Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Marmors, welche auf diese Weise zu Grunde gegangen ist, auf 20---30000 Ctr.
Diese Summe gibt zugleich einen Anhaltspunkt für die ungeheuren Schwierig¬
keiten, welche der Transport der erhaltenen Skulpturen nach Berlin verursacht
hat. Man schätzt die Kosten desselben auf 30000 Mark. Sie kommen aber
gar nicht in Betracht gegen die in der Geschichte der Antiquitätenankäufe um ihrer
Geringfügigkeit willen einzig dastehende Gesammtsumme, welche zur legalen
Erwerbung, Ausgrabung und Bergung dieser Schätze erforderlich gewesen ist,
und welche sich nur auf 130000 Fras. beläuft.

Was Ampelius nur summarisch als eine ara, einen "Altar" bezeichnet hat,
hat sich durch die Ausgrabungen als eine tempelartige Anlage erwiesen, die in
ihrem Aufbau mit dem Maussoleum von Haliearnaß oder noch näher mit dem
Nereidenmonument von Xanthos verwandt ist, welches just vor dreißig Jahren
von einem Engländer entdeckt und nach dem britischen Museum übergeführt
wurde. Auf einem rechteckigen Unterbau, dessen eine Längsseite von einer
großen Freitreppe eingenommen war, erhob sich eine Säulenhalle von ziemlich
gleicher Höhe, deren Kern eine Tempelcella gebildet zu haben scheint, in welcher
vermuthlich dem Stammheros der Attalen, dem Herakliden Telephos, göttliche
Verehrung erzeigt wurde. Deun innerhalb des Schutthaufens wurden noch
die Bruchstücke eines zweiten Frieses vorgefunden, dessen Höhe nur 1,57 Meter
beträgt, und dessen Relieferhebung bei weitem nicht so hoch ist wie die des
Gigantenfrieses. Obwohl die Reste desselben noch in Kisten verpackt liegen
und deshalb zur Zeit noch nicht genügend untersucht werden können, steht doch
schon soviel fest, daß dieser zweite Fries den Mythos des Telephos behandelte.
Telephos war der Sohn des Herakles und der tegeatischen Athenapriesterin
Auge, welche das Kind aus Furcht vor dem Zorne ihres Vaters, des Königs
Kepheus, im Heiligthume ihrer keuschen Göttin verbarg. Als diese, ergrimmt
über den Frevel, eine Pest über das Land schickte, wurde Telephos in das der
Artemis geweihte Jungfrauengebirge getragen, wo er von der heiligen Hirsch¬
kuh der Göttin gesäugt wurde. Diese Scene ist noch deutlich auf einer der
Relieftafeln zu erkennen. Neben der Hirschkuh steht merkwürdigerweise Herakles
selbst, mit der Achsel des linken Arms auf seine Keule gestützt, genau in der
Stellung des berühmte" Herkules Farnese, der bekanntlich auf ein Original
des Lhsippos zurückgeht. Diese Thatsache ist für uns insofern äußerst werth¬
voll, als durch sie der Zusammenhang der pergamenischen Bildhauerschule mit
dem großen Meister nachgewiesen ist, der die realistische Epoche der griechischen
Plastik eröffnet. Nach dem Tode Alexanders des Großen zerstreuten sich die
Künstler, die an seinem Hofe lohnende Aufgaben gefunden hatten, in alle vier
Winde und trugen die Art des Lysippos, der sich keiner von ihnen hatte ent¬
ziehen können, an die Höfe der Dicidochen und kleineren Dynasten, die sich in


Marmors, welche auf diese Weise zu Grunde gegangen ist, auf 20—-30000 Ctr.
Diese Summe gibt zugleich einen Anhaltspunkt für die ungeheuren Schwierig¬
keiten, welche der Transport der erhaltenen Skulpturen nach Berlin verursacht
hat. Man schätzt die Kosten desselben auf 30000 Mark. Sie kommen aber
gar nicht in Betracht gegen die in der Geschichte der Antiquitätenankäufe um ihrer
Geringfügigkeit willen einzig dastehende Gesammtsumme, welche zur legalen
Erwerbung, Ausgrabung und Bergung dieser Schätze erforderlich gewesen ist,
und welche sich nur auf 130000 Fras. beläuft.

Was Ampelius nur summarisch als eine ara, einen „Altar" bezeichnet hat,
hat sich durch die Ausgrabungen als eine tempelartige Anlage erwiesen, die in
ihrem Aufbau mit dem Maussoleum von Haliearnaß oder noch näher mit dem
Nereidenmonument von Xanthos verwandt ist, welches just vor dreißig Jahren
von einem Engländer entdeckt und nach dem britischen Museum übergeführt
wurde. Auf einem rechteckigen Unterbau, dessen eine Längsseite von einer
großen Freitreppe eingenommen war, erhob sich eine Säulenhalle von ziemlich
gleicher Höhe, deren Kern eine Tempelcella gebildet zu haben scheint, in welcher
vermuthlich dem Stammheros der Attalen, dem Herakliden Telephos, göttliche
Verehrung erzeigt wurde. Deun innerhalb des Schutthaufens wurden noch
die Bruchstücke eines zweiten Frieses vorgefunden, dessen Höhe nur 1,57 Meter
beträgt, und dessen Relieferhebung bei weitem nicht so hoch ist wie die des
Gigantenfrieses. Obwohl die Reste desselben noch in Kisten verpackt liegen
und deshalb zur Zeit noch nicht genügend untersucht werden können, steht doch
schon soviel fest, daß dieser zweite Fries den Mythos des Telephos behandelte.
Telephos war der Sohn des Herakles und der tegeatischen Athenapriesterin
Auge, welche das Kind aus Furcht vor dem Zorne ihres Vaters, des Königs
Kepheus, im Heiligthume ihrer keuschen Göttin verbarg. Als diese, ergrimmt
über den Frevel, eine Pest über das Land schickte, wurde Telephos in das der
Artemis geweihte Jungfrauengebirge getragen, wo er von der heiligen Hirsch¬
kuh der Göttin gesäugt wurde. Diese Scene ist noch deutlich auf einer der
Relieftafeln zu erkennen. Neben der Hirschkuh steht merkwürdigerweise Herakles
selbst, mit der Achsel des linken Arms auf seine Keule gestützt, genau in der
Stellung des berühmte» Herkules Farnese, der bekanntlich auf ein Original
des Lhsippos zurückgeht. Diese Thatsache ist für uns insofern äußerst werth¬
voll, als durch sie der Zusammenhang der pergamenischen Bildhauerschule mit
dem großen Meister nachgewiesen ist, der die realistische Epoche der griechischen
Plastik eröffnet. Nach dem Tode Alexanders des Großen zerstreuten sich die
Künstler, die an seinem Hofe lohnende Aufgaben gefunden hatten, in alle vier
Winde und trugen die Art des Lysippos, der sich keiner von ihnen hatte ent¬
ziehen können, an die Höfe der Dicidochen und kleineren Dynasten, die sich in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143518"/>
          <p xml:id="ID_1345" prev="#ID_1344"> Marmors, welche auf diese Weise zu Grunde gegangen ist, auf 20&#x2014;-30000 Ctr.<lb/>
Diese Summe gibt zugleich einen Anhaltspunkt für die ungeheuren Schwierig¬<lb/>
keiten, welche der Transport der erhaltenen Skulpturen nach Berlin verursacht<lb/>
hat. Man schätzt die Kosten desselben auf 30000 Mark. Sie kommen aber<lb/>
gar nicht in Betracht gegen die in der Geschichte der Antiquitätenankäufe um ihrer<lb/>
Geringfügigkeit willen einzig dastehende Gesammtsumme, welche zur legalen<lb/>
Erwerbung, Ausgrabung und Bergung dieser Schätze erforderlich gewesen ist,<lb/>
und welche sich nur auf 130000 Fras. beläuft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1346" next="#ID_1347"> Was Ampelius nur summarisch als eine ara, einen &#x201E;Altar" bezeichnet hat,<lb/>
hat sich durch die Ausgrabungen als eine tempelartige Anlage erwiesen, die in<lb/>
ihrem Aufbau mit dem Maussoleum von Haliearnaß oder noch näher mit dem<lb/>
Nereidenmonument von Xanthos verwandt ist, welches just vor dreißig Jahren<lb/>
von einem Engländer entdeckt und nach dem britischen Museum übergeführt<lb/>
wurde. Auf einem rechteckigen Unterbau, dessen eine Längsseite von einer<lb/>
großen Freitreppe eingenommen war, erhob sich eine Säulenhalle von ziemlich<lb/>
gleicher Höhe, deren Kern eine Tempelcella gebildet zu haben scheint, in welcher<lb/>
vermuthlich dem Stammheros der Attalen, dem Herakliden Telephos, göttliche<lb/>
Verehrung erzeigt wurde. Deun innerhalb des Schutthaufens wurden noch<lb/>
die Bruchstücke eines zweiten Frieses vorgefunden, dessen Höhe nur 1,57 Meter<lb/>
beträgt, und dessen Relieferhebung bei weitem nicht so hoch ist wie die des<lb/>
Gigantenfrieses. Obwohl die Reste desselben noch in Kisten verpackt liegen<lb/>
und deshalb zur Zeit noch nicht genügend untersucht werden können, steht doch<lb/>
schon soviel fest, daß dieser zweite Fries den Mythos des Telephos behandelte.<lb/>
Telephos war der Sohn des Herakles und der tegeatischen Athenapriesterin<lb/>
Auge, welche das Kind aus Furcht vor dem Zorne ihres Vaters, des Königs<lb/>
Kepheus, im Heiligthume ihrer keuschen Göttin verbarg. Als diese, ergrimmt<lb/>
über den Frevel, eine Pest über das Land schickte, wurde Telephos in das der<lb/>
Artemis geweihte Jungfrauengebirge getragen, wo er von der heiligen Hirsch¬<lb/>
kuh der Göttin gesäugt wurde. Diese Scene ist noch deutlich auf einer der<lb/>
Relieftafeln zu erkennen. Neben der Hirschkuh steht merkwürdigerweise Herakles<lb/>
selbst, mit der Achsel des linken Arms auf seine Keule gestützt, genau in der<lb/>
Stellung des berühmte» Herkules Farnese, der bekanntlich auf ein Original<lb/>
des Lhsippos zurückgeht. Diese Thatsache ist für uns insofern äußerst werth¬<lb/>
voll, als durch sie der Zusammenhang der pergamenischen Bildhauerschule mit<lb/>
dem großen Meister nachgewiesen ist, der die realistische Epoche der griechischen<lb/>
Plastik eröffnet. Nach dem Tode Alexanders des Großen zerstreuten sich die<lb/>
Künstler, die an seinem Hofe lohnende Aufgaben gefunden hatten, in alle vier<lb/>
Winde und trugen die Art des Lysippos, der sich keiner von ihnen hatte ent¬<lb/>
ziehen können, an die Höfe der Dicidochen und kleineren Dynasten, die sich in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Marmors, welche auf diese Weise zu Grunde gegangen ist, auf 20—-30000 Ctr. Diese Summe gibt zugleich einen Anhaltspunkt für die ungeheuren Schwierig¬ keiten, welche der Transport der erhaltenen Skulpturen nach Berlin verursacht hat. Man schätzt die Kosten desselben auf 30000 Mark. Sie kommen aber gar nicht in Betracht gegen die in der Geschichte der Antiquitätenankäufe um ihrer Geringfügigkeit willen einzig dastehende Gesammtsumme, welche zur legalen Erwerbung, Ausgrabung und Bergung dieser Schätze erforderlich gewesen ist, und welche sich nur auf 130000 Fras. beläuft. Was Ampelius nur summarisch als eine ara, einen „Altar" bezeichnet hat, hat sich durch die Ausgrabungen als eine tempelartige Anlage erwiesen, die in ihrem Aufbau mit dem Maussoleum von Haliearnaß oder noch näher mit dem Nereidenmonument von Xanthos verwandt ist, welches just vor dreißig Jahren von einem Engländer entdeckt und nach dem britischen Museum übergeführt wurde. Auf einem rechteckigen Unterbau, dessen eine Längsseite von einer großen Freitreppe eingenommen war, erhob sich eine Säulenhalle von ziemlich gleicher Höhe, deren Kern eine Tempelcella gebildet zu haben scheint, in welcher vermuthlich dem Stammheros der Attalen, dem Herakliden Telephos, göttliche Verehrung erzeigt wurde. Deun innerhalb des Schutthaufens wurden noch die Bruchstücke eines zweiten Frieses vorgefunden, dessen Höhe nur 1,57 Meter beträgt, und dessen Relieferhebung bei weitem nicht so hoch ist wie die des Gigantenfrieses. Obwohl die Reste desselben noch in Kisten verpackt liegen und deshalb zur Zeit noch nicht genügend untersucht werden können, steht doch schon soviel fest, daß dieser zweite Fries den Mythos des Telephos behandelte. Telephos war der Sohn des Herakles und der tegeatischen Athenapriesterin Auge, welche das Kind aus Furcht vor dem Zorne ihres Vaters, des Königs Kepheus, im Heiligthume ihrer keuschen Göttin verbarg. Als diese, ergrimmt über den Frevel, eine Pest über das Land schickte, wurde Telephos in das der Artemis geweihte Jungfrauengebirge getragen, wo er von der heiligen Hirsch¬ kuh der Göttin gesäugt wurde. Diese Scene ist noch deutlich auf einer der Relieftafeln zu erkennen. Neben der Hirschkuh steht merkwürdigerweise Herakles selbst, mit der Achsel des linken Arms auf seine Keule gestützt, genau in der Stellung des berühmte» Herkules Farnese, der bekanntlich auf ein Original des Lhsippos zurückgeht. Diese Thatsache ist für uns insofern äußerst werth¬ voll, als durch sie der Zusammenhang der pergamenischen Bildhauerschule mit dem großen Meister nachgewiesen ist, der die realistische Epoche der griechischen Plastik eröffnet. Nach dem Tode Alexanders des Großen zerstreuten sich die Künstler, die an seinem Hofe lohnende Aufgaben gefunden hatten, in alle vier Winde und trugen die Art des Lysippos, der sich keiner von ihnen hatte ent¬ ziehen können, an die Höfe der Dicidochen und kleineren Dynasten, die sich in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/463>, abgerufen am 23.07.2024.