoheit und ihrer Würde und stürze» sich mit derselben Leiden¬ schaft, mit derselben, fast bestialischer Wuth in den Kampf wie die Söhne der Gäa, welche mit halbem Leibe aus der Erde emportaucht und wehklagend über die mörderische Vernichtung ihrer Söhne die Arme zu Zeus emporhebt, der eben mit seinem Blitze Typhoeus, den mächtigsten der Giganten, zu Boden schmettert. Mit der Linken hält er ihm die geflügelte Aegis entgegen. Ihm zur Seite steht Athena, welche einen Giganten bei den Haaren faßt, während ihre Schlange den Erdensohn umringelt. Nike schwebt heran und bringt ihr den Kranz. Diese augenscheinlich zusammengehörige Komposition füllt acht Platten; sie bildeten vermuthlich das Centrum des Frieses und waren an der Frontseite des Unterbaues angebracht. Auf anderen Platten lassen sich noch mit Sicherheit Apollon, Artemis, Dionysos, Poseidon, Hephaistos, Boreas, Helios und Eos erkennen. Der Sonnengott taucht auf einem Viergespann aus der Tiefe empor, und die Göttin der Morgenröthe reitet ans einem präch¬ tigen Rosse. Im Gefolge der Götter kämpfen ihre Begleiter: die Nymphen der Artemis sind an ihren phrygischen Jagdstiefeln kenntlich und die Seekentauren des Poseidon an ihren Flossen und ihren Schwänzen, die mit mächtigen Krebs¬ schalen gepanzert sind. Hinter Dionysos schreitet, damit der furchtbaren Tra¬ gödie nicht das Satyrspiel fehle, ein lie.mer Faun, kenntlich an den Ziegen¬ zäpfchen am Halse, einher, welcher in komischem Eifer genau die Bewegungen seines speerschwingenden Herrn kopirt. Mit den Göttern kämpfen aber auch ihre Thiere, und dadurch hat der Künstler in seine Komposition einen Moment von geradezu furchtbarer, dramatischer Gewalt hineingebracht. Die Giganten sind als wilde Barbaren mit struppigen Bart und Haar, mit menschlichen Oberkörpern und gewaltiger Muskulatur, aber zum Theil ge¬ flügelt und mit Schlangenfüßen dargestellt, welche in Schlangenköpfe auslaufen. Diese Schlangen nehmen an dem Kampfe einen bedeutenden Antheil. Während die Giganten mit Lanzen und Baumstämmen ihre Gegner angreifen, umwinden die Schlangen ihnen Beine und Arme mit einer Kraft, daß man zu sehen glaubt, wie die Schenkelknochen unter ihrem Drucke zusammenbrechen, und in das Fleisch schlagen sie ihre Zähne ein. Gegen sie wenden sich mit gewaltigem Ansturm der Molosserhuud der Artemis, der Panther des Bcckchos und der Adler des Zeus, der seine Krallen erhebt und mit mächtigem Hiebe einer gegen ihn emporzüngelnden Schlange den Unterkiefer herabschlägt. Mit der Ueberlieferung der griechischen Sage hat sich hier asiatische Phan- iastik aufs innigste verschwistert. Dionysos trägt ein langes asiatisches Ge¬ wand, und die Kleider der Frauen, die Stiefel, die Schilde und Schwerter sind mit reichen Ornamenten asiatischen Charakters versehen. In der Bildung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/465>, abgerufen am 23.07.2024.