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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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deutschen Expedition nach Pergamum dürfen wir schon in der nächsten Zeit
ausführlichen Berichten entgegensehen.

Alle diese Orte hatte man nicht ausgewählt, weil man hoffen durfte, hier
eine Reihe schöner Statuen zu finden -- denn in diesem Falle hätte der Er¬
folg sehr bald von weiteren Versuchen abschrecken müssen --, sondern man hatte
sich diejenigen Lokalitäten ausgesucht, wo man hoffen durste, dem Niederschlag
des Lebens und der Zustände der verschiedenen Völker zu begegnen. Kaum
auf irgend einem Boden der klassischen Welt berühren sich aber so viele ver¬
schiedene Völker wie gerade auf Cypern; hier wirren sich die Fäden zu
einem Knoten zusammen, der auf den ersten Blick unlösbar zu sein scheint.
Mit der Schwierigkeit der Aufgabe steigt aber auch der Reiz der Lösung. Man
muß es daher entschieden als einen glücklichen Griff bezeichnen, daß Cesnola
gerade auf Cypern Ausgrabungen anstellte, die er zehn Jahre hindurch mit
großer Ausdauer und mit großem Erfolge fortgesetzt hat, unterstützt durch eine
Reihe von günstigen Umständen. Als amerikanischer Generalkonsul nach Cypern
geschickt, konnte er nicht nur die Energie und den praktischen Sinn des Privat¬
manns, sondern auch die volle Autorität seiner amtlichen Stellung einsetzen,
und dieser verdankt er in letzter Instanz seine Erfolge. Bei seinem Auftreten
gegen die Eingebornen und die türkischen Behörden verband er das Selbst¬
bewußtsein des auf seine überlegene Kultur stolzen Europäers mit der ganzen
Rücksichtslosigkeit des Amerikaners, der selbst vor offenbaren Uebergriffen nicht
zurückschreckte und nun dies Alles wie etwas Selbstverständliches den Lesern
erzählt. Cesnola liebt es, seine Ausgrabungsberichte durch Mittheilungen über
seine kleinen persönlichen Erlebnisse zu beleben, die er sehr hübsch und anschau¬
lich zu erzählen weiß, so daß wir uns nicht nur im allgemeinen ein Bild
von Land und Leuten machen, sondern auch über mancherlei uns selbst ein
Urtheil bilden können, das, wenn wir einen europäischen Maßstab anlegen,
nicht immer so günstig ausfallen kann wie das des amerikanischen General¬
konsuls. So erzählt Cesnola z. B. (I, S. 205), wie seine Leute auf privatem
Grund und Boden, ohne den Eigenthümer zu fragen, ein Zelt aufschlagen;
als dieser sein Hausrecht wahren will, entspinnt sich ein Kampf, in dem
sogar der Friede des Harems gestört wird. Trotz alledem stellt Cesnola sich
bei seiner Ankunft sofort auf Seite seiner Leute und zwingt den Gouverneur,
den Besitzer mit seinen Frauen ins Gefängniß zu werfen, aus dem er erst
befreit wird, nachdem er seinerseits für den ganzen Auftritt um Entschuldigung
gebeten. Und das alles erzählt Cesnola mit einer behaglichen Breite, als ob
es gar nicht anders hätte sein können. In anderen Fällen war allerdings ein
energisches Auftreten und manchmal auch diplomatische Schlauheit nothwendig,


deutschen Expedition nach Pergamum dürfen wir schon in der nächsten Zeit
ausführlichen Berichten entgegensehen.

Alle diese Orte hatte man nicht ausgewählt, weil man hoffen durfte, hier
eine Reihe schöner Statuen zu finden — denn in diesem Falle hätte der Er¬
folg sehr bald von weiteren Versuchen abschrecken müssen —, sondern man hatte
sich diejenigen Lokalitäten ausgesucht, wo man hoffen durste, dem Niederschlag
des Lebens und der Zustände der verschiedenen Völker zu begegnen. Kaum
auf irgend einem Boden der klassischen Welt berühren sich aber so viele ver¬
schiedene Völker wie gerade auf Cypern; hier wirren sich die Fäden zu
einem Knoten zusammen, der auf den ersten Blick unlösbar zu sein scheint.
Mit der Schwierigkeit der Aufgabe steigt aber auch der Reiz der Lösung. Man
muß es daher entschieden als einen glücklichen Griff bezeichnen, daß Cesnola
gerade auf Cypern Ausgrabungen anstellte, die er zehn Jahre hindurch mit
großer Ausdauer und mit großem Erfolge fortgesetzt hat, unterstützt durch eine
Reihe von günstigen Umständen. Als amerikanischer Generalkonsul nach Cypern
geschickt, konnte er nicht nur die Energie und den praktischen Sinn des Privat¬
manns, sondern auch die volle Autorität seiner amtlichen Stellung einsetzen,
und dieser verdankt er in letzter Instanz seine Erfolge. Bei seinem Auftreten
gegen die Eingebornen und die türkischen Behörden verband er das Selbst¬
bewußtsein des auf seine überlegene Kultur stolzen Europäers mit der ganzen
Rücksichtslosigkeit des Amerikaners, der selbst vor offenbaren Uebergriffen nicht
zurückschreckte und nun dies Alles wie etwas Selbstverständliches den Lesern
erzählt. Cesnola liebt es, seine Ausgrabungsberichte durch Mittheilungen über
seine kleinen persönlichen Erlebnisse zu beleben, die er sehr hübsch und anschau¬
lich zu erzählen weiß, so daß wir uns nicht nur im allgemeinen ein Bild
von Land und Leuten machen, sondern auch über mancherlei uns selbst ein
Urtheil bilden können, das, wenn wir einen europäischen Maßstab anlegen,
nicht immer so günstig ausfallen kann wie das des amerikanischen General¬
konsuls. So erzählt Cesnola z. B. (I, S. 205), wie seine Leute auf privatem
Grund und Boden, ohne den Eigenthümer zu fragen, ein Zelt aufschlagen;
als dieser sein Hausrecht wahren will, entspinnt sich ein Kampf, in dem
sogar der Friede des Harems gestört wird. Trotz alledem stellt Cesnola sich
bei seiner Ankunft sofort auf Seite seiner Leute und zwingt den Gouverneur,
den Besitzer mit seinen Frauen ins Gefängniß zu werfen, aus dem er erst
befreit wird, nachdem er seinerseits für den ganzen Auftritt um Entschuldigung
gebeten. Und das alles erzählt Cesnola mit einer behaglichen Breite, als ob
es gar nicht anders hätte sein können. In anderen Fällen war allerdings ein
energisches Auftreten und manchmal auch diplomatische Schlauheit nothwendig,


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[0408] deutschen Expedition nach Pergamum dürfen wir schon in der nächsten Zeit ausführlichen Berichten entgegensehen. Alle diese Orte hatte man nicht ausgewählt, weil man hoffen durfte, hier eine Reihe schöner Statuen zu finden — denn in diesem Falle hätte der Er¬ folg sehr bald von weiteren Versuchen abschrecken müssen —, sondern man hatte sich diejenigen Lokalitäten ausgesucht, wo man hoffen durste, dem Niederschlag des Lebens und der Zustände der verschiedenen Völker zu begegnen. Kaum auf irgend einem Boden der klassischen Welt berühren sich aber so viele ver¬ schiedene Völker wie gerade auf Cypern; hier wirren sich die Fäden zu einem Knoten zusammen, der auf den ersten Blick unlösbar zu sein scheint. Mit der Schwierigkeit der Aufgabe steigt aber auch der Reiz der Lösung. Man muß es daher entschieden als einen glücklichen Griff bezeichnen, daß Cesnola gerade auf Cypern Ausgrabungen anstellte, die er zehn Jahre hindurch mit großer Ausdauer und mit großem Erfolge fortgesetzt hat, unterstützt durch eine Reihe von günstigen Umständen. Als amerikanischer Generalkonsul nach Cypern geschickt, konnte er nicht nur die Energie und den praktischen Sinn des Privat¬ manns, sondern auch die volle Autorität seiner amtlichen Stellung einsetzen, und dieser verdankt er in letzter Instanz seine Erfolge. Bei seinem Auftreten gegen die Eingebornen und die türkischen Behörden verband er das Selbst¬ bewußtsein des auf seine überlegene Kultur stolzen Europäers mit der ganzen Rücksichtslosigkeit des Amerikaners, der selbst vor offenbaren Uebergriffen nicht zurückschreckte und nun dies Alles wie etwas Selbstverständliches den Lesern erzählt. Cesnola liebt es, seine Ausgrabungsberichte durch Mittheilungen über seine kleinen persönlichen Erlebnisse zu beleben, die er sehr hübsch und anschau¬ lich zu erzählen weiß, so daß wir uns nicht nur im allgemeinen ein Bild von Land und Leuten machen, sondern auch über mancherlei uns selbst ein Urtheil bilden können, das, wenn wir einen europäischen Maßstab anlegen, nicht immer so günstig ausfallen kann wie das des amerikanischen General¬ konsuls. So erzählt Cesnola z. B. (I, S. 205), wie seine Leute auf privatem Grund und Boden, ohne den Eigenthümer zu fragen, ein Zelt aufschlagen; als dieser sein Hausrecht wahren will, entspinnt sich ein Kampf, in dem sogar der Friede des Harems gestört wird. Trotz alledem stellt Cesnola sich bei seiner Ankunft sofort auf Seite seiner Leute und zwingt den Gouverneur, den Besitzer mit seinen Frauen ins Gefängniß zu werfen, aus dem er erst befreit wird, nachdem er seinerseits für den ganzen Auftritt um Entschuldigung gebeten. Und das alles erzählt Cesnola mit einer behaglichen Breite, als ob es gar nicht anders hätte sein können. In anderen Fällen war allerdings ein energisches Auftreten und manchmal auch diplomatische Schlauheit nothwendig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/408>, abgerufen am 23.07.2024.