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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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um die Ausgrabungen weiterführen und schließlich die gefundenen Schätze ein¬
schiffen zu können.

Cesnola erinnert in mancher Beziehung an Schliemann. Beide sind
Dilettanten, die der Wissenschaft einen großen Dienst erwiesen haben durch
ihre Anstrengungen, welche über das Maß des Privatmanns weit hinausgehen;
beide geben das Gefundene als Rohmaterial in einer Art von Tagebuch, da
sie nicht im Stande sind, den Stoff systematisch zu bearbeiten. Aber die Be¬
trachtungen, die Cesnola an seine Funde anknüpft, stehen doch bedeutend höher
als die unmethodischen Phantastereien Schliemanns, und damit hängt zugleich
ein weiterer Unterschied zwischen beiden zusammen: bei Schliemann ist es
allenthalben der selbstlose Enthusiasmus, namentlich für Homer, der auch dem
Leser eine wohlthuende Wärme mittheilt; bei Cesnola glaubt man zuweilen,
daß er mit demselben Eifer auch in Mexiko oder Indien hätte graben können,
wenn die Vereinigten Staaten ihn zufällig dorthin geschickt hätten.

Die cyprischen Funde Cesnolas sind besonders wichtig für die gottesdienstlichen
und privaten Alterthümer der Insel; doch auch unsere Kenntniß der Schrift¬
denkmale erhielt durch seine Ausgrabungen eine sehr erwünschte Bereicherung.
Schon früher sind auf Cypern eine Reihe von Inschriften in ganz fremdartigen
Charakteren gefunden worden, denen man noch in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts völlig rathlos gegenüber stand, und die man deshalb mit irgend
welchen Ureinwohnern der Insel in Verbindung zu setzen geneigt war. Die
Lösung des Räthsels, die außer Anderen im wesentlichen dem hochverdienten
Brandis verdankt wird, war einfacher, als man gedacht hatte: es stellte sich
heraus, daß diese wunderbaren Inschriften*) in einem griechischen Dialekt ab¬
gefaßt waren und nur die Schriftzüge auf Abwege geleitet hatten. Die Schrift,
welche aus der assyrischen Keilschrift abgeleitet zu sein scheint, ist nämlich noch
nicht einmal bis zur reinen Buchstabenschrift durchgedrungen, so daß überhaupt
nicht von einem cyprischen Alphabet, sondern nur von einem Syllabar die Rede
sein kann. Um zu zeigen, wie wenig diese unbeholfene Schrift für die feinen
Laute der griechischen Sprache paßt, wählen wir die Inschrift von ein paar
goldenen über zwei Pfund schweren Armbändern des Königs Eteander (S. 265).

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e - es . of, - av - ro to PS, - hö, - si ' lo ' vo - s
d, h. Dle!i.(n)<Iroii wu l?^i>in>u bssilsos.


*) Außer den cyprischen wurden auch griechische Inschriften zu Tage gefördert, die
freilich von dem deutscheu Herausgeber in sehr unpassenden stilwidrigen Typen abgedruckt
worden sind, indem iuschriftliche und handschriftliche, vor- und nachchristliche Formen mit
einander vertauscht wurden; die phönicischen Inschriften sollen dagegen voll Cesnola selbst
in höchst ungenügender Weise publizirt sein.
Grenzboten IV. 1379. 63

um die Ausgrabungen weiterführen und schließlich die gefundenen Schätze ein¬
schiffen zu können.

Cesnola erinnert in mancher Beziehung an Schliemann. Beide sind
Dilettanten, die der Wissenschaft einen großen Dienst erwiesen haben durch
ihre Anstrengungen, welche über das Maß des Privatmanns weit hinausgehen;
beide geben das Gefundene als Rohmaterial in einer Art von Tagebuch, da
sie nicht im Stande sind, den Stoff systematisch zu bearbeiten. Aber die Be¬
trachtungen, die Cesnola an seine Funde anknüpft, stehen doch bedeutend höher
als die unmethodischen Phantastereien Schliemanns, und damit hängt zugleich
ein weiterer Unterschied zwischen beiden zusammen: bei Schliemann ist es
allenthalben der selbstlose Enthusiasmus, namentlich für Homer, der auch dem
Leser eine wohlthuende Wärme mittheilt; bei Cesnola glaubt man zuweilen,
daß er mit demselben Eifer auch in Mexiko oder Indien hätte graben können,
wenn die Vereinigten Staaten ihn zufällig dorthin geschickt hätten.

Die cyprischen Funde Cesnolas sind besonders wichtig für die gottesdienstlichen
und privaten Alterthümer der Insel; doch auch unsere Kenntniß der Schrift¬
denkmale erhielt durch seine Ausgrabungen eine sehr erwünschte Bereicherung.
Schon früher sind auf Cypern eine Reihe von Inschriften in ganz fremdartigen
Charakteren gefunden worden, denen man noch in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts völlig rathlos gegenüber stand, und die man deshalb mit irgend
welchen Ureinwohnern der Insel in Verbindung zu setzen geneigt war. Die
Lösung des Räthsels, die außer Anderen im wesentlichen dem hochverdienten
Brandis verdankt wird, war einfacher, als man gedacht hatte: es stellte sich
heraus, daß diese wunderbaren Inschriften*) in einem griechischen Dialekt ab¬
gefaßt waren und nur die Schriftzüge auf Abwege geleitet hatten. Die Schrift,
welche aus der assyrischen Keilschrift abgeleitet zu sein scheint, ist nämlich noch
nicht einmal bis zur reinen Buchstabenschrift durchgedrungen, so daß überhaupt
nicht von einem cyprischen Alphabet, sondern nur von einem Syllabar die Rede
sein kann. Um zu zeigen, wie wenig diese unbeholfene Schrift für die feinen
Laute der griechischen Sprache paßt, wählen wir die Inschrift von ein paar
goldenen über zwei Pfund schweren Armbändern des Königs Eteander (S. 265).

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*) Außer den cyprischen wurden auch griechische Inschriften zu Tage gefördert, die
freilich von dem deutscheu Herausgeber in sehr unpassenden stilwidrigen Typen abgedruckt
worden sind, indem iuschriftliche und handschriftliche, vor- und nachchristliche Formen mit
einander vertauscht wurden; die phönicischen Inschriften sollen dagegen voll Cesnola selbst
in höchst ungenügender Weise publizirt sein.
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[0409] um die Ausgrabungen weiterführen und schließlich die gefundenen Schätze ein¬ schiffen zu können. Cesnola erinnert in mancher Beziehung an Schliemann. Beide sind Dilettanten, die der Wissenschaft einen großen Dienst erwiesen haben durch ihre Anstrengungen, welche über das Maß des Privatmanns weit hinausgehen; beide geben das Gefundene als Rohmaterial in einer Art von Tagebuch, da sie nicht im Stande sind, den Stoff systematisch zu bearbeiten. Aber die Be¬ trachtungen, die Cesnola an seine Funde anknüpft, stehen doch bedeutend höher als die unmethodischen Phantastereien Schliemanns, und damit hängt zugleich ein weiterer Unterschied zwischen beiden zusammen: bei Schliemann ist es allenthalben der selbstlose Enthusiasmus, namentlich für Homer, der auch dem Leser eine wohlthuende Wärme mittheilt; bei Cesnola glaubt man zuweilen, daß er mit demselben Eifer auch in Mexiko oder Indien hätte graben können, wenn die Vereinigten Staaten ihn zufällig dorthin geschickt hätten. Die cyprischen Funde Cesnolas sind besonders wichtig für die gottesdienstlichen und privaten Alterthümer der Insel; doch auch unsere Kenntniß der Schrift¬ denkmale erhielt durch seine Ausgrabungen eine sehr erwünschte Bereicherung. Schon früher sind auf Cypern eine Reihe von Inschriften in ganz fremdartigen Charakteren gefunden worden, denen man noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts völlig rathlos gegenüber stand, und die man deshalb mit irgend welchen Ureinwohnern der Insel in Verbindung zu setzen geneigt war. Die Lösung des Räthsels, die außer Anderen im wesentlichen dem hochverdienten Brandis verdankt wird, war einfacher, als man gedacht hatte: es stellte sich heraus, daß diese wunderbaren Inschriften*) in einem griechischen Dialekt ab¬ gefaßt waren und nur die Schriftzüge auf Abwege geleitet hatten. Die Schrift, welche aus der assyrischen Keilschrift abgeleitet zu sein scheint, ist nämlich noch nicht einmal bis zur reinen Buchstabenschrift durchgedrungen, so daß überhaupt nicht von einem cyprischen Alphabet, sondern nur von einem Syllabar die Rede sein kann. Um zu zeigen, wie wenig diese unbeholfene Schrift für die feinen Laute der griechischen Sprache paßt, wählen wir die Inschrift von ein paar goldenen über zwei Pfund schweren Armbändern des Königs Eteander (S. 265). 54 X X>75 -t-^-j- ^^4.^ e - es . of, - av - ro to PS, - hö, - si ' lo ' vo - s d, h. Dle!i.(n)<Iroii wu l?^i>in>u bssilsos. *) Außer den cyprischen wurden auch griechische Inschriften zu Tage gefördert, die freilich von dem deutscheu Herausgeber in sehr unpassenden stilwidrigen Typen abgedruckt worden sind, indem iuschriftliche und handschriftliche, vor- und nachchristliche Formen mit einander vertauscht wurden; die phönicischen Inschriften sollen dagegen voll Cesnola selbst in höchst ungenügender Weise publizirt sein. Grenzboten IV. 1379. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/409>, abgerufen am 23.07.2024.