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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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hatte: "Paris wird entweder uns gehören oder nicht mehr existiren", war ein Pari¬
ser Kind. Delescluze, der schuldigste unter allen den Bösewichtern der Kommune,
und die Leute des Wohlfahrtsausschusses, welche die Mordbrennerei vorbereiteten
und im rechten Augenblicke befahlen, waren keine Ausländer. Dasselbe gilt vom
Centralcomite der Nationalgarde. Ferner haben bei allen Pariser Revolutionen
von 1789 bis 1848 die Feuersbrünste ihre Rolle gespielt. Im gallischen
Volke liegt nicht blos das Schauspielerhafte, sondern schon im Mittelalter, ja
bereits in der Druidenzeit das Bestialische, Oberst stosset, dieser aufgeklärte
Franzose, der von 1866 bis 1870 Militärattache in Berlin war, sagt in einem
an Garnier Freres gerichteten, vom 31. Mai 1871 datirten Briefe: "Die
Regierung läßt im Journal okkoisl schreiben, daß der Pariser Aufstand nicht
einzig und allein französisch gewesen, sondern wegen der großen Anzahl Aus¬
länder, die daran theilgenommen, einen wirklich kosmopolitischen Charakter ge¬
habt. Lüge! Die Akten beweisen, daß kaum ein Fremder auf hundert Auf¬
ständische kommt. Die Bewegung war also wesentlich französisch. Aber unsere
Regierungsleute, deren Feigheit sich eines schönen Morgens die Hauptstadt
entreißen ließ, wollen sich jetzt das Verdienst beilegen, die europäische Gesell¬
schaft gerettet zu haben. Wohlan, ich erkläre, obwohl mir dies wegen meiner
Liebe zu Frankreich sauer wird: wir sind bei allem unsern Esprit das einfäl¬
tigste, eitelste, maulaffenhafteste und dümmste nnter allen Völkern."

Rössel, der vorletzte General der Kommune, ein Sachkenner und guter
Beobachter, sagt in seinen nachgelassenen Papieren: "Am 24. Mai zeigte der
Brand des Stadthauses die Absichten der Revolutionäre an. Hierauf bemerkte
man andere Flammenherde westlich vom ersten. Man erfuhr, daß die Polizei-
präfektur und die Tuilerien unter der Protektion der Föderirten brannten.
Mit Recht kann die Mehrheit der Kommune dieser Verbrechen angeklagt werden.
Felix Pyat und die Blanquisten sind die Anstifter derselben."

Und diese verwilderten Revolutionäre haben sich selbst dazu bekannt und
Predigen noch heute Mord und Brand, indem sie verkünden, daß "die alte Ge¬
sellschaft" mit allen Mitteln der Gewalt, List und Niedertracht bekämpft werden
müsse. Sie betrachten die Sozialisten, welche die Kommune von ihren Ver¬
brechen rein waschen mochten, als unzuverlässige schwächliche Freunde, die
schlimmer als offne Feinde sind. In einer Schrift, die fast von lauter Leuten
der Kommunemehrheit unterzeichnet ist, erklären sie von jenen Sozialisten:
"Sie verleugnen die Akte dieser von ihnen nicht begriffenen Revolution, weil
sie ohne Zweifel die Nerven einer Bourgeoisie, deren Leben und Interessen sie
so hübsch zu schonen wissen, nicht unzart berühren wollen. Indem sie ver¬
gessen, daß eine Gesellschaft erst dann untergeht, wenn sie ebenso in ihren
Denkmälern und Symbolen wie in ihren Einrichtungen und Vertheidigern


Grenzlwtcn IV. 1870. 62

hatte: „Paris wird entweder uns gehören oder nicht mehr existiren", war ein Pari¬
ser Kind. Delescluze, der schuldigste unter allen den Bösewichtern der Kommune,
und die Leute des Wohlfahrtsausschusses, welche die Mordbrennerei vorbereiteten
und im rechten Augenblicke befahlen, waren keine Ausländer. Dasselbe gilt vom
Centralcomite der Nationalgarde. Ferner haben bei allen Pariser Revolutionen
von 1789 bis 1848 die Feuersbrünste ihre Rolle gespielt. Im gallischen
Volke liegt nicht blos das Schauspielerhafte, sondern schon im Mittelalter, ja
bereits in der Druidenzeit das Bestialische, Oberst stosset, dieser aufgeklärte
Franzose, der von 1866 bis 1870 Militärattache in Berlin war, sagt in einem
an Garnier Freres gerichteten, vom 31. Mai 1871 datirten Briefe: „Die
Regierung läßt im Journal okkoisl schreiben, daß der Pariser Aufstand nicht
einzig und allein französisch gewesen, sondern wegen der großen Anzahl Aus¬
länder, die daran theilgenommen, einen wirklich kosmopolitischen Charakter ge¬
habt. Lüge! Die Akten beweisen, daß kaum ein Fremder auf hundert Auf¬
ständische kommt. Die Bewegung war also wesentlich französisch. Aber unsere
Regierungsleute, deren Feigheit sich eines schönen Morgens die Hauptstadt
entreißen ließ, wollen sich jetzt das Verdienst beilegen, die europäische Gesell¬
schaft gerettet zu haben. Wohlan, ich erkläre, obwohl mir dies wegen meiner
Liebe zu Frankreich sauer wird: wir sind bei allem unsern Esprit das einfäl¬
tigste, eitelste, maulaffenhafteste und dümmste nnter allen Völkern."

Rössel, der vorletzte General der Kommune, ein Sachkenner und guter
Beobachter, sagt in seinen nachgelassenen Papieren: „Am 24. Mai zeigte der
Brand des Stadthauses die Absichten der Revolutionäre an. Hierauf bemerkte
man andere Flammenherde westlich vom ersten. Man erfuhr, daß die Polizei-
präfektur und die Tuilerien unter der Protektion der Föderirten brannten.
Mit Recht kann die Mehrheit der Kommune dieser Verbrechen angeklagt werden.
Felix Pyat und die Blanquisten sind die Anstifter derselben."

Und diese verwilderten Revolutionäre haben sich selbst dazu bekannt und
Predigen noch heute Mord und Brand, indem sie verkünden, daß „die alte Ge¬
sellschaft" mit allen Mitteln der Gewalt, List und Niedertracht bekämpft werden
müsse. Sie betrachten die Sozialisten, welche die Kommune von ihren Ver¬
brechen rein waschen mochten, als unzuverlässige schwächliche Freunde, die
schlimmer als offne Feinde sind. In einer Schrift, die fast von lauter Leuten
der Kommunemehrheit unterzeichnet ist, erklären sie von jenen Sozialisten:
„Sie verleugnen die Akte dieser von ihnen nicht begriffenen Revolution, weil
sie ohne Zweifel die Nerven einer Bourgeoisie, deren Leben und Interessen sie
so hübsch zu schonen wissen, nicht unzart berühren wollen. Indem sie ver¬
gessen, daß eine Gesellschaft erst dann untergeht, wenn sie ebenso in ihren
Denkmälern und Symbolen wie in ihren Einrichtungen und Vertheidigern


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[0401] hatte: „Paris wird entweder uns gehören oder nicht mehr existiren", war ein Pari¬ ser Kind. Delescluze, der schuldigste unter allen den Bösewichtern der Kommune, und die Leute des Wohlfahrtsausschusses, welche die Mordbrennerei vorbereiteten und im rechten Augenblicke befahlen, waren keine Ausländer. Dasselbe gilt vom Centralcomite der Nationalgarde. Ferner haben bei allen Pariser Revolutionen von 1789 bis 1848 die Feuersbrünste ihre Rolle gespielt. Im gallischen Volke liegt nicht blos das Schauspielerhafte, sondern schon im Mittelalter, ja bereits in der Druidenzeit das Bestialische, Oberst stosset, dieser aufgeklärte Franzose, der von 1866 bis 1870 Militärattache in Berlin war, sagt in einem an Garnier Freres gerichteten, vom 31. Mai 1871 datirten Briefe: „Die Regierung läßt im Journal okkoisl schreiben, daß der Pariser Aufstand nicht einzig und allein französisch gewesen, sondern wegen der großen Anzahl Aus¬ länder, die daran theilgenommen, einen wirklich kosmopolitischen Charakter ge¬ habt. Lüge! Die Akten beweisen, daß kaum ein Fremder auf hundert Auf¬ ständische kommt. Die Bewegung war also wesentlich französisch. Aber unsere Regierungsleute, deren Feigheit sich eines schönen Morgens die Hauptstadt entreißen ließ, wollen sich jetzt das Verdienst beilegen, die europäische Gesell¬ schaft gerettet zu haben. Wohlan, ich erkläre, obwohl mir dies wegen meiner Liebe zu Frankreich sauer wird: wir sind bei allem unsern Esprit das einfäl¬ tigste, eitelste, maulaffenhafteste und dümmste nnter allen Völkern." Rössel, der vorletzte General der Kommune, ein Sachkenner und guter Beobachter, sagt in seinen nachgelassenen Papieren: „Am 24. Mai zeigte der Brand des Stadthauses die Absichten der Revolutionäre an. Hierauf bemerkte man andere Flammenherde westlich vom ersten. Man erfuhr, daß die Polizei- präfektur und die Tuilerien unter der Protektion der Föderirten brannten. Mit Recht kann die Mehrheit der Kommune dieser Verbrechen angeklagt werden. Felix Pyat und die Blanquisten sind die Anstifter derselben." Und diese verwilderten Revolutionäre haben sich selbst dazu bekannt und Predigen noch heute Mord und Brand, indem sie verkünden, daß „die alte Ge¬ sellschaft" mit allen Mitteln der Gewalt, List und Niedertracht bekämpft werden müsse. Sie betrachten die Sozialisten, welche die Kommune von ihren Ver¬ brechen rein waschen mochten, als unzuverlässige schwächliche Freunde, die schlimmer als offne Feinde sind. In einer Schrift, die fast von lauter Leuten der Kommunemehrheit unterzeichnet ist, erklären sie von jenen Sozialisten: „Sie verleugnen die Akte dieser von ihnen nicht begriffenen Revolution, weil sie ohne Zweifel die Nerven einer Bourgeoisie, deren Leben und Interessen sie so hübsch zu schonen wissen, nicht unzart berühren wollen. Indem sie ver¬ gessen, daß eine Gesellschaft erst dann untergeht, wenn sie ebenso in ihren Denkmälern und Symbolen wie in ihren Einrichtungen und Vertheidigern Grenzlwtcn IV. 1870. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/401>, abgerufen am 26.08.2024.